Insel auf Reisen

Dem Ingenieur ist nichts zu schwör, und so baut er ein Schiff, das eine ganze Bohrinsel einfach huckepack nimmt

Das kleine Schiff duckt sich und duckt sich, es senkt sein offenes Deck tief ins Hafenbecken hinab und wartet ergeben auf die große Last, die es tragen soll. Die schwimmt einfach hinüber, über das kleine Schiff. Und wenn der Dampfer dann wieder auftaucht und seinen normalen Tiefgang erreicht hat, ist er schwer beladen.

In Wirklichkeit ist das Schiff natürlich gar nicht klein, es kann sich bloß erstaunlich klein machen, um gewaltiges Stückgut aufzunehmen: Produktionsplattformen der Ölindustrie oder Bohrtürme, ein paar Hafenkräne, ein Schwung halb fertiger oder selbst bereits beladener Lastkähne, und im letzten Sommer brachte die „Blue Marlin“ den 160 Meter langen und 22 Meter breiten Rumpf einer Luxusyacht von der Werft in Hamburg zum Ausbau nach Rotterdam. Dort wurde die Yacht entladen und in ihr eigenes Trockendock bugsiert, welches anschließend samt Inhalt auf das Transportschiff geladen wurde, und dann fuhren alle zusammen nach Sharjah in den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Derselbe Frachter brachte übrigens im Herbst 2000 den bei einem Sprengstoffanschlag beschädigten amerikanischen Zerstörer „USS Cole“ von Aden in Jemen nach Pascagoula in Mississippi, wo er repariert wurde. Aber in der Regel wird Gerätschaft für die Industrie transportiert.

Die Schiffe fahren für die niederländische Reederei Dockwise, die – nach eigenen Angaben – mit ihren 14 „Spezialhalbtaucherschwertransportschiffen“ die größ- te Tiefladerflotte der Welt betreibt. Der Frachter „Mighty Servant 3“ – starker Diener, mächtige Magd – trägt sein sperriges Gut auf einem offenen, völlig ebenen Deck von 140 Meter Länge, und die „Mighty Servant 1“ bietet sogar eine Ladefläche im XL-Format von 150 mal 50 Metern.

Die starken Diener sind Meister der Ladetechnik, sie beherrschen allesamt gleich vier Verfahren: Float-on/Float-off, Roll-on/Roll-off, Skid-on/Skid-off und Lift-on/Lift-off oder Kombinationen daraus. Es gibt keinen anderen Frachtertyp, der ihnen in puncto Flexibilität voraus ist.

Ihre Paradedisziplin ist das Float-on/Float-off, das Satteln schwimmender Lasten. Die Schwerlaster von Dockwise sind unter Deck in separate Kammern eingeteilt. Wenn die Ladefläche auf Tauchstation gehen soll, werden die Tanks in fest definierter Reihenfolge geflutet, um die Belastungen auf den Schiffsrumpf gleichmäßig zu verteilen. Langsam sinkt der Frachter gleichmäßig auf die benötigte Ladetiefe ab. Bei der „Mighty Servant 1“ liegt der Kiel am Ende auf einer Tiefe von 26 Metern, das Deck immerhin 18 Meter unter der Wasseroberfläche. So kann sie bequem Schiffe oder Plattformen huckepack nehmen, die ihrerseits 14 Meter Tiefgang haben – so viel wie die größten Containerfrachter der Welt.

Dank ihres Luftkammersystems können sich die Tiefstapler andererseits auch ihren Lasten entgegenheben, wenn diese vom Kai direkt auf das Schiff gefahren (Roll-on/Roll-off) oder geschoben (Skid-on/Skid-off) werden sollen. Das Füllen und Leeren der Kammern geschieht mit Pumpen oder mit einer Kombination aus Pumpe und Druckluft, die in die Kammern geblasen wird, um das Wasser herauszudrücken. Die beiden größeren Schiffe, die „Marlins“, schlucken beim Tauchen bis zu 96500 Kubikmeter Wasser.

Solche Massen sind natürlich nicht schnell bewegt, die Beladung der Schwerlaster dauert einen ganzen Tag. Allein der Tauchvorgang nimmt bis zu vier Stunden in Anspruch. In Position gehalten und am tatsächlichen Sinken gehindert werden die Schiffe durch die zwei Bojenkästen achtern. Sobald die schwimmende Last über Deck auf die Ladeposition bugsiert ist, wird sie mit schweren Trossen an den Bojenkästen und dem Brückenhaus vertäut.

Dann beginnt das Schiff langsam wieder aufzutauchen. Es hebt sich vier bis fünf Stunden lang seiner Last entgegen, bis diese an Deck auf den vorbereiteten Holzbalkenrahmen und krippenförmigen Auflagern ruht. So verharrt das Schiff erst einmal, weil man nun warten muss, bis an Deck alles getrocknet ist. Denn um die Last für den Seetransport zu sichern, muss sie noch mit Dreibeinen abgestützt und fixiert werden, die auf das Deck geschweißt werden.

Die Schwerlastschiffe unternehmen zehn bis zwölf Fahrten im Jahr. Ihre Fracht hat nicht selten eine größere Fläche als das Deck. Ein Alptraum von einer Kalkulation für jeden Nautiker, der für derartiges Gepäck die Lastenverteilung und Stabilität berechnen muss. Denn mit solchen Überhängen schrumpft der Rollwinkel, den Schiff und Last vertragen können, auf ein Minimum.

Aber die starken Diener lassen sich nichts anmerken. Sie ziehen mit zügigen 13 Knoten über die Weltmeere, ohne Wackeln, ohne Wanken. Irgendwie scheinen die Kapitäne dieser gewaltigen Tieflader eine Lücke im Katalog der Naturgesetze gefunden zu haben.

mare No. 34

No. 34Oktober / November 2002

Von Iris Hanika

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