Die See vor der Insel Mayotte, nordwestlich von Madagaskar, ist spiegelglatt. Perfektes Tauchwetter. Am Kran baumelnd, geht das ferngesteuerte Unterwasserfahrzeug (ROV) über Bord und sinkt kurz darauf ins Blau des tropischen Ozeans ab. Von einer Winde an Deck der „Sonne“ werden rund 700 Meter eines dicken Strom- und Datenkabels abgespult. Dann flimmern im Kontrollraum die ersten Bilder vom Meeresboden über die Monitore.
Im Scheinwerferlicht des Tauchroboters läuft eine tellergroße Krabbe über den sandigen Grund. Brocken von Vulkangestein liegen lose verstreut. Dahinter wiegt sich eine Rote Seefeder, gut einen halben Meter lang, sanft in der acht Grad kühlen Strömung. Andre Freiwald, der mit zwei Kolleginnen hinter den ROV-Piloten sitzt, deutet mit einem Laserpointer auf einen der Bildschirme: Auf einem Felsblock am Rand des Lichtkegels wächst eine kleine Weichkoralle. Die Kamera zoomt heran, bis die einzelnen Polypen mit ihren Tentakeln an den Enden der Verästelungen zu erkennen sind. „Bitte einsammeln“, sagt der Forscher. Der hydraulische Greifarm des Tauchroboters schwenkt aus, pflückt das Blumentier und legt es in einen Probenbehälter.
Auf ihrer Tour am Ozeangrund begegnen die Forscher fabelhaften Wesen: vielfarbig schillernden Garnelen, orangen Seegurken mit haarigen Fortsätzen und einer fetten Seekröte mit handartigen Brustflossen. Reglos lauert sie im Sand auf Beute. Doch das eigentliche Interesse der Forscher gilt den Korallen, die hier unten in ewiger Finsternis gedeihen.
An einem üppig bewachsenen Gesteinsbrocken haben neben Schwämmen und Anemonen verschiedene Arten Halt gefunden – zarte Kelche und filigrane Zweige in Weiß, Gelb und Rosa. Wieder streckt das ROV den Arm aus, um Proben der Fauna zu nehmen. Ein Krebs, der zur Tarnung einen Glasschwamm auf dem Rücken trägt, verzieht sich in eine dunkle Nische.
Knapp sechs Stunden dauert die Tauchfahrt. Das Highlight wartet am Ende: ein mehr als ein Meter hoher Korallenbaum mit dickem Stamm und roter Krone, der von Leben nur so wimmelt. An das knollige Geäst dieser Kaugummikoralle (Paragorgia arborea) klammern sich ein Dutzend fingerdicke Schlangensterne und eine Krabbe mit stacheliger Rüstung. Ganz oben hat ein Haarstern seine Fangarme aufgefächert und fischt nach Plankton.
Zehn Tage zuvor sind 36 Wissenschaftler an Bord des deutschen Forschungsschiffs „Sonne“ von Mauritius in den Westen des Indischen Ozeans aufgebrochen. Ihr Ziel ist die Straße von Mosambik, die Meerenge, die Madagaskar vom afrikanischen Kontinent trennt. In den wenig ergründeten Gewässern will das Expeditionsteam nach Kaltwasserkorallen suchen. Die Nesseltiere bilden in der Tiefsee bunte Unterwassergärten und teils riesige Riffe mit einer einzigartigen Artenvielfalt. Doch diese empfindlichen Ökosysteme sind bedroht: durch die Fischerei mit Grundschleppnetzen, die Erwärmung und Versauerung der Meere oder durch Rohstoffförderung.
Bei Korallen denken die meisten Menschen an tropische Flachwasserriffe. „Aber Korallen gibt es eigentlich überall im Ozean“, sagt Expeditionsleiter Dierk Hebbeln vom Bremer MARUM, dem Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, als das Schiff die Insel Mayotte ansteuert. Tatsächlich lebt mehr als die Hälfte aller Korallenarten unterhalb von 50 Meter Tiefe. Anders als ihre wärmeliebenden Verwandten haben Kaltwasserkorallen keine symbiontischen Algen, die Sonnenlicht mit Fotosynthese in chemische Energie umwandeln. Die Tiere kommen ganz ohne Licht aus und ernähren sich von Zooplankton und organischen Partikeln, die von der Oberfläche herabschneien. „Daher können sie einen viel größeren Lebensraum besiedeln, bis in mehrere tausend Meter Tiefe“, erklärt der Meeresgeologe.
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Tim Kalvelage, Jahrgang 1984, Wissenschaftsjournalist und Fotograf in Bremen, ist schon oft an tropischen Korallenriffen getaucht. Mehr als 40 Meter ging es dabei nie hinunter. Er träumt davon, einmal in einem bemannten Tauchboot mitfahren und das Leben in der Tiefsee aus nächster Nähe bewundern zu können.
| Vita | Tim Kalvelage, Jahrgang 1984, Wissenschaftsjournalist und Fotograf in Bremen, ist schon oft an tropischen Korallenriffen getaucht. Mehr als 40 Meter ging es dabei nie hinunter. Er träumt davon, einmal in einem bemannten Tauchboot mitfahren und das Leben in der Tiefsee aus nächster Nähe bewundern zu können. |
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| Person | Von Tim Kalvelage |
| Vita | Tim Kalvelage, Jahrgang 1984, Wissenschaftsjournalist und Fotograf in Bremen, ist schon oft an tropischen Korallenriffen getaucht. Mehr als 40 Meter ging es dabei nie hinunter. Er träumt davon, einmal in einem bemannten Tauchboot mitfahren und das Leben in der Tiefsee aus nächster Nähe bewundern zu können. |
| Person | Von Tim Kalvelage |