Kleine Fische unter alten Räubern

Ein bulgarisches Strandlokal ohne Strand – aber mit Herz und der feinsten Makrele weit und breit

„Fisch? Gibt es ja kaum noch“, sagt Kristina Filipowa und blickt ihren Mann Krassimir an. „Jedenfalls nicht im Schwarzen Meer“, sagt er. „Natürlich bieten wir Fisch an, sehr frisch, aber unsere Fische sind klein, nichts Besonderes. Auf die Zubereitung kommt es an.“ Dann blickt er zu seiner Frau. Sie ist für die ­Speisekarte verantwortlich.

Wie ein frisch verliebtes Paar sitzen die beiden im „Startsi Razboynitsi“ (frei übersetzt: Alte Räuber), dabei leben sie schon seit elf Jahren zusammen, hier im bulgarischen Fischerdorf Warwara. Kris­tina und Krassimir – beide sehen sich als Lebenskünstler, und das Restaurant wirkt wie ihr gemeinsames Kind.

Das Interieur ist Ausdruck ihres Lebensgefühls, alternativ, jenseits des bul­garischen Mainstreams. Die abgezogenen Holztische sind dezent bemalt, in winzigen Vasen leuchten frische Blumen; kein Teller, kaum ein Besteck gleicht dem anderen. Und doch fügt sich alles zusammen zu einem liebevollen Ensemble – maritim bis in seine Details: die kleinen Ölgemälde am Eingang oder eine Miniaturschatzkiste aus Messing, in der die Rechnung gebracht wird.

Kristina ist 41 und stammt aus dem kleinen Warwara mit seinen gerade einmal 250 Einwohnern, bekannt für seine Kolonie von Künstlern und Intellektuellen, die es in den 1970er- und 1980er-Jahren an die Schwarzmeerküste zog und die in Warwara damals „The Sea Club“ bevölkerten, ein Haus, das von der Akademie der Künste in Sofia unterhalten wurde.

Ehe sie Krassimir kennenlernte, war Kristina mit einem Maler aus einer Künstlergruppe zusammen, die sich „Startsi Razboynitsi“ nannte. „Daher also stammt der Name unseres Restaurants“, erzählt Krassimir, 53, der an einer Militärschule Bauwesen studierte und Ingenieur wurde, bevor er nach dem Fall der Mauer nach Deutschland ging und im Hotel „Seestern“ in Travemünde als Barmann jobbte. Aber da habe er sich als „Asylant“ nicht wirklich frei gefühlt. Mit Deutschland verbindet er eher Technik. Sein eigenes Boot, mit dem er privat zum Angeln hinausfährt, stammt aus der DDR – angetrieben von einem Wartburg-Motor. In Bulgarien dann hatte er eine Baufirma. Und irgendwann an der Küste traf er Kristina.

Ist das gemeinsame Lokal also eine Art Lebenstraum, den die beiden sich in zweiter Ehe erfüllen? „Nein, kein Traum“, sagt Krassimir, „das hier ist gelebte Realität und viel Arbeit. Es passiert einfach, wie im Fluss.“

Den „Sea Club“ gibt es längst nicht mehr, dafür das „Alte Räuber“, wo jetzt Songs von Nina Simone und Cesária Évora aus den Lautsprechern klingen. Eine Frau in Flipflops und Strandkleid platziert die ankommenden Gäste: Agnes, 27, die Tochter aus Krassimirs erster Ehe, geboren in Neumünster. Im Winter lebt sie in Sofia, genau wie ihr Kollege an der Bar, im Hauptberuf Architekt. Bis auf die Köchin stammt das ganze Personal aus der Hauptstadt, auch die Gäste kommen eher aus Sofia, darunter in Bulgarien bekannte Schauspieler, die an der Küste ihre Sommerfrische genießen, hier, kurz vor der Grenze zur Türkei, im südöstlichsten Zipfel der EU, wo es keine Pauschalurlauber gibt – die tummeln sich weiter nördlich.

Sie würden wohl auch kaum ins „Star­tsi Razboynitsi“ passen. Das Lokal bietet keinen Meerblick und eine betont ein­fache Küche, nicht teurer, aber frischer als die Restaurants der Hotelburgen von Sonnenstrand bis Goldstrand. Kristina und Krassimir machen keine Reklame, nicht einmal eine Website gibt es, und doch muss man zwei Tage vorher reservieren, um einen Tisch auf der Terrasse unter dem lauschigen Blätterdach oder überhaupt nur einen Platz am Eingang zu kriegen, dann mit Blick auf eine staubige Straße.

Der bulgarische Geheimtipp gewinnt seine Magie aus dem Künstlerflair mit kulinarisch regionaler Ausrichtung und ökologischem Bewusstsein. Nur noch wenige Arten werden im Schwarzen Meer kommerziell gefischt. Im „Startsi Razboynitsi“ wird neben Muscheln oder Grundeln die Gemeine Bastardmakrele (Trachurus trachurus) serviert: ein kleiner, eher fetter Fisch, den man früher zu Fischmehl verarbeitet hat. Bei den „Räubern“ taucht er als Delikatesse auf dem Teller auf, dazu gibt es Skordalia: eigentlich ein griechischer Dip, im „Startsi Razboynitsi“ zubereitet natürlich nach Kristinas Rezept.


Bastardmakrele mit Skordalia

Zutaten und Zubereitung (für vier Personen)
Je Person etwa 250 Gramm Bastardmakrele ausnehmen, abspülen und abtupfen. Die Fische grillen, bis sie durch sind und die Haut knusprig ist. Danach kurz in die Marinade (Weißweinessig, Olivenöl, Dill, Salz, Pfeffer und Knoblauch) tauchen und sofort servieren. Für die Skordalia 2 bis 3 Knoblauchzehen schälen und sehr fein hacken. Etwa 200 Gramm Weißbrot entrinden und in Weißweinessig einweichen. Die Masse gründlich ausdrücken und mit dem Knoblauch vermengen. Mit Olivenöl und frisch gemahlenem weißem Pfeffer zu einem cremigen Dip verrühren.

Startsi Razboynitsi (Alte Räuber)
Pawel-Weschinow-Str. 4, Warwara, Bulgarien; Tel. +359/89/8657769; im Sommer täglich geöffnet von 12 bis 24 Uhr.

mare No. 151

mare No. 151April / Mai 2022

Von Roland Brockmann

Roland Brockmann, Jahrgang 1961, lebt in Berlin als unabhängiger Journalist, Fotograf und Video Producer. Bei mare war er an den ersten internationalen Reportagen beteiligt, heute schreibt er dort vor allem Buchrezensionen. 2018 erschien sein erstes eigenes Buch: Real People of East Africa (Photo Edition Berlin).

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Vita Roland Brockmann, Jahrgang 1961, lebt in Berlin als unabhängiger Journalist, Fotograf und Video Producer. Bei mare war er an den ersten internationalen Reportagen beteiligt, heute schreibt er dort vor allem Buchrezensionen. 2018 erschien sein erstes eigenes Buch: Real People of East Africa (Photo Edition Berlin).
Person Von Roland Brockmann
Vita Roland Brockmann, Jahrgang 1961, lebt in Berlin als unabhängiger Journalist, Fotograf und Video Producer. Bei mare war er an den ersten internationalen Reportagen beteiligt, heute schreibt er dort vor allem Buchrezensionen. 2018 erschien sein erstes eigenes Buch: Real People of East Africa (Photo Edition Berlin).
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