Lauschangriff in der Tiefe

Begehrt und verletzlich: Telekommunikationskabel auf dem Meeresboden sind die wahren Lebensadern der globalisierten Welt

Unsere Welt wird virtueller. Handys, Tablets und Laptops kommunizieren über WLAN und Funkwellen. Fotos, Mails und Videos werden in Datenwolken gespeichert. Wie von einem Mückenschwarm sind wir allzeit von Daten umgeben, die sich mit Apps einfangen lassen. Kein Wunder, dass vom Internet als einer flüchtigen, entstofflichten, eben virtuellen Welt gesprochen wird. Doch das Virtuelle ist nur ein winziger Ausschnitt einer viel größeren Wirklichkeit. Doch schon am Router im Arbeitszimmer oder am nächsten Funkmast endet die Drahtlosigkeit. Von dort aus reisen Mails und alle anderen Daten in Kabeln rund um die Erde zu ihren Empfängern. Die meiste Zeit rauschen sie dabei durch Glasfaserleitungen am Grund der Ozeane. Aber wer denkt beim Thema Internet schon an Seekabel? Hartnäckig hält sich die Vorstellung, das Internet sei auf Satelliten angewiesen. Dabei wird gerade einmal ein Prozent aller Daten von diesen Trabanten übertragen (anderen Berechnungen zufolge drei bis vier Prozent).

Seekabel bilden die Nervenstränge unserer digitalen Gesellschaft. Ohne sie gäbe es die markantesten Formen des Kapitalismus nicht. 2012 berechnete die Asiatisch-Pazifische Wirtschaftsgemeinschaft, dass der Datenverkehr durch die Seekabel einem Transaktionswert von zehn Trillionen US-Dollar entspricht – und zwar täglich. Aufgrund der Seekabel können Unternehmen ihre Arbeitsprozesse auf verschiedene Kontinente outsourcen und Mitarbeiter von überall her in die täglichen Geschäfte einbinden. Schon vor Jahren kommentierte der frühere US-Notenbankchef Ben Bernanke unsere Abhängigkeit von dieser Technik mit dramatischen Worten: Wenn das globale Seekabelnetz zerrisse, dann versiegten die Finanzströme nicht langsam, sondern rissen plötzlich ab. Dass damit ein globales Chaos ausgelöst würde, musste er nicht weiter ausführen.

Ohne Seekabel gäbe es weder Facebook noch Twitter, weder Instagram noch Skype. Der Arabische Frühling wäre anders verlaufen. Flashmobs müssten erst noch erfunden werden. Und der Vertrieb von 3D-Fernsehserien bliebe ein Zukunftstraum. Seekabel machen unsere Welt zu dem viel zitierten globalen Dorf.

Rund 220 Seekabelsysteme ziehen sich heute durch die Ozeane (dabei werden oft zwei oder mehr Kabel zu einer Verbindung gezählt). Die längsten Systeme spannen sich über 21 000 Kilometer und damit fast um den halben Planeten. Manche tauchen in 8000 Meter Tiefe ab und durchkreuzen Unterwassergebirge. Die stärksten Trassen, die etwa auf der Website submarinecablemap.com zu sehen sind, liegen zwischen Europa und Nordamerika sowie zwischen Nordamerika und Japan. Auf der Karte sieht es fast so aus, als sollten die Seekabel eine weitere Kontinentaldrift verhindern. Und während in der Karibik eine Art Spinnennetz zu hängen scheint, baumeln an den Küsten aller Erdteile – mit Ausnahme der Antarktis – riesige Girlanden. Mittlerweile sind auch mehr als drei Dutzend afrikanischer Küstenstädte an die Datenströme angeschlossen.

Das Internet „ist viel eher verdrahtet als drahtlos“, berichtet die US-Forscherin Nicole Starosielski, die zu Orten reiste, an denen die Seekabel ins Meer verlaufen. Am Ufer ist meist nur ein unscheinbarer Gullydeckel mit einer kryptischen Aufschrift zu erkennen. Darunter zieht sich das gerade einmal armdicke Seekabel durch einen Schacht ins Meer. An vielen Küsten sind die Kabel aus Angst vor Sabotage einige Meter tief eingegraben. Auf ihren Reisen um die Welt ist der Forscherin aufgefallen, wie sehr die globale Struktur den verbreiteten Vorstellungen vom Internet widerspricht: Die Struktur ist unerwartet unlogisch und komplex. So führen die meisten Strecken nicht etwa über Land, sondern befinden sich unter Wasser – und dort nehmen sie erstaunliche Umwege. Viele Internetknotenpunkte liegen darüber hinaus nicht in urbanen Zentren, sondern am Rand abgelegener Dörfer oder auf kleinen Eilanden.

Die Struktur des Internets lässt sich nicht logisch erklären, sondern ist durch die Zeit des Kolonialismus bedingt. Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckten die Engländer, dass sich aus dem Saft eines Laubbaums, der in ihren ostasiatischen Kolonien wuchs, die gummiartige, wasserabweisende Substanz Guttapercha gewinnen lässt. Darin eingehüllt, konnten die kupfernen Telegrafenkabel wirksam vor Salzwasser geschützt werden. Schon bald wurden Seekabel von Großbritannien aus über Tausende Kilometer bis zu den Kolonien gezogen. London wollte Befehle in kürzester Zeit nach Indien und Fernost telegrafieren können. Und weil auf erfolgreich in Betrieb genommenen Strecken immer wieder neue Kabel gezogen wurden, sitzt das Königreich bis heute wie eine Spinne im globalen Datennetz – das deshalb auch problemlos vom Geheimdienst angezapft werden kann.

Den Dokumenten des Whistleblowers Edward Snowden zufolge haben der britische und der US-amerikanische Geheimdienst mehr als 200 Kabel an oberirdischen Schaltstationen abgeschöpft. Als Angestellter von Booz Allen Hamilton, einem Vertragspartner des US-Geheimdiensts NSA, hatte Snowden weitgehenden Zugriff auf Server im NSA-Hauptquartier in Fort Meade nahe Washington, D. C. Ohne Spuren im als antiquiert geltenden Sicherheitssystem der NSA zu hinterlassen, konnte er 20 000 Dokumente auf einen USB-Stick laden, um sie 2013 dem Journalisten Glenn Greenwald zu übergeben.

Aus einer Datei geht dabei hervor, dass der britische Geheimdienst GCHQ auf 63 Unterseekabel zurückgreifen konnte. Beim Auslesen soll der Seekabelbetreiber Cable & Wireless behilflich gewesen sein, der mittlerweile zu Vodafone gehört. Andere Identitäten von Kabelbetreibern, die Rückschlüsse auf Seekabelnetze zuließen, sind in der Datei camoufliert; sie laufen unter Decknamen wie „Dacron“, „Little“ und „Streetcar“. Weiteren Snowden-Dokumenten zufolge wurde das Glasfaserkabel TAT-14 ausgespäht, über das von Ostfriesland aus ein großer Teil der deutschen Kommunikation nach Nordamerika fließt. Der Datenstrom wurde laut NDR und „Süddeutscher Zeitung“ vermutlich direkt an Knotenpunkten des Kabels in der britischen Küstenstadt Bude abgefangen.

„Meist müssen US-Geheimdienstler gar nicht im Ausland aktiv werden“, sagt Hans-Christian Ströbele, der für die Grünen im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags sitzt, gegenüber mare. Viele unserer Daten lägen ohnehin auf amerikanischen Servern. Zudem verfüge die NSA nicht nur über gigantische Speicher, sondern auch über mehrere zehntausend Mitarbeiter. Und wohl auch künftig würden die USA mit britischer Hilfe alles unternehmen, um einer Aussage des früheren Nationalen Geheimdienstdirektors James Clapper nachzukommen: „We take it all.“


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mare No. 124

No.124Oktober / November 2017

Von Dirk Liesemer und Trevor Paglen

Während der Recherche entdeckte Dirk Liesemer, Jahrgang 1977, freier Autor in Leipzig, dass auch die Deutschen einst in der Südsee einige Seekabel verlegt hatten. Allerdings spielte die „Deutsche Südsee-Gesellschaft für drahtlose Telegraphie“ eher eine historische Nebenrolle.

Trevor Paglen, Jahrgang 1974, ist Künstler und Fotograf und war unter anderem Kameramann des Snowden-Dokumentarfilms Citizenfour. Er ist als Sohn eines Luftwaffenarztes auf Militärbasen groß geworden und hat einen Abschluss an der Kunsthochschule in Chicago und einen Doktorgrad in Geografie an der Universität von Kalifornien in Berkeley erworben. Alles, was eigentlich unsichtbar sein soll, macht Paglen sichtbar. Der „Überwacher der Überwacher“ macht Fotos von inoffiziellen Militäranlagen, fotografiert heimliche Gefangenentransporte und beleuchtet mit Nachtaufnahmen Orte, an denen Geheimdienste aktiv sind. Für seine Visualisierungen bedient er sich nicht nur der Fotokamera, sondern auch anderer künstlerischer Mittel. Paglens Werke werden weltweit ausgestellt. Für seine Arbeit an den Seekabeln recherchierte er monatelang.

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Vita Während der Recherche entdeckte Dirk Liesemer, Jahrgang 1977, freier Autor in Leipzig, dass auch die Deutschen einst in der Südsee einige Seekabel verlegt hatten. Allerdings spielte die „Deutsche Südsee-Gesellschaft für drahtlose Telegraphie“ eher eine historische Nebenrolle.

Trevor Paglen, Jahrgang 1974, ist Künstler und Fotograf und war unter anderem Kameramann des Snowden-Dokumentarfilms Citizenfour. Er ist als Sohn eines Luftwaffenarztes auf Militärbasen groß geworden und hat einen Abschluss an der Kunsthochschule in Chicago und einen Doktorgrad in Geografie an der Universität von Kalifornien in Berkeley erworben. Alles, was eigentlich unsichtbar sein soll, macht Paglen sichtbar. Der „Überwacher der Überwacher“ macht Fotos von inoffiziellen Militäranlagen, fotografiert heimliche Gefangenentransporte und beleuchtet mit Nachtaufnahmen Orte, an denen Geheimdienste aktiv sind. Für seine Visualisierungen bedient er sich nicht nur der Fotokamera, sondern auch anderer künstlerischer Mittel. Paglens Werke werden weltweit ausgestellt. Für seine Arbeit an den Seekabeln recherchierte er monatelang.
Person Von Dirk Liesemer und Trevor Paglen
Vita Während der Recherche entdeckte Dirk Liesemer, Jahrgang 1977, freier Autor in Leipzig, dass auch die Deutschen einst in der Südsee einige Seekabel verlegt hatten. Allerdings spielte die „Deutsche Südsee-Gesellschaft für drahtlose Telegraphie“ eher eine historische Nebenrolle.

Trevor Paglen, Jahrgang 1974, ist Künstler und Fotograf und war unter anderem Kameramann des Snowden-Dokumentarfilms Citizenfour. Er ist als Sohn eines Luftwaffenarztes auf Militärbasen groß geworden und hat einen Abschluss an der Kunsthochschule in Chicago und einen Doktorgrad in Geografie an der Universität von Kalifornien in Berkeley erworben. Alles, was eigentlich unsichtbar sein soll, macht Paglen sichtbar. Der „Überwacher der Überwacher“ macht Fotos von inoffiziellen Militäranlagen, fotografiert heimliche Gefangenentransporte und beleuchtet mit Nachtaufnahmen Orte, an denen Geheimdienste aktiv sind. Für seine Visualisierungen bedient er sich nicht nur der Fotokamera, sondern auch anderer künstlerischer Mittel. Paglens Werke werden weltweit ausgestellt. Für seine Arbeit an den Seekabeln recherchierte er monatelang.
Person Von Dirk Liesemer und Trevor Paglen