Kurvenzauber am Kap

Wenn Werber ein neues Automodell in Szene setzen wollen, reisen sie ans Kap der Guten Hoffnung – an den Chapman’s Peak Drive

Er hat sie fast alle gesehen, die Traumstraßen dieser Erde. Doch beim Chapman’s Peak Drive gerät SPD-Fraktionschef und Motorradfahrer Peter Struck noch heute ins Schwärmen. „Hinter jeder Kehre tut sich ein neues Wunder für die Augen auf.“

Nicht nur für die Augen, für alle fünf Sinne ist diese knapp zehn Kilometer lange Straße auf der Kap-Halbinsel immer wieder ein neues Erlebnis, eine neue Herausforderung. Der weite Blick über den Atlantik und die Küste, das Rauschen der Brandung, der Geruch des Meeres, der Geschmack des Salzes auf den Lippen, das Gefühl der Sonne auf der Haut – jedes Mal ist es anders, jedes Mal berauschend.

Das Thermometer zeigt 18,3 Grad Celsius, die Windgeschwindigkeit ist mit neun Kilometern je Stunde angezeigt, die Sicht beträgt 16,1 Kilometer. Dazu ein so unendlich weiter Himmel, wie es ihn nur in Afrika gibt. Idealer könnte der Tag nicht sein für eine Fahrt über den Chapman’s Peak Drive. „Eine der schönsten Küstenstraßen der Welt“ wird er in den meisten Reiseführern genannt. Aber welche könnte schöner sein? Keine andere schlängelt sich so nahe, so unmittelbar am Wasser entlang, hoch oben der Fels, tief unten die sich brechenden Wellen.

Start im Süden, in Noordhoek, für Insider ein Muss. Gleich hinter dem Gasthaus „Red Herring“ geht es bergauf. Ein Blick zurück: der Strand, fünf Kilometer lang, der längste am Kap, fast 200 Meter breit, weiß und unberührt. Ein paar Reiter, wenige einsame Spaziergänger, Surfer, im November die Wale. Fast lässt dieses Panorama vergessen, dass die Polizei gerade vor diesem Strand warnt: Überfälle gehören zur Tagesordnung. Das ist die andere, die hässliche Seite Südafrikas, Kapstadts vor allem und seiner Umgebung.

„Von Alfa bis Volvo – sie wollen alle hierher, um ihre neuen Modelle vorzustellen“, sagt der Reiseschriftsteller Dieter Losskarn, der selbst oft genug dabei war, wenn die aus Europa angereisten Motorjournalisten die neuen Luxusschlitten auf dem Chapman’s Peak Drive zum ersten Mal erleben durften.

Autokonzerne scheuen weder Kosten noch Mühen, wenn es um den „Chappi“ geht: 2002, die Straße war offiziell geschlossen, wurden Gerüste geräumt, halb fertige Fahrbahnteile angemalt, damit sie wie neu aussehen, Straßenbegrenzungen provisorisch angebracht – alles, um den neuen Smart-Roadster zu präsentieren. „Es musste unbedingt diese Kurve und dieser Felsen sein“, erinnert sich Fotograf Georg Fischer. Zuletzt präsentierte Jaguar vergangenen März hier den neuen E-Type.

Die Bedingungen für Werbeaufnahmen und Präsentationen sind für die Autoindustrie ideal. Mehr als sechs Monate im Jahr sind blauer Himmel und tiefblaue See garantiert. Dazu die glänzenden Karossen vor dem Hintergrund einer spektakulären Felslandschaft – das ist die Kulisse, die Werbeleute brauchen, um Begehrlichkeiten zu wecken. Hinzu kommt: Kapstadt hat sich zur begehrten Film- und Werbemetropole entwickelt. Die Produktionskosten sind niedrig, die Qualität, die die einheimischen Studios bieten, steht der in anderen Ländern in nichts nach.

Noordhoek bleibt zurück. Die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von 20 Kilometern in der Stunde lässt Muße zum Staunen. Der Leuchtturm von Kommetje, eine Kurve, rechts die schroffe Felswand des Chapman’s Peak, links der Steilhang, 150 Meter tief geht es hinunter zum Meer. Gegenüber Seal Island, die kleine Felsinsel mit ihren Hunderten Seehunden, die im Stundentakt von Ausflugsbooten angesteuert wird. Noch eine Spitzkehre, dann ist der 160 Meter hohe Aussichtspunkt Chapman’s Peak erreicht, der Scheitelpunkt der spektakulären Strecke. Gegenüber ragt der über 300 Meter hohe Sentinel steil und schroff aus dem Meer, man sieht den Karbonkelberg, den kleinen Löwenkopf und die weite Bucht von Hout Bay, das kleine Fischerstädtchen, das sich selbst zur Republik erklärt hat, unabhängig von Südafrikas „Mutterstadt“ Kapstadt.

Hier hat alles begonnen. Am 27. Juli 1607 bekam der britische Bootsmann John Chapman von seinem Kapitän den Befehl, ein Beiboot der „Contest“ klarzumachen und an Land zu gehen. Die „Contest“ hatte weit außerhalb der Bucht im Schatten des Sentinel Anker geworfen. Die Kap-Halbinsel war bei allen Kapitänen wegen ihrer gefährlichen Riffe gefürchtet. Chapman sollte auskundschaften, ob es sicheren Ankergrund, vor allem aber frisches Wasser und Proviant für die Crew gab. Er fand alles: einen sicheren Ankerplatz, frisches Wasser, leckeres Obst, jagdbares Wild. Von diesem Tag an wurde die Bucht auf allen Seekarten als „Chapmans Chaunce“ verzeichnet. Später nannte der holländische Gouverneur Jan van Riebeek sie zwar in ’t Houten Baiejtien um, in Hout Bay (Holzbucht), aber der Name des Berges blieb: Chapman’s Peak.


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mare No. 57

No. 57August / September 2006

Von Karl-Ludwig Günsche

Karl-Ludwig Günsche, Jahrgang 1941, hat fast 40 Jahre als politischer Korrespondent in Bonn, Moskau und Berlin gearbeitet, zuletzt als Leiter des Haupstadtbüros der Stuttgarter Zeitung. Seit einem Jahr lebt er in Kapstadt und schreibt nur noch über Dinge, die ihm Freude machen – wie die Begegnung mit dem Chapman’s Peak Drive.

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Vita Karl-Ludwig Günsche, Jahrgang 1941, hat fast 40 Jahre als politischer Korrespondent in Bonn, Moskau und Berlin gearbeitet, zuletzt als Leiter des Haupstadtbüros der Stuttgarter Zeitung. Seit einem Jahr lebt er in Kapstadt und schreibt nur noch über Dinge, die ihm Freude machen – wie die Begegnung mit dem Chapman’s Peak Drive.
Person Von Karl-Ludwig Günsche
Vita Karl-Ludwig Günsche, Jahrgang 1941, hat fast 40 Jahre als politischer Korrespondent in Bonn, Moskau und Berlin gearbeitet, zuletzt als Leiter des Haupstadtbüros der Stuttgarter Zeitung. Seit einem Jahr lebt er in Kapstadt und schreibt nur noch über Dinge, die ihm Freude machen – wie die Begegnung mit dem Chapman’s Peak Drive.
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