Konstruierte Schiffe

Lyonel Feininger malte in seinem Leben immer wieder Segelschiffe. Sein Sohn beschreibt, wie es dazu kam

Deutschland und New York, Kunst und Schiffe: Die Bindungen zwischen Lyonel Feininger und seinem Sohn T. Lux Feininger sind eng, die Interessen ähnlich. Der Vater, 1871 in New York geboren, zog 1887 nach Deutschland und wurde als Maler weltberühmt, auch als Schiffsmaler. Als Leiter der graphischen Werkstatt am Bauhaus in Dessau ab 1919 hat er die ästhetische Entwicklung der Moderne in Deutschland geprägt. Der Sohn sagt von sich selbst: „Ich wuchs mit und am Bauhaus auf.“

Lyonel Feininger gab die Liebe zur See an seine Kinder weiter. Die gemeinsamen Urlaube waren prägend für sein eigenes Schaffen; die Schiffszeichnungen der Söhne sollen seinen Stil bis in die zwanziger Jahre hinein beeinflusst haben. 1937 zog er nach New York, wo er 1956 starb.

Theodore Lux Feininger wurde 1910 als jüngstes Kind von Julia und Lyonel Feininger in Berlin geboren. Er studierte Bühnenbild bei Oskar Schlemmer am Bauhaus und wandte sich danach erst der Malerei zu. Wie seinen Vater faszinierten ihn Schiffe. Er verließ Deutschland schon früh, ging 1932 nach Paris und zog 1936 nach New York, wohin auch seine Eltern ein Jahr später übersiedelten.

T. Lux Feininger, wie er sich als Künstler nannte, beschritt in der Folge einen ganz eigenen künstlerischen Weg (vgl. in diesem Heft „Schatztruhe“, Seite 83). Er stellte seine Werke unter anderem auch im Museum of Modern Art in New York aus. Heute lebt der 90-Jährige in Cambridge, Massachusetts; für mare hat er die Auszüge aus den Briefen seines Vaters selbst übersetzt.

Das Bild von Vater und Sohn stammt von Andreas Feininger, Lyonels ältestem Sohn und einem der bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts. Zora del Buono


Von T. Lux Feininger

Der Mann muss viel von Schiffen verstanden haben.“ So wurde ich, damals fünfzehn Jahre alt, von einem grauhaarigen Herrn angeredet, der die in der Galerie Neue Kunst zu Dresden ausgestellten Bilder von Lyonel Feininger mit großem Ernst und, wie mir schien, mit einiger Strenge betrachtete. Schon damals, 1925, war mir bewusst, dass manche ältere Herren und auch Andere der modernen Kunst nicht hold waren. Mit Erleichterung konnte ich deshalb versichern, dass dies tatsächlich der Fall war.

Ja, der Mann verstand viel von Schiffen. Wie wichtig sie ihm waren, geht aus einem Brief an mich hervor, den er mit einer Illustration versah, auf der eine Dreimastbark dargestellt ist:

„Dieser alte Windjammer hier – wie oft habe ich diese Bark beim Segeln vor Swinemünde beobachtet, gemächlich ein Segel nach dem anderen setzend. Durch meinen ,Zeiss‘ konnte ich ameisenhafte Figuren in der Takelage ausmachen ... Liebevoll sah ich sie an der Kimm entlang kriechen ... Wenn es vorkam, dass ein Fischerboot im Mittelgrund eine Sekunde lang, die Schiffs-Silhouette überschneidend, gegen diese sich anhob – das war ein Anblick, der fähig war, Einem Tränen des reinsten Glücks zu entlocken ...“ (25. November 1939)

Es ist für Lyonel Feiningers Schiffsliebe charakteristisch, dass er in all der Zeit, mehrere Sommer lang, die er in Heringsdorf zubrachte, nie in Versuchung kam, den Namen und Heimathafen oder die Ladungen der Bark zu ermitteln. Er wollte nur die Erscheinung, das Ding an sich, keine statistischen Daten. Die „norwegische Bark“ erscheint auf einer Anzahl von Kompositionen, zum letzten Mal noch in den New Yorker Jahren.

Von Jugend an war Léonell, wie er damals genannt wurde, interessiert an mechanischen Objekten und Vorgängen. Wie er später in einem Brief schrieb, liebte er „das Konstruieren“. Seinem Vater war dies nicht recht. Er nannte es „Bastelei“ und Zeitverschwendung für einen angehenden Violinisten. Eine Zeitlang hat er es sogar verboten. Wie sehr auch Lyonel die Musik liebte, entschied er sich doch schon bald nach seiner Ankunft in Deutschland 1887 für das „Konstruieren“.

In New York waren es vor allem die Modell-Segelyachten gewesen, die er am Modellyacht-Teich im Central Park bewunderte. Diese waren die Erzeugnisse einer Gruppe von Schiffskapitänen im Ruhestand und Miniatur-Repliken der großen Yachten, der „Cup Defenders“ der achtziger Jahre. 1885, 1886 und 1887 musste der berühmte America’s Cup gegen die englische Herausforderung verteidigt werden. Die Regatten wurden von der breiten Öffentlichkeit mit passionierter Anteilnahme verfolgt. Die nie gänzlich verschwundene Rivalität zwischen England und den Vereinigten Staaten kam hierbei zum Ausdruck.

Die Schiffe im Hafen hat mein Vater in einem Brief an mich beschrieben. 1980 erschien bei Dover Publications der Bildband „Maritime New York“ von Johnson und Lightfoot. Man muss diese einzigartigen Fotografien der „Lightfoot Collection“ gesehen haben, um die Macht der Beschwörung zu würdigen, die aus diesem Brief klingt:

„Gestern auf der South Street, gegen elf Uhr vormittags, war der Ausblick auf die Skyscrapers an diesem wolkenlosen Tag, im Westen gegen den zartblauen Himmel, ganz herzbrechend schön. Ich sage dies, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass ich lange genug leben werde, um dieses Bild, so wie es sein sollte, zu malen. Und der East River flammte von Reflexen und Sonnenglanz; das Ufer gegenüber war voll von riesigen Liberty- und Victory-Ships. Sie gemahnen mich, diese Reihen graziöser Rahsegler zu rekonstruieren.

In jenen alten Zeiten war die South Street bis zum Bersten gefüllt von Fahrzeugen aller Art, und der Lärm der eisenbeschlagenen Räder und der Hufeisen der Gespanne war ohrzerreißend und durchdrungen von den Ausrufen der Höker. Es war schwer, auf dem Kopfsteinpflaster voranzukommen; immer war es feucht, schlüpfrig von Obst- und Grünzeugresten, übersät von zertrümmerten Kisten, verstellt von Tonnen, toten Katzen etc. Aber an der Kante des Kais standen die Schiffe in stattlichen Reihen. Ihre Bugspriete ragten fast bis zu den Fenstern der gegenüberliegenden Häuser ...“ (25. November 1943)

Trotz seiner Vorahnungen gelang es ihm, die Skyline bildnerisch zu gestalten; die Rahsegler dagegen blieben nur als Erinnerungsbild bestehen. Von den Schiffen aus seiner Jugendzeit bestehen zwei Kompositionen (1940 und 1947) des populärsten der Hudson River Steamers, der „Mary Powell“.

Der Hauptteil der Beobachtungen von Schiffsfahrzeugen kommt aus verschiedenen Zeiten und mehreren Badestränden und ist auf zahlreichen Skizzen zu sehen. Der niedrige Blickpunkt vom Ufer verkürzt die Wasserfläche, die von den Fußspitzen bis zum Horizont reicht. Dort stehen die Schiffe, aber hier sind Figuren: Zwischen diesen Polaritäten sind Beziehungen das raumbildende Element.

In Lyonel Feiningers Frühzeit waren derartige Szenen „Biedermeier“, nach dem Stil sowohl der Kostüme als des Schiffbaus. Später treten Heringsdorfer Sommerfrischler und Badegäste auf, und von 1918 an entstanden Holzschnitte mit Schiffen und symbolischen „zelosen“ Anglern mit ihren steil in die Höhe ragenden Ruten, die an die Lanzen der Spanier in Velásquez’ „Übergabe von Breda“ erinnern.

Auch der Bau und das Segeln von eigenen Modellyachten hat zu des Malers Repertoire beigetragen. Eine Wiederbelebung der Jugendliebe fällt zusammen mit der Entdeckung von Deep an der Regamündung ab 1924 als Sommeraufenthalt. In den späteren zwanziger Jahren entstanden nicht nur neue Boote, sondern auch Fotografien vom Segeln auf Flüssen und Ostsee. Einige solcher Aufnahmen wurden zu Bildkompositionen. Es ist interessant, dass mein Vater in dieser Periode sein altes Vorurteil gegen die „Marconi-“ oder sogenannte Hochtakelung aufgab und einige ganz moderne Yachtbilder malte, z. B. die Schärenkreuzer.

Wenn man die Frage stellen will, in welcher Beziehung der „marine Aspekt“ und der „architektonische Aspekt“ in Lyonel Feiningers Werk steht, so scheint es mir, dass Letzterem der Vorrang zu geben ist. In den Dorfbildern entwickelte er seine Formensprache der kristallischen Durchdringung, während die Schiffsbilder näher mit den frühen Karikaturen verwandt sind. In ihnen liegt mehr von der Darstellung eines identifizierbaren Objekts; die Dorfbilder dagegen verdanken ihr Zustandekommen inneren, seelischen Vorgängen.

In den Ölgemälden der See ist das eigentliche Thema der atmosphärische Raum, aus welchem heraus das Schiff geboren wird. Am besten „fährt“ das Schiff in des Malers Werk, wenn es als Motiv von allem anekdotischen Beiwerk befreit ist. Das beste Beispiel hierfür sind meines Erachtens die Holzschnitte; in ihnen spricht „das Ding an sich“ am klarsten.

mare No. 20

No. 20Juni / Juli 2000

Von T. Lux Feininger

Theodore Lux Feininger wurde 1910 als jüngstes Kind von Julia und Lyonel Feininger in Berlin geboren. Er verließ Deutschland schon früh, ging 1932 nach Paris und zog 1936 nach New York. T. Lux Feininger, wie er sich als Künstler nannte, stellte seine Werke unter anderem auch im Museum of Modern Art in New York aus. Bis zu seinem Tod 2011 lebte er in Cambridge, Massachusetts.

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Vita Theodore Lux Feininger wurde 1910 als jüngstes Kind von Julia und Lyonel Feininger in Berlin geboren. Er verließ Deutschland schon früh, ging 1932 nach Paris und zog 1936 nach New York. T. Lux Feininger, wie er sich als Künstler nannte, stellte seine Werke unter anderem auch im Museum of Modern Art in New York aus. Bis zu seinem Tod 2011 lebte er in Cambridge, Massachusetts.
Person Von T. Lux Feininger
Vita Theodore Lux Feininger wurde 1910 als jüngstes Kind von Julia und Lyonel Feininger in Berlin geboren. Er verließ Deutschland schon früh, ging 1932 nach Paris und zog 1936 nach New York. T. Lux Feininger, wie er sich als Künstler nannte, stellte seine Werke unter anderem auch im Museum of Modern Art in New York aus. Bis zu seinem Tod 2011 lebte er in Cambridge, Massachusetts.
Person Von T. Lux Feininger