Kein kleines Gepäck

Marlene Dietrich liebte Seereisen nicht. Aber wenn es nicht anders ging, verlangte der Weltstar nach dem denkbar größten Luxus

Die erste Atlantiküberfahrt der deutschen Diva mit den tiefblauen Augen begann am 2. April 1930. Wenige Stunden nach der triumphalen Galapremiere des Filmes „Der blaue Engel“ im Berliner Gloriapalast schiffte sich die Hauptdarstellerin Marlene Dietrich auf der „Bremen“ ein, um nach New York zu reisen. Die „Berliner Zeitung“ rief dem legendären Film des Regisseurs Josef von Sternberg hinterher, er sei „das erste Kunstwerk des Tonfilms“. Marlene Dietrich war auf dem besten Weg, ihren Filmpartner, den großen Emil Jannings, als deutschen Exportstar in Hollywood zu entthronen.

Die „Bremen“, 1929 für den Norddeutschen Lloyd in Dienst gestellt, gehörte damals zu den größten und modernsten Schnelldampfern ihrer Zeit. 170 Maschinisten brachten sie auf Trab. Der 55 000-Tonnen-Koloss hatte bereits im Juli 1929 das „Blaue Band“ gewonnen, als er nach vier Tagen, 17 Stunden und 42 Minuten in Rekordzeit die amerikanische Ostküste erreicht hatte. Marlene Dietrich jedoch kam wegen fürchterlicher Stürme mit zweitägiger Verspätung in New York an. Das Gebiss ihrer seekranken Vertrauten und Garderobiere Resi war bei der Überfahrt über Bord gegangen. Richtig wohl hatte sich auch Marlene nicht gefühlt. „Habe Angst, das deutsche Schiff zu verlassen. Die letzte Verbindung zu meiner Muttersprache, meiner Heimat, den vertrauten Gebräuchen. Stop. Liebe Küssi, Mutti“ hatte sie von Bord an ihren Mann Rudolf Sieber telegrafiert. Groß war ihre Angst vor dem unbekannten Amerika; von Indianern hatte sie gehört, sonst wusste sie nicht viel über ihr Ziel. Mann und Kind hatte sie daher in Berlin gelassen. Zuerst musste klar sein, was sie in Hollywood erwarten würde.

Regisseur Josef von Sternberg hatte sie im September 1929 in der Revue „Zwei Krawatten“ von Georg Kaiser im Berliner Theater entdeckt. Ihm war, „als wär ich in Hollywood gestorben und im Himmel wieder aufgewacht“. Endlich hatte er seinen verführerischen Engel gefunden, der, gleich der Garbo bei MGM, sein Star der Paramount werden sollte. Ihre Beine, ihre rauchige Stimme, ihre Hosenanzüge und ihre erotische Ausstrahlung, die Spekulationen über ihre Bisexualität und ihre kamikazeartigen Amouren – daraus würde sich eine Legende, eine Göttin schaffen lassen.

„I won’t need any help“, dieser Satz sollte reichen, um den Fremden abzuschütteln, der sie in ihrem ersten Hollywood-Film „Marokko“ (1930) als Nachtclubsängerin Amy Jolly auf dem nebelverhüllten Deck eines kleinen Dampfers anspricht. Irgendwo vor der Küste Nordafrikas. Das „p“ von „help“ explodierte beim ersten Dreh im Kopfhörer des Toningenieurs. „Stop!“ schrie von Sternberg und wiederholte die Szene 48-mal. Dann war es geschafft und der Star mit dem geheimnisvollen Gesicht, das zur Ikone werden sollte, geboren: die hohen Wangenknochen, der verhangene Blick, die zum Abflug in den Süden bereiten Augenbrauen, die hohe Stirn und die im Licht golden glitzernden Haare. Für ihren späteren Geliebten Erich Maria Remarque ein Gesicht, in das man „alles hineinträumen“ konnte. In der Schlussszene von „Marokko“ kickt Amy Jolly ihre Stöckelschuhe und ihren reichen Verlobten weg und folgt ihrem Geliebten, einem Fremdenlegionär, in die Wüste. Liebe und Zivilisation sind eben unvereinbar.

Der Film wurde zum Kassenmagnet, erhielt vier Oscar-Nominierungen, unter anderem für Marlene Dietrich als beste Hauptdarstellerin und für von Sternberg als Regisseur. Der russische Regisseur Sergei Eisenstein hielt ihn für den besten Film des Duos. Marlene Dietrich hatte Hollywood im Sturm erobert, sie drehte fünf weitere Filme mit Josef von Sternberg, „Shanghai-Express“ war der erfolgreichste davon, „Der Teufel ist eine Frau“ 1935 ihr letzter gemeinsamer.

Schiffe und das Meer spielten in ihren Filmen immer wieder eine Rolle. In „Das Schiff der verlorenen Menschen“ (1929) gibt Fritz Kortner den Kapitän und Marlene die reiche Miss Ethel Marley, die nach einem Flugzeugabsturz erst von einem Segler und dann von einem Überseedampfer gerettet wird. In „Das Haus der sieben Sünden“ (1940) verliebt sich Marlene als Chanteuse einer Bar auf einer Südseeinsel in einen Navy-Leutnant. In „Die Abenteurerin“ (1941) finden Fischer auf dem Mississippi ein Brautkleid und glauben, die Braut, gespielt von Marlene, habe sich umgebracht. Stattdessen ist sie mit ihrem Geliebten, einem Kapitän, auf dessen Schiff durchgebrannt. In „In 80 Tagen um die Welt“ (1956) hetzt der Protagonist neben Gasballons, Eisenbahnen oder Elefanten auf Schiffen um den Globus, und in der „Monte-Carlo-Story“ (1956) kollidieren zwei Schiffe im Hafen.


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mare No. 124

No.124Oktober / November 2017

Von Dieter Strauss

Der Germanist und Historiker Dieter Strauss arbeitete 33 Jahre für das Goethe-Institut in vier Kontinenten und sieben Ländern. Während seiner Pariser Zeit in den frühen 1980er-Jahren lebte Marlene Dietrich ganz in der Nähe des Goethe-Instituts und entlieh dort häufig Bücher. Marianne Hoppe, die zweite Frau von Gustaf Gründgens, hat ihm viel von ihren Treffen mit der Dietrich Ende der 1920er-Jahre erzählt.

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Vita Der Germanist und Historiker Dieter Strauss arbeitete 33 Jahre für das Goethe-Institut in vier Kontinenten und sieben Ländern. Während seiner Pariser Zeit in den frühen 1980er-Jahren lebte Marlene Dietrich ganz in der Nähe des Goethe-Instituts und entlieh dort häufig Bücher. Marianne Hoppe, die zweite Frau von Gustaf Gründgens, hat ihm viel von ihren Treffen mit der Dietrich Ende der 1920er-Jahre erzählt.
Person Von Dieter Strauss
Vita Der Germanist und Historiker Dieter Strauss arbeitete 33 Jahre für das Goethe-Institut in vier Kontinenten und sieben Ländern. Während seiner Pariser Zeit in den frühen 1980er-Jahren lebte Marlene Dietrich ganz in der Nähe des Goethe-Instituts und entlieh dort häufig Bücher. Marianne Hoppe, die zweite Frau von Gustaf Gründgens, hat ihm viel von ihren Treffen mit der Dietrich Ende der 1920er-Jahre erzählt.
Person Von Dieter Strauss