Jede Raumfahrt beginnt im Wasser

Bevor Astronauten zur Raumstation fliegen, müssen sie tauchenlernen. Ein Besuch im Unterwasserkosmos der Nasa in Houston

Die Internationale Raumstation (ISS) gleitet in 350 Kilometer Höhe über den Indischen Ozean dahin, und die Astronauten Leroy Chiao und Salischan Scharipow schweben einigermaßen aufrecht vor einer Kamera im Wohnmodul der Station. Ihre Haare stehen wild zu Berge, was sie seltsam verschlafen aussehen lässt. Ob sich Friseure auf Erden jemals überlegen, was sie der Schwerkraft verdanken? Mission control in Houston hat die Verbindung zu einer Schule in Maryland hergestellt, NasaTV überträgt live. Ein Kind fragt: „Was ist das Besondere an Schwerelosigkeit?“ Der Russe greift sich das Mikrofon: „Dass sich jede Bewegung fortsetzt, bis sie von einer Gegenbewegung gestoppt wird.“ Der Amerikaner stößt sich sanft vom Boden ab und bremst kurz vor der Decke mit den Händen. Dann schlägt er lässig einen fünffachen Salto. „Und wie bewegt man sich draußen im All?“ Das Mikrofon segelt zu Chiao, das Kabel wie eine träge Schlange hinterher. „Nur mit den Händen, wir müssen uns immer festhalten und mit Leinen sichern, damit wir nicht von der Station wegdriften. Wir befinden uns in einem lebensfeindlichen Vakuum und müssen jede Bewegung mit größter Vorsicht ausführen.“

Chiao hat Erfahrung mit Außenbordmanövern; seine Logbücher verzeichnen 26 Stunden spacewalk time. Das klingt umso eindrucksvoller, wenn man hört, wie viele Stunden Chiao dafür im Neutral Buoyancy Laboratory des Johnson Space Center in Houston trainiert hat. Die Faustregel der Astronauten: Jeder Job draußen im All wird auf der Erde vorher sieben bis acht Mal durchgespielt, und zwar in einem Schwimmbecken. Neutral Buoyancy, neutraler Auftrieb – nur im Wasser lässt sich das mühelose Schweben lernen, das Chiao und Scharipow so elegant beherrschen.

Die Ausbildung eines Astronauten dürfte mühelos für vier oder fünf Lebensläufe reichen. Sie sind Physiker, Biologen oder Mediziner, Mechaniker und Elektriker, Piloten und austrainierte Athleten – in einer Person. Wobei die Vermittlung von Wissen und technischen Fertigkeiten keine unlösbaren Aufgaben stellt. Die Vorbereitung auf die Schwerelosigkeit hingegen hat den Ausbildern lange Kopfschmerzen bereitet. Solange die Pioniere der bemannten Raumfahrt ihre Kapseln nicht verließen, drohte keine Gefahr. Aber dann setzten Moskau und Houston das Außenbordprogramm auf die Agenda; Extravehicular Activity sagt die Nasa oder EVA. Und das brachte Kosmonauten wie Astronauten ins Schwitzen.

Die Ersten waren nur wenige Minuten draußen, Alexej Leonow im März 1965 und Ed White ein Vierteljahr später. Doch schon das nächste Vorhaben war ehrgeiziger: Eugene Cernan sollte für zweieinhalb Stunden seine Gemini 9 verlassen. „Wie auf der Veranda Gottes“ preist er noch die Aussicht, als er aus der Luke steigt. Und dann beginnt eine Tortur, die er in seinen Memoiren später mit „The Spacewalk from Hell“ überschreibt. Seine erste Aufgabe: „Probieren, ob man allein mit Hilfe der Nabelschnur manövrieren konnte“, also mit seiner Verbindung zur Raumkapsel – und das ist keine gute Idee. Am Ende seiner Leine angekommen, wird er abrupt zurückgerissen wie ein Bungee-Springer, er verheddert sich in den losen Schlaufen des Schlauchs. „Ich hatte überhaupt noch nichts getan und die Schlacht schon verloren. Es war, als ob ich mit einem Kraken kämpfte. Ich hatte nicht einen Hauch von Kontrolle über die Position oder Flugrichtung meines Körpers. Ich war völlig hilflos.“ Sein Puls rast mit 180, sein Visier beschlägt. Cernan kracht gegen eine Antenne, reißt ein Loch in die äußere Lage seines Anzugs. Aber er hält durch.

Wenn jemand die Treppe hinunterfällt, wird er den Hinweis zynisch finden, doch Gravitation ist ein verkanntes Ordnungsprinzip im Leben. Die Dinge haben ihr Oben und Unten, ihren Platz und ihre Richtung. In der Schwerelosigkeit fehlt diese regelnde Kraft, und es ist nicht leicht, einen Gegenstand so zur Ruhe zu bringen, dass er nicht mit dem kleinsten Restschub weiterschwebt. In der ISS wird das Problem mit Klettverschlüssen gelöst; alles lässt sich irgendwo festheften. Aber wie den Menschen darauf vorbereiten, dass er, befreit von seinem irdischen Gewicht, im freien Fall durchs All rast?


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mare No. 48

No. 48Februar / März 2005

Von Olaf Kanter

Olaf Kanter, Jahrgang 1962, mare-Redakteur für Wissenschaft, gehört zu der Generation, die noch mit einer Begeisterung für die Raumfahrt aufgewachsen ist. Wer weiß heute, was gerade auf der ISS geschieht? Ist das wirklich nur noch Routine? Kanter sah in Houston NasaTV – und war fasziniert wie früher. Wäre das nicht ein Sender für unser Kabelprogramm?

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Vita Olaf Kanter, Jahrgang 1962, mare-Redakteur für Wissenschaft, gehört zu der Generation, die noch mit einer Begeisterung für die Raumfahrt aufgewachsen ist. Wer weiß heute, was gerade auf der ISS geschieht? Ist das wirklich nur noch Routine? Kanter sah in Houston NasaTV – und war fasziniert wie früher. Wäre das nicht ein Sender für unser Kabelprogramm?
Person Von Olaf Kanter
Vita Olaf Kanter, Jahrgang 1962, mare-Redakteur für Wissenschaft, gehört zu der Generation, die noch mit einer Begeisterung für die Raumfahrt aufgewachsen ist. Wer weiß heute, was gerade auf der ISS geschieht? Ist das wirklich nur noch Routine? Kanter sah in Houston NasaTV – und war fasziniert wie früher. Wäre das nicht ein Sender für unser Kabelprogramm?
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