Korsar der Gewürze

Der französische Dreisternekoch Olivier Roellinger fand zu seinem gastro­sophischen Gipfel durch das Studium der Gewürze

Ehe er einer der berühmtesten Köche Frankreichs werden konnte, hat man ihn um Haaresbreite umgebracht. Wäre er dem Tod nicht von der Schippe gesprungen, hätte er allerdings nie einen Kochlöffel angefaßt. Als er den dritten Michelin-Stern bekam, schloss er wenig später sein Restaurant, denn zurückgeben kann man diese Sterne nicht. Aber Olivier Roellinger hatte schon längst eine andere Leidenschaft gefunden: das Komponieren von Gewürzen, deren Grundstoffe er selber in den entlegensten Gegenden der Welt aufspürt und einkauft. Sie heißen „Feenpuder“ und „Grande Caravane“, „Rêve de Cochin“, „Vergessener Schatz“ oder „Gewürz des Windes“ und schmecken so fantastisch, wie sie heißen.

Hunderttausende Franzosen und Touristen, die sich den Besuch von Sternelokalen nur selten leisten können, shoppen dafür dankbar Roellingers Sternschnuppen, online oder in den Boutiquen von Cancale, Saint-Malo und Paris. Sie schnüffeln sich in der Alibaba-Höhle durch 17 Vanillesorten und verfallen in Kaufrausch vor den Regalen mit Dutzenden von Pfeffern aus aller Herren heißer Länder.

Diese Erfolgsgeschichte beginnt und spielt bis heute in der Bucht des Mont-Saint-Michel. Im Hafenstädtchen Cancale, wo Roellinger seit seiner Geburt 1955 so festgekrallt lebt wie die berühmten Felsenaustern dort. Am Anfang steht ein Kindheitsidyll wie aus einem Pilcher-Film.

Der Vater ist Arzt, die Mutter schön. Sie führen ein gastliches Haus; das Lachen, Gläserklingen und die Düfte aus Küche und Esszimmer sind die schönste Einschlafgeschichte für den Jungen eine Etage derüber. La Maison de Bricourt ist eine malounière, eines dieser von Reedern aus Saint-Malo erbauten Landhäuser des 18. Jahrhunderts. Der Nachkömmling Olivier ist das Herzblatt seiner Mutter, was die zwölf Jahre ältere Schwester und der Vater mit gemischten Gefühlen sehen.

Um ihn vom Rockzipfel der Mutter zu lösen, schickt der Vater ihn mit zwölf nach Saint-Malo aufs Internat. Dort studiert er Landkarten und verschlingt Fernwehbücher, mit denen er sich wegträumt. Entdeckt Helden, die ihn für immer begleiten werden: Magellan, Vasco da Gama, Kolumbus.

In den Sommerferien 1969 kommt Olivier vom Segeln nach Hause und platzt in eine Szene, die er nie vergisst und nie verzeiht: Kühl erklärt der Vater seiner in Tränen aufgelösten Frau, dass er eine andere habe und die Scheidung einreiche.

Die Mutter macht eine Depression durch, der Sohn schwört sich und ihr, sie nie zu verlassen. Mit dem einst bewunderten Vater wird er 40 Jahre lang kein Wort sprechen und das Trottoir wechseln, wenn er ihm in Cancale begegnet. Mit 14 wird aus dem Muttersöhnchen über Nacht der Mann im Haus. Und Suzy Roellinger ist klug oder unglücklich genug, um sich von der Glucke in die beste Freundin ihres Sohnes zu verwandeln und ihm lange Leine zu lassen. Der knattert erst mit frisierten Mopeds herum, später mit einer Yamaha 750 bis Jugoslawien und Ungarn, durch Irland und Schottland, Polen und Rumänien. Und beschließt, Ingenieur zu werden.

Am 30. Mai 1976, einem Samstag, ist Olivier Roellinger mit seiner 420er-Jolle (die ihm sein Vater im vergeblichen Versuch einer Versöhnung gekauft hatte) in Saint-Malo zu einer zweitägigen Segelregatta. Es ist unglaublich heiß, der Törn war anstrengend, Olivier geht nicht mit der Clique feiern, sondern will schlafen. Sein Bett steht in dieser Nacht in der Nähe des historischen Fischmarkts von Saint-Malo bei einem Segelfreund. Als der im Morgengrauen nach Hause kommt, findet er Olivier Roellinger in einer riesigen Blutlache auf der Türmatte. Doppelter Schädelbruch, doppelter Beckenbruch, offene Trümmerfrakturen an beiden Beinen und fast kein Pulsschlag mehr.

Wer hat warum den 20-jährigen Studenten und Sonnyboy mit einer Eisenstange so zugerichtet und, totgeglaubt, wie Abfall liegen lassen? Die Fragen werden weder von der örtlichen Polizei noch von hinzugezogenen Spezialisten aus Paris je geklärt. Die Tat geschah nahe der damals berüchtigten rue du soif, der Straße des Durstes, mit ihren Spelunken, in denen es die Leute mit chinesischen Affen halten und nie etwas sehen, hören oder sagen. Nur so viel: Es waren fünf Jugendliche von 16 bis 18 Jahren.

Roellinger interessiert sich weder für die Identität noch das Motiv der jugendlichen Monster. Er ist vollauf beschäftigt mit dem Versuch zu überleben, die drohende Beinamputation zu verhindern. Zwei Jahre Krankenhäuser, immer wieder Knochentransplantationen und Reha und die Zukunft ein großes Loch. Das Studium hat er abgeschrieben. Er zieht, zunächst noch im Rollstuhl, zurück zur Mutter.


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mare No. 131

No. 131Dezember 2018 / Januar 2019

Von Paula Almqvist und Nicole Strasser

Paula Almqvist lebt seit vielen Jahren im Spagat zwischen Hamburg und dem normannischen Hafendorf Regnéville-sur-Mer – unweit des Roellinger-Imperiums also, wo sie schon einmal einen runden Geburtstag feierte, als Roellinger noch in der Oberliga kochte.

Nicole Strasser, geboren 1975, studierte Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover. Seit 2009 arbeitet sie als freie Fotografin.

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Vita Paula Almqvist lebt seit vielen Jahren im Spagat zwischen Hamburg und dem normannischen Hafendorf Regnéville-sur-Mer – unweit des Roellinger-Imperiums also, wo sie schon einmal einen runden Geburtstag feierte, als Roellinger noch in der Oberliga kochte.

Nicole Strasser, geboren 1975, studierte Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover. Seit 2009 arbeitet sie als freie Fotografin.
Person Von Paula Almqvist und Nicole Strasser
Vita Paula Almqvist lebt seit vielen Jahren im Spagat zwischen Hamburg und dem normannischen Hafendorf Regnéville-sur-Mer – unweit des Roellinger-Imperiums also, wo sie schon einmal einen runden Geburtstag feierte, als Roellinger noch in der Oberliga kochte.

Nicole Strasser, geboren 1975, studierte Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover. Seit 2009 arbeitet sie als freie Fotografin.
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