Kleckern und klotzen

Man muss kein Alchimist sein, um aus Schmutz Gold zu machen, vorausgesetzt, es handelt sich dabei um Vogelmist

Was den wahren Entdecker auszeichnet, ist die Gabe, das Neue und Bedeutende überhaupt zu erkennen. Alexander von Humboldt war damit gesegnet wie nur wenige Menschen. 1799 schifft er sich nach Südamerika ein, um den Kontinent von Ost nach West zu queren. Unterwegs klettert er auf höhere Berge als je ein Mensch zuvor, er beschreibt Pflanzen, Tiere und Mineralien, die noch kein Europäer zu Gesicht bekommen hat, er fertigt Karten von Regionen an, die kein Forscher vor ihm betreten hat. Dann steht er vor einem Acker in Peru und beobachtet, wie die Bauern eine gelbliche Substanz hinter dem Pflug in die Furchen krümeln. Huanu sagen die Einheimischen dazu, Guano die spanischen Kolonialherren – in der Übersetzung Mist, mit dem man düngt. Humboldts Wissbegier bleibt auch beim scheinbar Nichtigen hellwach. Ein Dünger? Ja, sagen die Bauern, Vogelkot von den Inseln, er macht die Erde fett und fruchtbar.

Der preußische Naturforscher füllt einen Beutel mit dem übel riechenden huanu, und so gelangt der peruanische Mist 1805 nach Europa. Humboldt schickt die Probe umgehend zur Analyse nach Paris, an zwei der wichtigsten Chemiker seiner Zeit: Antoine François Comte de Foucroy lehrt an der Hochschule für Medizin; Louis Nicolas Vauquelin, Entdecker der Elemente Beryllium und Chrom, unterrichtet am Jardin des Plantes Botaniker. Beide Wissenschaftler weisen Harnsäure in der Probe nach und liefern damit die Bestätigung, dass es sich um tierische Exkremente handelt.

Bleibt die Frage, woher die ungeheuren Mengen stammen, von denen die Peruaner Humboldt berichtet haben. Deuten sie, mutmaßt der Forscher in einem Brief an den Berliner Chemieprofessor Martin Heinrich Klaproth, „auf eine Epoche, in der es auf dem überschwemmten Erdkörper eine noch größere Menge Wasservögel gab als jetzt; gleichsam wie eine Steinkohlenformation auf eine ungeheure Üppigkeit alter Vegetation hinweist? Oder ist der Guano in einem Zustand der Dinge entstanden, welcher ganz dem jetzigen ähnlich ist, und haben nur viele Jahrtausende dazu gehört, um ihn stratum super stratum zu solchen Schichten anschwellen zu lassen? Ich wage keine bestimmte Meinung darüber zu äußern“.

Beide Hypothesen liegen nicht weit von der Wahrheit, denn die Formationen weisen tatsächlich auf eine „ungeheure Üppigkeit“ hin. Nirgendwo versorgt der Ozean seine Bewohner so großzügig wie im Auftriebsgebiet vor der südamerikanischen Westküste. Der Südostpassat drückt die Wassermassen in Richtung Asien, vor Peru und Chile steigt aus der Tiefe kaltes, nährstoffreiches Wasser nach. Plankton wächst und gedeiht, Fische fressen sich satt, es ist ein Paradies für Seevögel wie Kormoran, Tölpel und Pelikan. In riesigen Kolonien bevölkern sie die felsigen Ufer, sie fressen, verdauen – und scheißen. Jeder Vogel produziert jeden Tag im Schnitt 43 Gramm Kot. Die Binsenweisheit, wonach auch Kleinvieh Mist macht, findet ihre eindrucksvolle Bestätigung, wenn sich 20 Millionen Vögel daran halten. 20 Millionen mal 43 Gramm macht 860 Tonnen am Tag, mehr als 300000 Tonnen im Jahr.

Im Lauf der Jahrtausende, siehe Hypothese Nummer zwei, sammeln sich so mächtige Schichten an, vor allem wenn das Klima die Entstehung der Formationen begünstigt. Kormorane, Möwen und Pelikane kleckern auf viele Küsten, aber wo es regnet, wäscht der Guano wieder aus. An den Ufern von Peru und Chile hingegen ist Wüste, Trockenzeit das ganze Jahr. Der Vogelkot klebt fest am Fels, kein Gramm geht verloren, und so wachsen die Ablagerungen an manchen Stellen auf eine Stärke von mehr als 50 Metern an. Bis der Mensch mit Hacke und Schaufel anrückt.

Die Bewohner dieser unwirtlichen Küste bedienen sich bereits seit 2000 Jahren auf den Guanoinseln. Vogelmist macht unsere Felder fett und fruchtbar. Ist das nicht ein Wunder, ein Geschenk des Himmels? Bevor die Inka in die Guanoklippen klettern, bringen sie dem Gott Huamancantac ihre Opfer, und sie sind dabei nicht geizig. Archäologen finden auf allen wichtigen Guanoinseln Opfergaben aus Silber. Allerdings vertrauen die Jünger Huamancantacs nicht allein göttlicher Vorsehung. Der Abbau ist strengen Regeln unterworfen, der Zugang zu den Inseln bewacht. Und wehe, jemand stört die Vögel während der Brutzeit oder tötet gar einen Vogel. So wichtig ist den Menschen der schonende Umgang mit dem Dünger, erklärt Inka-Chronist Garcilaso de la Vega 1606, dass Verstöße gegen die huanu-Gesetze mit dem Tod bestraft werden.


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mare No. 53

No. 53Dezember 2005 / Januar 2006

Von Olaf Kanter

Olaf Kanter, Jahrgang 1962, ist mare-Redakteur für Wirtschaft und Wissenschaft.

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