Kinder impfen die Welt

Die Erfindung der Pockenimpfung war lebensrettend. Aber zuvor musste ein Weg gefunden werden, das Vakzin über die Meere zu schaffen

Die Schauergeschichten über die Pockenepidemien kannte der deutsche Forschungsreisende Alexander von Humboldt nicht nur aus seiner Heimat. Sie waren ihm auch während seiner Expedition durch Latein- und Nordamerika (1799–1804) immer wieder zu Ohren gekommen. Die hoch ansteckende Krankheit habe dort 1763 und besonders 1779, so schreibt er in einem Reisebericht, „erschreckliche Verwüstungen angerichtet. Im lezteren Jahr rafften sie blos in der Hauptstadt von Mexico über neuntausend Menschen hin“. Im spanischen Vizekönigreich Neugranada, dem heutigen Kolumbien, Venezuela, Ecuador und Panama, sind die Verluste mit Tausenden Toten in dieser Zeit so verheerend, dass der Vizekönig dort 1802 die spanische Krone um Hilfe bittet.

Auch in der Alten Welt haben die Pocken im 18. Jahrhundert bereits Millionen Leben gekostet. Die Sterblichkeitsrate der häufigsten Form, Variola major, liegt bei etwa 30 Prozent, bei den hämorrhagischen Pocken bei 90 Prozent. Viele Überlebende waren nach dem Befall blind, taub, gelähmt oder behielten, wie zum Beispiel Wolfgang Amadeus Mozart, Elizabeth I., George Washington und später Josef Stalin, hässliche Narben zurück, die die eitrigen, erbsengroßen Beulen am ganzen Körper hinterlassen.

Spaniens Regent Carlos IV. hat nicht nur einen Onkel, einen Bruder samt dessen Frau und ihr Neugeborenes an die Pocken verloren. Er musste auch mitansehen, wie die Krankheit 1798 seine Tochter María Luisa entstellte. Und natürlich hat er ein wirtschaftliches Interesse daran, dass die Untertanen in der Kolonie gesund bleiben und ihm Steuern und Rohstoffe einbringen. Zum Glück gibt es Hoffnung. Wenige Jahre zuvor hat im englischen Örtchen Berkeley bei Bristol der Landarzt Edward Jenner erstmals den Beweis dafür erbracht, dass ein Impfstoff gegen die Pocken existiert. Zuvor hatten Heiler weltweit bereits versucht, Menschen durch sogenannte Variolation vor der Krankheit zu schützen – etwa in China, wo schon 1000 Jahre zuvor pulverisierter Schorf von Pockenwunden geschnupft wurde, oder in Indien, dort brachten Brahmanenpriester Schorf in die geritzte Haut ein. Nach dieser künstlichen Ansteckung verlief die Krankheit meist milder, der Patient erkrankte bei einer späteren Epidemie gar nicht oder weniger schwer.

Dennoch war diese Art der Immunisierung riskant und im schlimmsten Fall tödlich. Ende des 18. Jahrhunderts streiten Gelehrte leidenschaftlich über das Für und Wider der Immunisierung. Die europaweite Debatte wird auch durch Jenners wegweisende Studie befeuert. Er entwickelte einen weit weniger gefährlichen Impfstoff. Wie einige Zeitgenossen hatte er beobachtet, dass sich viele Milchmägde mit den harmlosen Kuhpocken ansteckten und danach meist von den echten Pocken verschont blieben. Am 14. Mai 1796 entnahm er bei einer Melkerin, die sich mit Kuhpocken infiziert hatte, Wundsekret aus einer Pustel und übertrug die Krankheitserreger auf den achtjährigen Sohn eines Landarbeiters aus der Nachbarschaft, James Phipps. Einige Wochen später führte er einen riskanten Test durch: Er brachte über Einstichstellen und Schnitte echte Pockenviren in den Körper des Jungen. Und tatsächlich: Das jetzt mit dem Erreger vertraute Immunsystem machte die Viren unschädlich. Zwei Jahre lang wiederholte er den Versuch an anderen Kindern, unter anderem an seinem elf Monate alten Sohn. Der erste wissenschaftliche Beweis war erbracht, dass es einen vergleichbar sicheren Impfschutz gegen Pocken gibt. Er nannte ihn „Vakzination“, vom lateinischen Wort „vacca“ für Kuh. 
 

Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 144. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 144

mare No. 144Februar / März 2021

Von Silvia Tyburski

Silvia Tyburski, Jahrgang 1976, arbeitet als Journalistin in Hamburg. Sie hat sich Anfang 2020 gegen FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis) impfen lassen, die von Zecken übertragen wird, um sicher auf Bornholm Urlaub machen zu können. Der fiel dann pandemiebedingt ins Wasser.

Mehr Informationen
Vita Silvia Tyburski, Jahrgang 1976, arbeitet als Journalistin in Hamburg. Sie hat sich Anfang 2020 gegen FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis) impfen lassen, die von Zecken übertragen wird, um sicher auf Bornholm Urlaub machen zu können. Der fiel dann pandemiebedingt ins Wasser.
Person Von Silvia Tyburski
Vita Silvia Tyburski, Jahrgang 1976, arbeitet als Journalistin in Hamburg. Sie hat sich Anfang 2020 gegen FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis) impfen lassen, die von Zecken übertragen wird, um sicher auf Bornholm Urlaub machen zu können. Der fiel dann pandemiebedingt ins Wasser.
Person Von Silvia Tyburski