Im Nebel fährt er den Fjord hinaus, im Regen kehrt er vom Fischfang zurück. Und wenn er auf Vogeljagd geht oder das Heu einholt, verschwindet er im Nebel, im Regen. Jahrhunderte kam der Mann auf den Färöerinseln aus dem Nebelregen zurück, mal einer weniger, beim Fischen von Wellen verschlungen oder bei der Vogeljagd von den Klippen gefegt, aber seine Gattung kam immer wieder aus dem nassen Grau hervor. Möglicherweise verschwindet der färöische Mann nun für immer im Nebel, denn sein Leben, mühsam der Natur abgetrotzt, droht am Menschen zu scheitern, an der Frau, an der Fortpflanzung. Seit mehr als drei Jahrzehnten verlassen die Frauen die Dörfer, verlassen die Insel, verlassen ihn. Er bleibt allein zurück, in den Dörfern, bei seiner Mutter, wo er in Jogginghose zwischen Kuscheltieren auf dem Sofa sitzt und auf die Liebe wartet.
Unter den 50 000 Menschen, die auf den Färöerinseln leben, klafft eine Lücke von rund 2000 zu wenigen Frauen; im heiratsfähigen Alter beträgt die Differenz zwischen Mann und Frau sogar zehn Prozent. Dagegen gibt es in den meisten europäischen Ländern einen Frauenüberschuss. 500 Millionen Menschen leben in der EU, zwölf Millionen mehr Frauen als Männer. Noch sind die daheimgebliebenen färöischen Frauen gebärfreudig und mit 2,6 Kindern je Kopf europäische Fertilitätsspitze, aber sobald sie nur noch europäisches Mittelmaß von 1,6 Kindern auf die Inselwelt bringen, droht den Färöern eine vergreisende und schrumpfende Gesellschaft, ein „demografischer Winter“, der hier kälter ausfallen könnte als im Rest Europas, weil der weibliche Exodus von den Inseln massiv ist. Die Frauen ziehen in die Inselhauptstadt Tórshavn oder gleich nach Kopenhagen, um zu studieren, einen gut bezahlten Job zu finden und einen Partner auf Augenhöhe.
Die 18 durch Tunnel und Fähren miteinander verbundenen Färöerinseln gehören seit dem 14. Jahrhundert zur dänischen Krone. Alle Inseleinwohner haben einen dänischen Pass, sprechen aber neben Dänisch ihre eigene Sprache und verwalten sich seit 1948 autonom. Viele Färöer leben fern der Inseln, 20 000 wohnen derzeit in Dänemark, vor allem Frauen.
Dass die Färöer ihre Insel verlassen, ist ein Phänomen, das beide Geschlechter betrifft, Männer wie Frauen wollen nach der Schule ein anderes Leben probieren und steigen in den Flieger nach Dänemark. Aber die meisten Männer kommen nach dem Studium oder der Ausbildung in die Heimat zurück. „Die Frauen bleiben dauerhaft weg“, sagt die färöische Sozialministerin Eyðgunn Samuelsen, „weil die männerdominierte, verkrustete Gesellschaft aus Fischern und Jägern für sie nicht attraktiv ist.“ Leben auf den Färöern heißt: viel Nebel, viele Schafe, viele Jobs in der Fischerei, wenige Akademiker. Die Frauen heiraten lieber in der Ferne einen anderen Typ Mann.
Warum ist der färöische Mann für die färöische Frau so unattraktiv? Firouz Gaini, Professor für Anthropologie an der Färöischen Universität in Tórshavn, hat Genderfeldforschung betrieben. „Der Fischfang dominiert die Färöer immer noch. Er bestimmt nicht nur das wirtschaftliche, sondern auch das gesellschaftliche Leben, aus dem sich die Frauen aber zunehmend herauslösen und emanzipieren.“ Viele färöische Männer seien eher ungebildet, traditionell, sesshaft und pragmatisch. Ein Drittel der Männer zwischen 20 und 30 habe nur eine Schulbildung bis zur neunten Klasse. Die Frauen dagegen, sagt Gaini, seien in den höheren schulischen Jahrgängen in der Überzahl, in der Regel top ausgebildet, wirtschaftlich unabhängig, mobil und offen für Neues. Sie zögen in die Stadt, um ihre Möglichkeiten zu erkunden, im Studium, im Job, in der Liebe. Der Mann bleibe im Dorf, wolle Fischer werden wie sein Vater und eine Familie gründen.
Auch wenn es ungerecht, verallgemeinernd und schablonenhaft ist: Auf Basis seiner empirischen Studien hat Gaini das Stereotyp des färöischen Mannes destilliert: Fischer, hetero, weiß, maskulin, Messerträger, Dörfler, Protestant, Vogelfänger, Walharpunierer, konservativ … womit er eine Figur beschreibt, die die Inseln lange dominiert hat und immer noch überraschend häufig anzutreffen ist, verheiratet, geschieden, mittlerweile vor allem aber: Single. Gaini nennt ihn den „atlantischen Cowboy“.
Wer ist er? Er ist Fischer, kommt und geht in Wellen, drei Monate weg, zwei Monate da. Er ist ein Facebook-Freund, immer online, aber wenn seine Mutter stirbt oder sein Kind geboren wird, ist er nicht da. Wenn er da ist, ruht er sich aus, geht Wale jagen, mit Kumpeln rudern oder bollert mit einem tiefergelegten Wagen die Hafenpromenade entlang, um sein Revier zu markieren. Er trägt einen groben Wollpulli, den ihm seine Oma gestrickt hat, oder eine Lederjacke. Er ist Fan der Wikinger, die um 800 nach Christus die Färöer besiedelt haben. Aber da er wenig über diese Zeit weiß, gleicht er den Faktenmangel mit einem Übermaß an Fantasie aus und romantisiert seine Vorfahren zu noblen Naturburschen. Der prämoderne Mann, „en rættur maður“ – ein richtiger Mann –, ist sein maskulines Leitbild.
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Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, mare-Redakteur, begleitete die Osloer Fotografin Andrea Gjestvang, geboren 1981, Mitglied der Agentur Panos Pictures, auf eine ihrer vielen Reisen auf die Färöer. Dort dokumentiert sie seit 2014 die Welt der Männer – Leben, Arbeit, Freunde und Familie.
Vita | Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, mare-Redakteur, begleitete die Osloer Fotografin Andrea Gjestvang, geboren 1981, Mitglied der Agentur Panos Pictures, auf eine ihrer vielen Reisen auf die Färöer. Dort dokumentiert sie seit 2014 die Welt der Männer – Leben, Arbeit, Freunde und Familie. |
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Person | Von Dimitri Ladischensky und Andrea Gjestvang |
Vita | Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, mare-Redakteur, begleitete die Osloer Fotografin Andrea Gjestvang, geboren 1981, Mitglied der Agentur Panos Pictures, auf eine ihrer vielen Reisen auf die Färöer. Dort dokumentiert sie seit 2014 die Welt der Männer – Leben, Arbeit, Freunde und Familie. |
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