Insel der Widerspenstigen

Ein Seminar für griechisch-orthodoxe Priester, ausgerechnet auf einer Insel vor Istanbul. Chronik einer schwierigen Koexistenz

Schon von weitem taucht der rote Backsteinbau aus dem Dunst auf. Mit jeder Meile, die das Schiff der Insel näher kommt, wird das Kloster der Heiligen Dreieinigkeit deutlicher erkennbar: dicke, schwere Mauern, noch aus der Zeit, als in Konstantinopel die byzantinischen Kaiser regierten. Ein Bollwerk der Geistlichkeit – in weiser Voraussicht auf die Unbill, die noch kommen sollte.

Damals lebten auf den Prinzeninseln außer den Mönchen die vom kaiserlichen Hof verbannten Prinzen, was der Inselgruppe – es sind insgesamt sieben – später ihren Namen gab. Prinzen gibt es heute auf den Inseln nicht mehr, aber die Mönche halten nach all den Jahrhunderten unter osmanischer Herrschaft hier immer noch die Stellung.

Früher war eine Fahrt von Konstantinopel nach Heybeli eine beschwerliche Angelegenheit. Mit großen Ruderbooten wurde die Verbindung aufrechterhalten. „Klöster sind Orte des Rückzugs und der spirituellen Besinnung“, sagt Metropolitan Apostolos Daniilides, Abt des Klosters der Heiligen Dreieinigkeit, auf die Frage, warum es auf den Prinzeninseln bis heute fünf orthodoxe Klöster und sechs Kirchen gibt. Man wollte abseits der Polis, wie die Stadt bei den Griechen heißt, sein. „Außerdem“, so der 51-Jährige, „waren Griechen schon immer dem Meer eng verbunden. Im Unterschied zu den Türken sind wir Seeleute, deshalb haben sich auch im Osmanischen Reich viele griechische Christen auf den Inseln niedergelassen.“

Wer heute das Kloster besucht, reist komfortabel mit einer der Istanbuler Stadtfähren. Auf Heybeli angekommen, geht es weiter durch Pinienwälder mit einer Pferdekutsche, dem einzigen auf der Insel zugelassenen Transportfahrzeug. Das Kloster liegt in einem Park von blühenden Bougainvilleen und Palmen. Ein hufeisenförmiger Bau, der eine Kapelle in der Mitte umschließt. Kaum ein Mensch stört hier die Kontemplation. Ab und an schleicht ein Gärtner vorbei, damit scheint die Betriebsamkeit bereits erschöpft. Die Ruhe ist aber nicht nur dem Klosterleben geschuldet, sie rührt hauptsächlich daher, dass das große Gebäude nahezu unbewohnt ist. Nur der Abt und der Diakon sind ständig anwesend. Was für ein Gegensatz zu früher: Das Kloster beherbergte einst die theologische Hochschule des orthodoxen Patriarchats.

Die Kaderschmiede war 1844 gegründet worden für den Priesternachwuchs der orthodoxen Gemeinden in Konstantinopel und dem übrigen Reich. Das Patriarchat in Istanbul ist seit byzantinischen Zeiten Sitz des spirituellen Oberhaupts der gesamten orthodoxen Welt.

Entsprechend wichtig war Heybeli. Als Zehnjähriger, 1949, besuchte Diakon Dorotheos, der damals noch Theodore Anastasiadis hieß, mit seiner Schulklasse zum ersten Mal das Kloster, in dem er nun seit fünf Jahren lebt. „Damals schon hatte ich den Wunsch, hier zu studieren.“ Doch sein Vater wollte einen Ökonomen in der Familie. „Als ich mich dann doch noch der Priesterlaufbahn zuwenden wollte, war es zu spät.“ 1971 schloss die türkische Regierung die Hochschule von Heybeli.

Damals regierte in Athen die „Junta der Obristen“ mit Gewalt und Unterdrückung gegen die türkische Minderheit auf Zypern. Die Reaktion Ankaras ließ nicht lange auf sich warten. Man glaubte, Bischof Makarios, der damalige Regierungschef Zyperns, sei ein Absolvent der Hochschule von Heybeli und verstecke dort seine Spießgesellen. Als im Frühjahr 1971 das Militär in Ankara die zivilen Politiker für ein Jahr beurlaubte, war es vorbei mit der Rekrutierung orthodoxen Nachwuchses.

Denn nun wurden alle privaten Institute unter staatliche Aufsicht gestellt. Zwar pochte der Patriarch darauf, dass den christlichen Minderheiten im Friedensvertrag von Lausanne 1924 das Recht auf eigene Hochschulen eingeräumt worden sei. Es half nichts. Das Verfassungsgericht entschied, dass nach kemalistischer Tradition alle Bildungseinrichtungen vom Staat kontrolliert werden müssten. Dazu wiederum mochte der Patriarch seinen Segen nicht geben, und so verließen ein Jahr später die letzten Studenten Heybeli.


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mare No. 46

No. 46Oktober / November 2004

Von Jürgen Gottschlich und Nikolaus Geyer

Jürgen Gottschlich, Jahrgang 1954, lebt seit sechs Jahren in Istanbul als Korrespondent der Berliner Tageszeitung. Das Kloster kennt er gut, auf der Nachbarinsel Büyüd Ada hat er eine Zweitwohnung.

Nikolaus Geyer, geboren 1968, wohnt in Berlin und fotografiert regelmäßig für Zeit und Geo. Der Diakon, „eine Mischung aus Peter Sellers und Peter Ustinov“, wollte sich nur heimlich fotografieren lassen – ihn werde der Abt sonst mit der Peitsche züchtigen. Ob Spaß oder Ernst: Geyer weiß es bis heute nicht.

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Vita Jürgen Gottschlich, Jahrgang 1954, lebt seit sechs Jahren in Istanbul als Korrespondent der Berliner Tageszeitung. Das Kloster kennt er gut, auf der Nachbarinsel Büyüd Ada hat er eine Zweitwohnung.

Nikolaus Geyer, geboren 1968, wohnt in Berlin und fotografiert regelmäßig für Zeit und Geo. Der Diakon, „eine Mischung aus Peter Sellers und Peter Ustinov“, wollte sich nur heimlich fotografieren lassen – ihn werde der Abt sonst mit der Peitsche züchtigen. Ob Spaß oder Ernst: Geyer weiß es bis heute nicht.
Person Von Jürgen Gottschlich und Nikolaus Geyer
Vita Jürgen Gottschlich, Jahrgang 1954, lebt seit sechs Jahren in Istanbul als Korrespondent der Berliner Tageszeitung. Das Kloster kennt er gut, auf der Nachbarinsel Büyüd Ada hat er eine Zweitwohnung.

Nikolaus Geyer, geboren 1968, wohnt in Berlin und fotografiert regelmäßig für Zeit und Geo. Der Diakon, „eine Mischung aus Peter Sellers und Peter Ustinov“, wollte sich nur heimlich fotografieren lassen – ihn werde der Abt sonst mit der Peitsche züchtigen. Ob Spaß oder Ernst: Geyer weiß es bis heute nicht.
Person Von Jürgen Gottschlich und Nikolaus Geyer
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