Le Train Bleu

Als Reisen noch ein Ausdruck von Stil war, entstand in der Pariser Gare de Lyon das Bahnhofsrestaurant „Le Train Bleu“ – eine Feier der Opulenz, des Luxus und der gehobenen Lebensart

Eine geschwungene, doppelläufige Treppe, eine Drehtür aus Holz und Glas, und man ist in einer anderen Welt, einer anderen Zeit. „Le Train Bleu“, das Restaurant hoch über den Gleisen in Halle 1 der Gare de Lyon in Paris, hat sich seit seiner Einweihung 1901 kaum verändert, und das ist ein Glück. Es war immer die erste Etappe auf dem Weg zum Mittelmeer.

Ein Montagmorgen in der Halle 1, die Sonne bricht durch das Glasdach des Bahnhofs. Auf Gleis D geht gleich der Zug nach Marseille, auf Gleis C der nach Perpignan, auf Gleis G der nach Montpellier. Und am Klavier mit dem fast imperativen Schild „À vous de jouer“, „Spielen Sie“, sitzt ein junger Mann in weißen Sportschuhen und spielt „Für Elise“ von Beethoven, das geht immer. Die Gare de Lyon heißt so, weil sie die Achse nach Lyon bedient, die Hauptachse in den Süden Frankreichs.

Früher, lange vor dem TGV, als das Reisen noch ein Erlebnis für sich war, fuhr auf der Strecke zwischen Paris, Lyon und der Côte d’Azur bis nach Ventimiglia ein blauer Zug, blau wie das Mittelmeer: Le Train Bleu der Gesellschaft PLM, kurz für Paris-Lyon-Méditerranée. Er war so etwas wie der französische Orient-Express.

Damit sich die Passagiere auf diese Reise einstimmen konnten, wurde der große Architekt Marius Toudoire beauftragt, ein Bahnhofslokal zu entwerfen, das der Sehnsucht und der Vorfreude der Reisenden auch gerecht würde. Gut zwei Dutzend Künstler malten Motive aus ihren Regionen, die der blaue Zug auf seiner Reise durchquerte, an Wände und Decken des „Buffet de la Gare“ – so hieß das Restaurant damals, als wäre es ein gewöhnliches Bahnhofsbüfett.

Dabei war es eine Palastetage mit Stuck und Gold, mit kunstvoller Täfelung und Prunkmöbeln, ein bisschen Barock, ein bisschen Belle Époque. Die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts hatte Fortschritt gebracht, wissenschaftlichen und technischen, sie hatte auch den Transport revolutioniert. Plötzlich stand die Welt da draußen nicht mehr nur der Aristokratie offen, sondern mindestens auch der Bourgeoisie. Und das wollte begangen sein, prall und protzig, mit dem Gestus der alten Zeit auch im Bahnhof und in seinem Buffet. Große Kronleuchter hingen schon damals im „Salon doré“, dem Saal der ersten Klasse, und in der größeren „Salle Réjane“, zweite Klasse. Die Räume fürs kleine Volk waren nüchterner gehalten, sie trugen die Namen kolonialer Destinationen auf der anderen Seite des Mittelmeers: „Salle marocaine“, „Salle tunisienne“, „Salle algérienne“. Denn ja, früher reisten auch viele Menschen im Train Bleu nach Marseille, wo sie dann die Fähre hinüber in den noch südlicheren Süden nahmen. Heute sind außer der „Salle marocaine“, die lange als Büro des Lokals diente, alle Säle des „Train Bleu“ als historische Denkmäler eingestuft, es ist Restaurant und Museum in einem.

Das „Buffet“ der Gare de Lyon wurde schnell berühmt. Beworben wurde es von Künstlern und Politikern, die Gäste waren und dabei fotografiert wurden, unter vielen anderen Sarah Bernhardt, Coco Chanel, Salvador Dalí, Brigitte Bardot, Alain Delon, François Mitterrand, der spätere Präsident der Republik. Erst in den 1960er-Jahren wurde das Lokal in „Le Train Bleu“ unbenannt, als Hommage an den ikonischen Zug und die Sehnsucht, die ihm nachwehte.

Fast alles ist noch, wie es immer war, sogar ein Teil des Mobi­liars. Nur die schweren Vorhänge beim Vestibül, die früher die erste von der zweiten Klasse trennten, haben sie schon lange abgehängt. Alle paar Jahre werden die Decken restauriert, jeweils in den Nachtstunden, wie Cyril Gibon, der Directeur de salle, erzählt. „Wir schließen nie“, sagt er und lacht. Auch als Luc Besson im „Train Bleu“ einige Szenen seines Films „Nikita“ drehte, hatte er dafür nur die Nachtstunden zur Verfügung.

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mare No. 172

mare No. 172Oktober / November 2025

Von Oliver Meiler

Oliver Meiler, geboren 1968, Frankreichkorrespondent der „Süddeutschen Zeitung“ und des Zürcher „Tages-Anzeigers“, hat oft am Meer gelebt: in Barcelona, Marseille, Singapur – und 17 Jahre in Rom, dessen zehnter Bezirk Ostia ja an der Küste liegt.

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