Kaviar II: „Alles bis 200 Gramm Kaviar ist chic“

Von den Freuden und Leiden eines Kaviarhändlers: Ein Interview mit dem Weltmarktführer Armen Petrossian

mare: Monsieur Armen Petrossian, wann haben Sie zuletzt Kaviar gegessen?
Armen Petrossian: Gestern Abend. Ich habe eine Lieferung für einen Kunden in Cannes verkostet.

Wann haben Sie überhaupt zum ersten Mal Kaviar gegessen?
Ich war noch nicht einmal drei Monate alt, da hat mich meine Mutter mit Beluga gefüttert. Später war ich nach der Schule häufig in unserer Boutique, wo damals ein gewisser Timo Timofejewitsch arbeitete, ein ehemaliger Colonel und Privatsekretär des Zaren. Er erzählte mir vom Leben am russischen Hof, vom Zaren, von Rasputin, und während er erzählte, schob er mir einen Löffel Kaviar nach dem anderen in den Mund. Vielleicht kann ich mich deshalb so gut an die Geschichten erinnern.

Wie viel kostet heute in Ihrer Boutique ein Kilogramm Kaviar?
Um die 6800 Euro. Aber wir rechnen nicht in Kilogramm. Wer in Kilo rechnet, hat nichts vom Kaviar verstanden. Wir rechnen in Gramm. 50 Gramm ist eine gute Größe für ein Amuse-Gueule für zwei Personen. Die kosten bei uns von 80 Euro für Zuchtkaviar und 400 Euro für besten Wildkaviar.

400 Euro für 50 Gramm – warum zahlen Menschen das?
Sie haben wohl noch nie Kaviar probiert! Kaviar ist einzigartig in seiner Farbe, seiner Textur und seinem Geschmack. Das Korn des Belugas ist von einer hauchdünnen Haut überzogen, es zergeht auf der Zunge und hat einen langen, sehr aromatischen Nachgeschmack. Der Ossietra ist bernsteinfarben und hartschaliger, das Korn explodiert am Gaumen. Sevruga hat sehr kleine Eier, sehr dunkel, und schmeckt fischig, sehr kräftig. Man kann ihn wunderbar mit Toast oder Blini kombinieren …

… aber bloß nicht mit Silberlöffeln. Welche Kaviarsünden gibt es noch?
Die Frage ist nicht, womit oder wozu man Kaviar isst, sondern vor allem, wie viel. Alles bis 200 Gramm pro Person ist chic. Alles darüber ist nouveau riche, neureich. Ich höre von Kunden, die sich ein Kaviarbad einlaufen lassen wollen – das ist nicht nur dumm, sondern auch respektlos gegenüber den Leuten, die den Kaviar hergestellt haben. Einfach ekelhaft. Solche Kunden will ich nicht in meinem Laden haben. Wenn jemand eine Party machen möchte und mit 500 Gramm je Person kalkuliert, dann sagen wir: Feiere damit lieber drei, vier Partys oder kaufe weniger.

Wie sieht der typische Kaviarkunde aus?
Den gibt es nicht. Jeder Mensch will einmal in seinem Leben einen besonderen Moment schaffen, und ein Abend mit Kaviar bleibt in Erinnerung Deshalb heben meine Kunden die Dosen auf, als Souvenir, kleben das Datum darauf, wann sie den Kaviar gegessen haben, vielleicht war es ein Geburtstag oder ein Rendezvous. Einer meiner Kunden hat mit den Dosen, die er von seinem Vater und Großvater geerbt hat, die komplette Küche seines Landhauses verkleidet.

Nun verkaufen Sie Kaviar aber nicht nur in Ihren firmeneigenen Feinkostläden, sondern beliefern damit auch Supermärkte. Verliert Kaviar nicht seine Aura – im Kühlregal zwischen Butter und Yoghurt?
Nein, die Supermärkte sind der Markt für Einsteiger. Es ist wie mit Wein – wenn du damit anfängst, trinkst du ja auch nicht gleich Petrus. Du fängst mit einem kleinen Wein an und übst und übst …

Welche extravaganten Wünsche haben Ihre Kunden?
Einmal wollte ein Mann eine leere Kilodose Kaviar kaufen. Er erzählte von einer verlorenen Wette, und da war der Einsatz eben ein Kilo gewesen, und nun suchte er nach einem Weg aus dem Schlamassel. Wir haben ein paar symbolische Störeier hineingelegt.

Und worum ging die Wette?
Um die Farbe der Unterwäsche einer Frau … !

mare No. 63

No. 63August / September 2007

Von Dimitri Ladischensky

Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, seit September 2001 bei mare. Hat zuvor als Redakteur und Autor für Geo Saison gearbeitet. Studium der Germanistik, Geschichte und VWL in Freiburg, Kopenhagen und Berlin. Ausbildung auf der Deutschen Journalistenschule in München.

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Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, seit September 2001 bei mare. Hat zuvor als Redakteur und Autor für Geo Saison gearbeitet. Studium der Germanistik, Geschichte und VWL in Freiburg, Kopenhagen und Berlin. Ausbildung auf der Deutschen Journalistenschule in München.
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Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, seit September 2001 bei mare. Hat zuvor als Redakteur und Autor für Geo Saison gearbeitet. Studium der Germanistik, Geschichte und VWL in Freiburg, Kopenhagen und Berlin. Ausbildung auf der Deutschen Journalistenschule in München.
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