In guter Nachbarschaft

In Ny-Ålesund auf Spitzbergen erforschen Wissenschaftler aus aller Welt den Klimawandel. Ihre kleine pluralistische Gesellschaft funktioniert ganz ohne Hierarchien und kulturelle Hürden

Pfeilgerade schießt ein grüner Lichtstrahl in den Himmel, eine Parabolantenne horcht in die Nacht. „Sperrzone“ warnt eine Tafel. Ny-Ålesund ist ein Ort für Begegnungen der dritten Art. Im Winter ist das Wissenschaftlerdorf fast ausgestorben. Doch nirgendwo sonst gibt es eine so weit nördlich liegende Siedlung mit perfekter Infrastruktur zum Studium arktischer Phänomene. Zehn Staaten forschen hier: Norwegen, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Japan, China, Südkorea, Niederlande, Italien, Indien. Die deutsch-französische, die norwegische und die chinesische Station sind das ganze Jahr besetzt, die anderen nur im Sommer. Untersucht werden Veränderungen der Atmosphäre, der Biosphäre und des Ozeans – der fortschreitende Klimawandel.

Die erste Station in Ny-Ålesund wurde 1964 von der European Space Research Organisation errichtet, 1968 folgte das Norwegische Polarinstitut. Heute sind jeden Sommer bis zu 200 Wissenschaftler vor Ort. Die Kings Bay AS, die das Forschungszentrum verwaltet, betrieb hier früher ein Kohlebergwerk für den norwegischen Staat. Zwischen 1945 und 1962 ereigneten sich drei schwere Grubenunglücke, 64 Arbeiter kamen ums Leben. Eine Parlamentskommission deckte Mängel in der Verwaltung auf. Daraus erwuchs eine Affäre, die nicht nur das Ende des Bergbaus in Ny-Ålesund, sondern auch das der Regierung beförderte.

Dem Staatsbetrieb gehören bis heute die 295 Quadratkilometer Land, das die Halbinsel Brøgger und die Küsten des Kongsfjords umfasst. Hafen, Flugplatz, Häuser, Straßen, Wasser- und Stromversorgung, all das stammt aus der Zeit des Bergbaus und wurde den neuen Bedürfnissen angepasst. Wer sich um einen Job bei Kings Bay bewirbt, muss willens sein, unter ungewöhnlichen Bedingungen zu arbeiten. Ein Vertrag geht über zwei Jahre, nach maximal vier Jahren ist Schluss. Gebraucht werden Elektriker, Mechaniker, Installateure, Hafenarbeiter, Zimmerleute und Baggerfahrer, Personal für Empfang, Küche und Hauswirtschaft. Wer noch Kinder hat, die nicht volljährig sind, komme nicht infrage, sagt Ole Jacob Wiersholm, ein Manager von Kings Bay.

Im von Kings Bay militärisch organisierten Polarlager können sich Forscher ganz auf ihre Arbeit konzentrieren. Alles ist geregelt, von den Essenszeiten bis zur Mülltrennung nach 19 Kategorien. Die meisten sind nur ein, zwei Wochen hier, eine willkommene Abwechslung vom Alltag der Institute daheim. Fachübergreifend gibt es wenig Kontakt, doch sonst übliche Hierarchien verlieren an Geltung. 

Ob Küchenhilfe oder Professor, ob Europäer oder Asiate – in der Freizeit trifft man sich zum Hallenhockey und Zirkeltraining, in der Putzliste des Fitnessraums sind auch der Kings-Bay-Boss und die Stationsleiter eingetragen. Beim „Stricken und Trinken“ im alten Hotel „Nordpol“ werden bei Käse und Wein Hosen geflickt, Schals gestrickt – und es wird viel gelacht.

Im Winter, wenn nur 30 Leute in Ny-Ålesund sind, kommt das Versorgungsschiff nur zweimal. Schon Tage vorher wird davon geredet. Der Kran sei beschädigt, hieß es, was bedeuten würde, dass es weiterhin kein frisches Obst und Gemüse geben würde. Der Schneepflug räumt die Mole, dann taucht im Fjord die „Norbjørn“ auf. Noch ist fraglich, ob der Frachter anlegen kann – die Böen drohen Mann und Material von der Mole zu fegen. Aber dann ist er da und wird vertäut.

Die Fäden der Forschungsprojekte der deutsch-französischen Station AWIPEV laufen bei Stationsleiter Piotr Kupiszewski zusammen. Der 37-jährige Pole koordiniert die Arbeit, nimmt selbst Messungen vor und überprüft Instrumente. Kupiszewski ist Physiker, spricht fließend Norwegisch, weiß mit Traktor und Gabelstapler umzugehen und händigt die Gewehre aus. Ohne Waffe darf niemand in die Wildnis, die das Forscherdorf umgibt.

Inmitten der bescheidenen Häuser älteren Datums, die die Stationen beherbergen, steht die Sverdrupstation des Norwegischen Polarinstituts, ein modernes Gebäude im kühlen skandinavischen Stil. Helge Tore Markussen, ein Mann mit der kontrollierten Haltung und klaren Diktion des Militärs, ist ihr Manager. Als Luftwaffenoffizier hat er früher den Verteidigungsminister auf Auslandsreisen begleitet.

„Diese Erfahrungen nützen mir, weil wir hier eine internationale Gemeinschaft sind“, sagt er. Frühmorgens fährt Markussen mit der Gondelbahn zur Zeppelinstation auf 474 Meter Höhe, füllt Luft in Flaschen ab und verschickt sie nach Holland, Großbritannien und in die USA. Die Messungen macht Markussen allein; der Atem jedes Begleiters würde sie beeinflussen. 


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mare No. 132

No. 132Februar / März 2019

Von Peter Haffner und Paolo Verzone

Autor Peter Haffner und Fotograf Paolo Verzone haben die Abgeschiedenheit von Ny-Ålesund am eigenen Leib erfahren. Wegen des schlechten Wetters hingen sie zwei Tage länger als geplant auf der Station fest.

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Vita Autor Peter Haffner und Fotograf Paolo Verzone haben die Abgeschiedenheit von Ny-Ålesund am eigenen Leib erfahren. Wegen des schlechten Wetters hingen sie zwei Tage länger als geplant auf der Station fest.
Person Von Peter Haffner und Paolo Verzone
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