Keine Schnapsidee

Manche Spirituose geht mit Frachtern auf Seereise. Das Schaukeln der Fässer hat durchaus positive Auswirkungen auf den Inhalt

Was Abenteuer mit sich bringen? Na, dass man ins Wanken gerät! Im Guten wie im Schlechten. Auch deshalb macht man sich ja oft auf den Weg. Weil jedes Abenteuer ein Tänzchen mit dem Schicksal ist – voller Unwägbarkeiten und Überraschungen, aber stets mit dem Versprechen neuer Chancen, einer Geschichte, die man hinterher erzählen kann, und im besten Fall: dem Gewinn neuer Reife. Das ist des Abenteuers Lohn. Und es gilt nicht nur für Menschen, es gilt auch für Spirituosen, die im Fass auf Seefahrt gehen.

„Wir wissen nicht genau, von wem die ersten Fässer an Bord von Schiffen gehievt wurden und wann man feststellte, dass sie auf See auf besondere Weise reifen“, sagt Jürgen Deibel aus Hannover, ein Mann mit feinst ausgebildetem Gaumen. Der studierte Chemiker ist Cognac-, Sherry- und Aquavit-„Educator“, schreibt Fachbücher, veranstaltet Seminare und Tastings, berät die Industrie und hilft bei der Entwicklung neuer Produkte. Bei vielen Spirituosenmarken, erzählt er, liege der Seetransport in der Geschichte der Unternehmen begründet.

So etwa Linie Aquavit, jenes mit Kümmelsamen aromatisierte Kartoffeldestillat aus Norwegen. Dessen Legende, die sich auf der Rückseite jeder Flasche befindet, lautet: Die norwegische Handelsfamilie Lysholm schickte im Jahr 1805 per Schiff Ware aus ihrem Heimatland nach Ostasien – darunter fünf Sherryfässer aus Eichenholz, gefüllt mit Aquavit. Ein Fass jedoch wurde nicht verkauft. Es segelte wieder heimwärts und schmeckte bei Ankunft ausbalancierter. Seither gibt es den Linie Aquavit, der zweimal den Äquator (die Nulllinie) überquert.

„Aber auch die Hersteller von Cognac begannen im 19. Jahrhundert, ihre Fässer gezielt über See zu transportieren“, sagt Deibel. Mit ähnlichem Ergebnis. Heute gibt es längst diverse Spirituosen, die allein des Geschmacks wegen eine Reise antreten – Cognacs wie die von Kelt etwa, die drei Monate auf See unterwegs sind, oder Jefferson’s Ocean Aged at Sea, ein Bourbon, der sechs bis acht Jahre lang in Lagerhäusern in Kentucky reift und dann noch einmal zehn Monate auf dem Meer.

Doch was genau macht die See mit der Spirituose? Damit überhaupt etwas passiert, sagt Deibel, müssten die Fässer unbedingt in Containern mit Belüftung transportiert werden. Denn wie käme es sonst zur gewünschten Berührung von Mikroklima und Alkohol? Das Salz der See, die Feuchtigkeit, die Temperaturen – all das sind gewünschte Einflussfaktoren. Daher spiele es auch eine Rolle, wo auf dem Schiff die Container verstaut sind. Sind sie unter Deck, hat das Mikroklima logischerweise kaum Effekt. Sie müssen vielmehr an Deck und dort am Bug oder Heck stehen – auch weil dort die Schwingung des Schiffs, die Amplitude, am größten ist. Denn worum geht es, wenn Spirituosen auf Seefahrt sind?

„Darum, möglichst viel Charakter aus dem Holz der Fässer zu extrahieren“, sagt Deibel, „durch möglichst viel, möglichst häufigen Oberfläche-Flüssigkeit-Kontakt.“ Und so ist natürlich auch von Bedeutung, welches Holz da geschaukelt wird und ob die Fässer schon „vorbelegt“ waren (etwa mit Sherry) oder ob sie neu sind und vorher ausgebrannt wurden (wie beim amerikanischen Bourbon).

Was schwemmt da vermehrt aus dem Fass ins Getränk? Tannine, Vanillin, Sherrynoten oder solche von Karamell – es gibt viele Möglichkeiten. Und viel zu bedenken, so Deibel, je nachdem, was man erreichen möchte. Dazu gehört ebenfalls: die Wahl der Route. Denn die bestimmt über Luftfeuchtigkeit und Temperaturen, die wiederum oxidative Effekte auslösen. Vereinfacht ausgedrückt: Je kälter die Luft, desto langsamer und weniger Charakter holt man aus dem Fass – je wärmer die Luft, desto weiter treibt es die Flüssigkeit ins Holz.

Am Ende hat man dann ein individuelles Produkt. Jede Charge schmeckt ein wenig anders. Denn niemand kann Dünungen und Temperaturen vorhersehen. Was sich wiederum für Geschichten eignet und Marketingabteilungen erfreut. Doch was schmeckt man in den Tropfen? „Sie werden durch die Seereisen meist sanfter und milder“, sagt Deibel. Oft bekommen sie mehr Tiefe, mehr Charakter. Ganz wie der Abenteuerheld, die Abenteuerheldin – beim Happy End.

 

Longdrink „Linie Ginger“ 

Zutaten
Lysholm Linie Aquavit, Ginger Ale, Eiswürfel, Basilikumblätter zum Garnieren.

Zubereitung
Ein Longdrinkglas mit Eiswürfeln füllen, dann 4 cl Linie Aquavit darübergießen und das Glas mit Ginger Ale auffüllen.
Je nach Gusto mit einigen Blättern Basilikum garnieren und als Sommerdrink genießen.
Linie Aquavit – der Aquavit, der zweimal den Äquator überquert: www.linie.com.
Jefferson’s Ocean Aged at Sea – der Bourbon aus Kentucky, der zehn Monate auf See verbringt: www.jeffersonsbourbon.com/ jeffersons-ocean.
Kelt – der Cognac auf Seefahrt:
www.keltcognac.com

mare No. 147

mare No. 147August / September 2021

Von Andrea Walter

Andrea Walter wurde 1976 in Hamburg geboren. Beim Aufnahmetest für die Henri-Nannen-Schule schrieb sie ein Porträt über Aale-Dieter, den bekanntesten Händler vom Hamburger Fischmarkt. Später reiste sie als Reporterin auf die norwegischen Lofoten, ins spanische Galizien und dutzende Male nach Island. Sie berichtete aus Finnland, Schweden, Südafrika, Marokko, Frankreich, England und immer wieder aus Italien. Oft auf der Suche nach dem Verhältnis des Menschen zum Meer und immer mit der Frage, warum Menschen leben und denken wie sie es tun. Über ihre Zeit in Island schrieb sie das erzählende Sachbuch Wo Elfen noch helfen, für das National Geographic-Buch Deutschlands Küsten und Inseln schrieb sie die Reportagen.

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Vita Andrea Walter wurde 1976 in Hamburg geboren. Beim Aufnahmetest für die Henri-Nannen-Schule schrieb sie ein Porträt über Aale-Dieter, den bekanntesten Händler vom Hamburger Fischmarkt. Später reiste sie als Reporterin auf die norwegischen Lofoten, ins spanische Galizien und dutzende Male nach Island. Sie berichtete aus Finnland, Schweden, Südafrika, Marokko, Frankreich, England und immer wieder aus Italien. Oft auf der Suche nach dem Verhältnis des Menschen zum Meer und immer mit der Frage, warum Menschen leben und denken wie sie es tun. Über ihre Zeit in Island schrieb sie das erzählende Sachbuch Wo Elfen noch helfen, für das National Geographic-Buch Deutschlands Küsten und Inseln schrieb sie die Reportagen.
Person Von Andrea Walter
Vita Andrea Walter wurde 1976 in Hamburg geboren. Beim Aufnahmetest für die Henri-Nannen-Schule schrieb sie ein Porträt über Aale-Dieter, den bekanntesten Händler vom Hamburger Fischmarkt. Später reiste sie als Reporterin auf die norwegischen Lofoten, ins spanische Galizien und dutzende Male nach Island. Sie berichtete aus Finnland, Schweden, Südafrika, Marokko, Frankreich, England und immer wieder aus Italien. Oft auf der Suche nach dem Verhältnis des Menschen zum Meer und immer mit der Frage, warum Menschen leben und denken wie sie es tun. Über ihre Zeit in Island schrieb sie das erzählende Sachbuch Wo Elfen noch helfen, für das National Geographic-Buch Deutschlands Küsten und Inseln schrieb sie die Reportagen.
Person Von Andrea Walter