Lange Winter auf „Elbe 1“

Der Dienst auf einem Feuerschiff verlangt einen besonderen Charakter: Stoiker, die die Zumutungen der Routine und der Gefahr klaglos ertragen

Der Wind heult jetzt mit Orkanstärke aus Südwest. Riesige Brecher krachen über das Vorschiff und gegen die Brücke des Feuerschiffs. Unter solchen Umständen hält ein Kapitän normalerweise den Bug in die Wellen und reitet den Sturm ab. Aber die „Elbe 1“ ist nur im engeren Sinn ein Schiff. Brücke und Maschine, Ruder und Schraube hat sie wie ein normaler Dampfer, und ihre Mannschaft besteht aus Seeleuten. Der Kapitän hat das Patent für Große Fahrt, aber mit diesem Schiff fährt er nicht. Er markiert einen Punkt auf der Seekarte, fest eingetragen ist er als Seezeichen. Er befehligt einen Leuchtturm, der schwimmen muss, weil das Wasser mit 25 Metern zu tief ist an dieser Stelle, um einen festen Turm zu bauen. „Elbe 1“ ist eine Hilfskonstruktion, ihre Bestimmung ist es, Licht in das Dunkel über der Nordsee zu bringen.

„Gleichtakt 10s“ heißt es in den Seekarten: fünf Sekunden Licht, fünf Sekunden Pause, fünf Sekunden Licht, fünf Sekunden Pause. Die ganze Nacht, unter allen Umständen, auch jetzt im Sturm.

Kapitän Lösekann und seine Crew denken also gar nicht daran, ihre Position zu verlassen, selbst als gegen Mittag der Ebbstrom einsetzt. Jetzt wird es noch ungemütlicher: Der Sturm drängt von See, das ablaufende Wasser aus der Elbe schiebt von hinten. Das Feuerschiff liegt quer zu den Wellen und rollt von einer Seite zur anderen, dass es zum Fürchten ist. Doch Lösekann bleibt ruhig, er hat schon viele Stürme in der Außenelbe erlebt, nichts deutet darauf hin, dass dieser schlimmer ist als die anderen. Ein englischer Frachter passiert das Feuerschiff auf seinem Weg nach Hamburg, ein Holländer fährt in die Gegenrichtung, auf die tobende Nordsee hinaus. Dann geht alles ganz schnell. Drei riesige Wellen. Die erste wirft die „Elbe 1“ weit auf die Seite, zu weit, sie kann sich gegen die nächste See nicht mehr aufrichten, der dritte Brecher begräbt das Schiff unter sich, es kentert und sinkt. Der Crew bleibt keine Zeit mehr für einen Notruf. Es gibt keine Überlebenden.

„Sie starben den Heldentod auf dem Felde der Arbeit“, lautet die Todesanzeige für Lösekann und seine 14 Leute in der „Cuxhavener Zeitung“ nach der Katastrophe vom 27. Oktober 1936. Helden braucht es auf einem Feuerschiff eigentlich nicht, die Arbeit ist nicht gefährlicher als andere Jobs in der Seefahrt. Aber der Dienst auf dem Dampfer an der Kette verlangt schon einen besonderen Typus Mensch. An Bord eines Feuerschiffs brauchen sie den Stoiker, der die Zumutungen der Routine klaglos erträgt und nicht mit dem Schicksal hadert. Sein Schiff kann nicht ausweichen, es ist den Gewalten ausgeliefert, es muss einstecken können. Das gilt eben auch für die Crew.

Deshalb tun vor allem alte Fahrensleute Dienst auf diesem Außenposten des Wasser- und Schifffahrtsamts. Männer wie Hannes Schulz. Als er auf dem Feuerschiff anfängt, ist er bereits 36 Jahre als Bootsmann zur See gefahren. Nach seiner Lehrzeit auf der alten „Gorch Fock“ hat er auf dem Passagierdampfer „Hanseatic“ gearbeitet, auf dem Atomfrachter „Otto Hahn“, auf den Forschungsschiffen „Meteor“ und „Planet“. Aber dann wird seine Frau an der Bandscheibe operiert und braucht Hilfe. Er heuert auf dem Feuerschiff an, da hat er es nicht so weit bis nach Hause und regelmäßig Urlaub. Zwei Wochen Dienst, zwei Wochen Freiwache an Land.

„Knotenhannes“ nennen sie ihn an Bord, weil er ständig mit Tauwerk „knüddelt“. Er hat vor Grönland mal bei minus 35 Grad die Crew eines Postdampfers aus Seenot gerettet, mit bloßen Händen hat er die Männer aus dem Wasser gezogen und sich dabei Erfrierungen an allen Fingern geholt. Der Schiffsarzt wollte amputieren, doch Schulz hat den Eingriff auf eigenes Risiko verweigert. Die Blutzirkulation kam zurück, auch die Kraft, aber das Gefühl nicht. Seitdem fummelt er und knotet er, um die Finger beweglich zu halten. Fallreepsknoten macht er, als Schlüsselanhänger, er verschenkt sie alle.

Dann steht der Weitgereiste 1984 auf dem Deck der neuen „Elbe 1“ und erlebt erst einmal das andere Extrem des Lebens auf einem Feuerschiff, die Langeweile. Er klopft Rost, pinselt Farbe, klopft wieder Rost. Poliert die Scheibe der Laterne auf dem Turm. Sammelt alle zwei Stunden Messdaten für den Wetterdienst. Seine Kollegen lesen während ihrer Freiwache, sie dengeln Kupferbilder, schnitzen, angeln. Schulz spielt lieber Lebensretter, zieht verölte Lummen aus dem Wasser, päppelt eine verirrte Waldohreule wieder auf. Einmal sichtet er einen verletzten Seehund, der in eine Schiffsschraube geraten ist. Schulz lässt das Beiboot zu Wasser und bringt die Robbe nach Helgoland, zur Biologischen Anstalt. Auch eine Art von Idylle. Aber eben nur bis zur nächsten Schlechtwetterfront.

In der Zeit vor Radar und Satellitennavigation war es ein riskantes Unterfangen, nachts in die Elbe einzulaufen. Bis ins 19. Jahrhundert hatten Seefahrer bei Dunkelheit nur zwei Orientierungspunkte, auf die sie sich verlassen konnten: den Leuchtturm auf Helgoland und das Signalfeuer auf der Insel Neuwerk. Doch zwischen diesen beiden Fixpunkten verschieben die Gezeitenströme riesige Mengen Sand, ständig verändert sich der Weg durch die Sandbänke. Wer das Fahrwasser nur um eine Viertelmeile verfehlt, sitzt auf Grund – und das kann bei Schlechtwetter tödlich sein.


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mare No. 78

No. 78Februar / März 2010

Von Olaf Kanter und Jan Windszus

Olaf Kanter, Jahrgang 1962, ist Redakteur bei Spiegel Online in Hamburg. Jan Windszus, geboren 1976, arbeitet als Fotograf in Berlin. Beide übernachteten auf der Elbe 1, die heute als Museumsschiff in Cuxhaven liegt, aber nicht mehr an die Kette gefesselt ist wie früher. Kapitän Hermann Lohse, Vorsitzender des Vereins, der sich um den Erhalt des Dampfers kümmert, geht damit sommers auf große Fahrt; in England und Skandinavien war er schon. Auf dem Turm brennt noch immer ein symbolisches Leuchtfeuer: eine Energiesparleuchte.

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Vita Olaf Kanter, Jahrgang 1962, ist Redakteur bei Spiegel Online in Hamburg. Jan Windszus, geboren 1976, arbeitet als Fotograf in Berlin. Beide übernachteten auf der Elbe 1, die heute als Museumsschiff in Cuxhaven liegt, aber nicht mehr an die Kette gefesselt ist wie früher. Kapitän Hermann Lohse, Vorsitzender des Vereins, der sich um den Erhalt des Dampfers kümmert, geht damit sommers auf große Fahrt; in England und Skandinavien war er schon. Auf dem Turm brennt noch immer ein symbolisches Leuchtfeuer: eine Energiesparleuchte.
Person Von Olaf Kanter und Jan Windszus
Vita Olaf Kanter, Jahrgang 1962, ist Redakteur bei Spiegel Online in Hamburg. Jan Windszus, geboren 1976, arbeitet als Fotograf in Berlin. Beide übernachteten auf der Elbe 1, die heute als Museumsschiff in Cuxhaven liegt, aber nicht mehr an die Kette gefesselt ist wie früher. Kapitän Hermann Lohse, Vorsitzender des Vereins, der sich um den Erhalt des Dampfers kümmert, geht damit sommers auf große Fahrt; in England und Skandinavien war er schon. Auf dem Turm brennt noch immer ein symbolisches Leuchtfeuer: eine Energiesparleuchte.
Person Von Olaf Kanter und Jan Windszus