Keine Gnade dem Giganten

Wie Filipinos die größten Fische der Welt im Nahkampf erlegen

Sanft klatscht der Ausleger der Banca „Ocean Wulf“ immer wieder auf das tiefblaue Meer. An Bord des Bootes hocken fünf Männer und halten Ausschau nach dem grauen Schatten des Balilan. So wird der Walhai, ein begehrter Fang, in der Landessprache genannt. Zu deutsch bedeutet das Walhai. Seit zwei Tagen suchen die Männer nach dem Geschöpf mit den gigantischen Ausmaßen. Mit gut vierzehn Meter ist er der größte Fisch, der die tropischen Meere durchstreift. Er ist Vegetarier und ernährt sich von Tang. Allenfalls verspeist er mal die Eier von Krebsen.

Auf dem Mast strengt Spähposten Manolo im gleißenden Licht seine Augen an. „Heute ist ein guter Tag zum Jagen“, ruft er und knetet sich die verspannten Schultern. „Bei Neumond gibt es viel Plankton. Das bringt den Walhai an die Oberfläche, und er frißt mit weit aufgerissenem Maul.“ Manolo breitet die Arme aus, so weit er kann. „Die Jungfrau Maria wird hoffentlich bald einen schicken.“

Plötzlich gestikuliert er wild und schreit: „Balilan rechts! Tonio, los, los!“ Tonio Operio steht bereits am Bug. Er hält einen blitzenden Stahlhaken und konzentriert sich auf den großen Sprung. Die „Ocean Wulf“ macht volle Fahrt und steuert hart nach steuerbord. Tonio stürzt sich kopfüber ins Wasser. Wo der Jäger unter der Oberfläche verschwindet, schäumt das Meer. Kapitän Pando stellt den Motor ab.

Bange Augenblicke vergehen. Wo bleibt Tonio? Nach zwei Minuten taucht sein Kopf endlich an der Oberfläche auf, und Tonio schwingt sich auf den Ausleger. Das zerfurchte Gesicht des Kapitäns entspannt sich. Der Walhai hat seinen Mann nicht mit in die Tiefe gerissen.

Tonio grinst und klatscht sich auf die Schenkel. „Ich habe den Fisch am Haken“ – er hat den Stahl in den Rücken des Hais gerammt. Von dem Tier selbst ist indes nichts zu sehen, die Fangleine rauscht mit ihm nach unten. 150 Meter ist sie lang, so tief taucht der Hai, um sich zu retten. Doch gegen die fünf drahtigen Filipinos hat das verletzte Tier keine Chance. Eineinhalb Stunden zerren die Fischer am Tau und gewinnen es Meter für Meter zurück.

An der Oberfläche krümmt sich der graue Koloß und schlägt wild um sich. Zwei Männer hüpfen ins brodelnde Wasser und binden den Haischwanz am Ausleger fest. Einer rammt dem Fisch ein armlanges Messer ins Rückgrat. Der tiefe Schnitt soll den Hai nicht töten, sondern nur schwächen. „Sonst sinkt er gleich in die Tiefe. Außerdem kriegen wir einen toten Walhai nicht nach Pamilacan geschleppt. Er muß noch ein bißchen schwimmen können“, erklärt Kapitän Pando. Zwei Fischer im Wasser schneiden der Kreatur tellergroße Löcher in Ober- und Unterlippe und befestigen daran leere Plastikkanister als Auftriebskörper.

Der Fisch dümpelt entkräftet am Bootsrumpf. Langsam geht es mit der schweren Last an der Küste entlang in Richtung Heimat. Eine Flagge ist aufgezogen, soll heißen: Wir haben einen Hai im Schlepptau. Die Stimmung unter den Männern ist ausgelassen, sie lachen und klopfen dem Hakenmann Tonio Operio anerkennend auf die Schulter. Nur einmal macht die „Ocean Wulf“ in einem kleinen Hafen halt. In Siegerlaune bunkert die Crew mehrere Flaschen „Tanduay“ für eine rumschwere Nacht, und eine wird gleich geleert.

Kapitän Pando trinkt nicht mit. Er hockt auf dem Bootsrand und bekreuzigt sich. Manolo hat einen Hai erspäht. Dafür dankt Pando dem Herrn im Himmel. Auch für Tonios Jagdglück dankt Pando dem Herrgott, und er bittet ihn um eine gesunde Heimkehr. Zwar haben er und seine Männer vor der Ausfahrt in der Kapelle Kerzen geopfert, aber man kann ja nie wissen.

Nicht immer sind die Ausfahrten erfolgreich. Wie gefährlich die Jagd ist, zeigt das Schicksal des Fangbootes „Santa Cruz“. Die kleine Banca nahm es mit einem ausgewachsenen Walhai auf. Nachdem die Fischer ihn an der Leine hatten, donnerte der Gigant los, und das Auslegerboot wurde vom Hai mit in die Tiefe gerissen. Keiner ertrank, aber die Männer hatten großes Glück, daß sie nach einer Stunde in meterhohen Wellen überhaupt von einem anderen Fangboot entdeckt wurden. Riskant ist auch der Kampf mit der Beute. Miguel Valeroso gilt als der Kühnste. Er ist erst 28 Jahre alt, aber die Walhaie haben ihm schon den Kiefer und mehrfach die Rippen gebrochen. Einmal hat der Jäger sein Ziel verfehlt. Der Fisch wehrte sich aus Leibeskräften, der Stahlhaken stach in Miguels Arm.


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mare No. 14

No. 14Juni / Juli 1999

Von Evelyn Seeger und Jürgen Freund

Fotograf Jürgen Freund, Jahrgang 1959, ist freier Unterwasserfotograf und Fotojournalist. Zwei Tage, nachdem er Pamilacan verlassen hatte, trat das Fangverbot in Kraft. Für diese mare-Reportage erhielt er den dritten Preis des World Press Photo Award, des begehrtesten Preises der Fotografie überhaupt, in der Kategorie „Nature and Environment“ – als einzige ausgezeichnete und damit weltbeste Tiergeschichte.

Evelyn Seeger, Jahrgang 1959, ist freie Journalistin und Übersetzerin. In mare erschien zuletzt, ebenfalls von Jürgen Freund fotografiert, „Der Clan der Haarsterne“ (in No. 12)

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Vita Fotograf Jürgen Freund, Jahrgang 1959, ist freier Unterwasserfotograf und Fotojournalist. Zwei Tage, nachdem er Pamilacan verlassen hatte, trat das Fangverbot in Kraft. Für diese mare-Reportage erhielt er den dritten Preis des World Press Photo Award, des begehrtesten Preises der Fotografie überhaupt, in der Kategorie „Nature and Environment“ – als einzige ausgezeichnete und damit weltbeste Tiergeschichte.

Evelyn Seeger, Jahrgang 1959, ist freie Journalistin und Übersetzerin. In mare erschien zuletzt, ebenfalls von Jürgen Freund fotografiert, „Der Clan der Haarsterne“ (in No. 12)
Person Von Evelyn Seeger und Jürgen Freund
Vita Fotograf Jürgen Freund, Jahrgang 1959, ist freier Unterwasserfotograf und Fotojournalist. Zwei Tage, nachdem er Pamilacan verlassen hatte, trat das Fangverbot in Kraft. Für diese mare-Reportage erhielt er den dritten Preis des World Press Photo Award, des begehrtesten Preises der Fotografie überhaupt, in der Kategorie „Nature and Environment“ – als einzige ausgezeichnete und damit weltbeste Tiergeschichte.

Evelyn Seeger, Jahrgang 1959, ist freie Journalistin und Übersetzerin. In mare erschien zuletzt, ebenfalls von Jürgen Freund fotografiert, „Der Clan der Haarsterne“ (in No. 12)
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