Das Modell heißt „Baltic Empire“. Zweisitzer, Bock aus Teak, Edelholz natur, Bezugsstoff nach Wahl. Die Bullaugen an den Seitenteilen der Haube sind mit feinschnürigen Rundzöpfen umflochten, die ausziehbaren Fußstützen mit Flechtwerk verkleidet. Dazwischen ein Behälter für zerstoßenes Eis, damit es der Champagner schön kühl hat.
Was noch? Komfortwendepolster, Nackenhalbrollen, Edelstahlbeschläge, Massage- und Heizfunktion, LED-Beleuchtung, Bluetooth-Soundsystem vom Hersteller Teufel. Der Grundriss mit den XL-Maßen heißt „Sylt Extrabreit“, aber das gute Stück steht rund 500 Kilometer weiter östlich, in einer Verkaufshalle in Ückeritz auf Usedom. 13 237,75 Euro inklusive Mehrwertsteuer. Es geht auch günstiger. Man kann zum Beispiel den Butler weglassen. So heißt die praktische, wasserdichte Tasche für Bücher und Magazine, die an der Außenwand baumelt. Und schon sind 105 Euro gespart.
Das Luxusmodell ist kein Kassenschlager – aber ein Geheimtipp. „Wir haben in einem Jahr schon drei davon verkauft“, sagt Manfred Pohl. Gemeinsam mit Tochter Josephine hat er 2024 die Traditionsmanufaktur Korbwerk 1925 Usedom übernommen und damit vor dem Konkurs gerettet – dazu später mehr. Das edle Stück ist fast zu schade für den Strand. Aber da soll es auch gar nicht hin, sagt Josephine Pohl. „Individuelle Körbe werden oft für die Terrasse daheim gekauft oder die Ferienwohnung.“ Gegenüber der „Baltic Empire“ steht ein nachgebautes Ausstellungsstück, das sehr viel schlichter ist. Es zeigt, wie alles begann.
Am Anfang stand auch eine Dame mit Sonderwünschen, wenn auch deutlich weniger exaltiert. Die Geschichte geht so: 1882 betrat Elfriede von Maltzahn die Werkstatt des Rostocker Korbmachers Wilhelm Bartelmann und bat darum, er möge ihr ein Strandmöbel für den Aufenthalt im nahen Warnemünde anfertigen. Wegen eines Rheumaleidens habe ihr Arzt von einem Aufenthalt am Meer dringend abgeraten, darüber habe sie sich hinweggesetzt. Aber sie brauche etwas, um sich vor Sand, Sonne und Wind zu schützen.
Diese Fakten sind verbürgt, dann wird es ein wenig spekulativ. Strandkorbfabrikant Manfred Pohl spricht von einem Heurekamoment. „Soweit ich weiß, hat ein aufrecht gestellter Wäschekorb in seinem Geschäft Wilhelm Bartelmann auf die Idee gebracht.“ Könnte hinkommen. Das Urmodell aus Weidengeflecht ähnelt tatsächlich einem Konstrukt aus Sitzfläche plus länglicher Haube.
Der Kulturjournalist Moritz Holfelder hat ein Buch über die Geschichte des Strandkorbs geschrieben. Er vertritt die These, ein älteres Buch mit Zeichnungen für Korbmöbelfabrikanten habe Wilhelm Bartelmann inspiriert. Und auch auf früheren Zeichnungen, Gemälden und Fotos sind überdachte Flechtstühle zu sehen, in niederländischen Wohnzimmern, vereinzelt auch
an Stränden. Die ersten Vorläufer moderner Strandkörbe standen wohl in Scheveningen und kamen später nach Norderney, eroberten Deutschland also auf der Westroute. So geht es aus einem Ratgeber für Kurgäste von 1878 hervor, also vier Jahre vor dem folgenschweren Auftrag der rheumatischen Ostseeurlauberin. Wie das oft ist mit Erfindungen: Sie haben viele Väter (oder Mütter). Entscheidend ist der richtige Ort zur richtigen Zeit.
Warnemünde vor 150 Jahren war so ein Inkubator. Das Meer wandelte sich vom feindlichen Element zum Sehnsuchtsort. Der Eisenbahnbau erleichterte das Reisen, das wohlhabende Bürgertum entdeckte das Konzept Sommerfrische. Nicht als Kurztrip, sondern als mehrwöchigen Großfamilienaufenthalt. Bloß sonnenbraun wollte dabei niemand werden, das war die Hautfarbe des Proletariats. So wurde der Strandkorb zum „Will ich auch“-Produkt, kaum dass die erste Kundin ihn öffentlich vorgeführt hatte. Wilhelm Bartelmann kam mit dem Flechten kaum hinterher.
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Verena Carl, Jahrgang 1969, freie Autorin in Hamburg, aufgewachsen in Süddeutschland, machte im Alter von drei Jahren erste Bekanntschaft mit Strandkörben auf der Insel Föhr, war dann bis ins Erwachsenenalter nicht mehr an der deutschen Küste und wunderte sich sehr, als sie mit über 20 feststellte: Ein Strandkorb ist gar nicht so hoch wie ein Wolkenkratzer.
| Lieferstatus | Lieferbar |
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| Vita | Verena Carl, Jahrgang 1969, freie Autorin in Hamburg, aufgewachsen in Süddeutschland, machte im Alter von drei Jahren erste Bekanntschaft mit Strandkörben auf der Insel Föhr, war dann bis ins Erwachsenenalter nicht mehr an der deutschen Küste und wunderte sich sehr, als sie mit über 20 feststellte: Ein Strandkorb ist gar nicht so hoch wie ein Wolkenkratzer. |
| Person | Von Verena Carl |
| Lieferstatus | Lieferbar |
| Vita | Verena Carl, Jahrgang 1969, freie Autorin in Hamburg, aufgewachsen in Süddeutschland, machte im Alter von drei Jahren erste Bekanntschaft mit Strandkörben auf der Insel Föhr, war dann bis ins Erwachsenenalter nicht mehr an der deutschen Küste und wunderte sich sehr, als sie mit über 20 feststellte: Ein Strandkorb ist gar nicht so hoch wie ein Wolkenkratzer. |
| Person | Von Verena Carl |