Kein Altherrenhut

Ein kleiner Laden in Hamburg handelt mit Seemannsmützen. Dank unverhoffter Hilfe der Haute Couture brummt das Geschäft nun

Tradition ist mehr als Verpflichtung, Tradition ist ein Vergnügen. Freitagmorgen, ein Mann betritt den Laden von Lars Küntzel. „Moin, ich will meine Mütze abholen.“ Vor drei Monaten hat er die Mütze bestellt, Einzelanfertigung, Modell „Elblotse“. Der Mann trägt eine Mütze auf dem Kopf, die ist auch von Küntzel. Er zeigt auf seine Glatze, „hab nich’ mehr so viel Haare“, sagt er. Und zu Küntzel: „Hat er ja auch nicht.“ Was stimmt. Beide lachen. Küntzel holt die Bestellung, knetet den Rand kurz, streicht über den Deckel und reicht sie weiter. Die Mütze passt.

Der Kunde erzählt, dass die Mütze zum Wohlfühlen da ist, mehr als ein Warmhalteding, bisschen Stil halt. Im Zug saß einer neben ihm aus Oberhausen, zum ersten Mal in Hamburg. „Oha, handgefertigt“, sagte der über die Mütze. Er: „Ja, Lars Küntzel in der Steinstraße, da muss man hin.“ Vielleicht komme der noch mal vorbei, meint Küntzel. „Nee, der hatte so ’ne Mütze für 1,99 auf.“ Beide sind sich einig: Das wird nix werden. Der Mann setzt die alte Mütze auf den Kopf, die neue wird verpackt. „Mach’s gut, ich schau mal wieder rein“, sagt er. „Mach das, gerne. Moin“, sagt Küntzel.

Lars Küntzel ist der letzte Macher handgefertigter Schiffermützen in Hamburg, nein, an der Küste, nein, in Deutschland. Aber er versucht, wenig Aufhebens darum zu machen. Weniger jedenfalls als um die Mützen selbst. Wenn es um die Akkuratesse einer Naht geht oder die Sitzform, da ist Küntzel genauer. An der Glastür steht noch „Eisenberg. Gegründet 1892“, am Ladennamen hat sich nichts verändert. „Mützenmacher Eisenberg“, der Begriff bleibt und steht in den Etiketten aller Mützen, egal ob Schiffermützen, Kapitänsmützen oder welche für Hotelportiers, Wagenmeister, Piloten.

Drinnen sieht es nach Vergangenheit aus. Der Holztresen, die Schränke, die alten Bilder: alles stilecht und retro. Max Schmeling schaut einen mit Schiffermütze an. Hüte und Schiebermützen stapeln sich. In der vollgestopften Werkstatt im Hinterzimmer hängen alte Modellschnitte. Die Nähmaschinen sind seit fast einem Jahrhundert im Dienst. Auf einem der vielen Kartons steht „Alte Schweißbänder“ für historische Mützen, und sie sind wirklich alt, nicht bloß auf alt gemacht. Die Eisenbergs haben drei Generationen lang klug gewirtschaftet, das soll so weiter gehen. Das Geschäft und die Werkstatt sind Überbleibsel aus der weit entfernten Zeit, die man sich einfach so auf den Kopf setzen kann und dabei gut aussieht.

Derzeit hat Küntzel längere Lieferzeiten. Die Kunden müssen ein bisschen Geduld haben, das Geschäft geht gut. Daran hat unter anderem Karl Lagerfeld schuld. Schiffermützen sind seit etwa zwei Jahren im Blickfeld der Mode. Im Dezember 2017 trat Chanel mit einer Modenschau in der Elbphilharmonie an, Lagerfeld hatte es sich gewünscht. Die Models trugen „maritime Mützen“. Küntzel kaut auf den Worten herum wie auf einem mürben Brötchen, es waren nämlich keine echten Schiffermützen. „Schöner Wollstoff“, sagt er, „aber ein Fantasieentwurf.“ Jedenfalls rief Chanel zwei Wochen vorher bei ihm an und bestellte Mützen als Geschenke für Gäste der Schau, die waren in der Elbphilharmonie überall präsent, ebenso seine Visitenkarten. 
Am nächsten Tag war schwer was los in Küntzels Laden, lauter Frauen, die entzückt traditionelle Mützen kauften, alles, was es gab. Plötzlich fertigte er nicht mehr „Elblotsen“ und „Elbsegler“, sondern Must-have-It-Pieces, superbegehrte Accessoires. „Fand ich sehr geil“, sagt er. Der Trend hat sich gehalten. Noch nie wollten so viele Frauen Mützen tragen, die sonst nur Seebären und Schiffsmänner kauften, neue Absatzmärkte, ein iconic turn irgendwie.

Küntzel steht am Tisch in der winzigen Werkstatt, er verpackt gerade Mützen zum Versand, auch das hat zugenommen. Dafür ist das Geschäft über Bootsmessen derzeit rückläufig. An einer Wand hängen viele Dutzend Postkarten; Kunden haben sie über die Jahre gesandt und sich für Mützen bedankt. Gerade ist eine Mail eingetroffen, ein Kunde hatte das Modell „Alte Fock“ aus Baumwollsegel bestellt. Er schreibt: „Moin, die Mütze ist in Hongkong eingetroffen, passt großartig, klasse, danke.“

Er fertigt rund 20 Modelle, die alle ihre Geschichte haben. „Aken“ und „Altona“ sind Binnenschiffermützen, „Altstadt“ eine Sonntagsmütze. „Fleetenkieker“ besteht aus weichem Material und hat eine Kordel, sie wurde von den Wasserstandsmeldern getragen. Modell „NRV“ ist vom Norddeutschen Regattaverein. Beim „Elblotsen“ bietet der kleine Deckel wenig Windangriffsfläche, und der hohe Steg hält sehr gut am Kopf. Als die Elblotsen früher die Jakobsleiter zu den Schiffen hinaufkletterten, hatten sie keine Hand frei, um die Mütze festzuhalten. Also brauchten sie etwas mit wenig Windwiderstand und viel Halt am Kopf. Helmut Schmidt machte den „Elblotsen“ weit über Hamburg berühmt. Der Altkanzler kaufte sie bei Eisenberg, auch ihm wehte der Sturm oft entgegen. Für die Elblotsen heute sind feste Gangways da, wenn sie an Bord kommen. „Falls sie überhaupt Mützen tragen, dann Basecaps“, sagt Küntzel. Aus und vorbei.


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mare No. 132

No. 132Februar / März 2019

Von Holger Kreitling, Heike Ollertz und Axel Martens

Holger Kreitling, Jahrgang 1964, trägt manchmal Hüte, im Winter Wollmützen und zieht immer den Fahrradhelm auf. Schon deshalb käme eine Schiffermütze eher ungelegen. Aber wenn, dann „Elbsegler“.
Heike Ollertz, Jahrgang 1967, und Axel Martens, Jahrgang 1968, leben als freie Fotografen in Hamburg. Außer Pudelmützen tragen die beiden keine Kopfbedeckung. Das könnte sich nach dem Besuch bei Mützenmacher Küntzel aber ändern. Ganz begeistert waren sie von der Liebe, mit der dort gearbeitet wird.

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Vita Holger Kreitling, Jahrgang 1964, trägt manchmal Hüte, im Winter Wollmützen und zieht immer den Fahrradhelm auf. Schon deshalb käme eine Schiffermütze eher ungelegen. Aber wenn, dann „Elbsegler“.
Heike Ollertz, Jahrgang 1967, und Axel Martens, Jahrgang 1968, leben als freie Fotografen in Hamburg. Außer Pudelmützen tragen die beiden keine Kopfbedeckung. Das könnte sich nach dem Besuch bei Mützenmacher Küntzel aber ändern. Ganz begeistert waren sie von der Liebe, mit der dort gearbeitet wird.
Person Von Holger Kreitling, Heike Ollertz und Axel Martens
Vita Holger Kreitling, Jahrgang 1964, trägt manchmal Hüte, im Winter Wollmützen und zieht immer den Fahrradhelm auf. Schon deshalb käme eine Schiffermütze eher ungelegen. Aber wenn, dann „Elbsegler“.
Heike Ollertz, Jahrgang 1967, und Axel Martens, Jahrgang 1968, leben als freie Fotografen in Hamburg. Außer Pudelmützen tragen die beiden keine Kopfbedeckung. Das könnte sich nach dem Besuch bei Mützenmacher Küntzel aber ändern. Ganz begeistert waren sie von der Liebe, mit der dort gearbeitet wird.
Person Von Holger Kreitling, Heike Ollertz und Axel Martens