In Gottes heiligem Garten

In einem Kloster bei Lissabon hegten Mönche über Jahrhunderte die Schösslinge exotischer Bäume, die Portugals Seefahrer von allen Küsten der Welt mitbrachten. Heute ist es ein berückender Park

Heimweh wird die portugiesischen Matrosen befallen haben, wenn sie nach monatelangen Seereisen an fernen Gestaden landeten und alles fremd fanden. Keine Pflanze, kein Tier erkannten sie wieder, alles war unvertraut und faszinierend. Davon wollten sie zu Hause berichten, nicht nur mit Bildern und Schilderungen. Sie steckten die fremden Samen ein, um sie in der heimatlichen Erde keimen und wachsen zu lassen, als lebende Belege ihrer Erlebnisse.

Oft hatte der Hunger einen Bauernbuben auf ein Schiff getrieben. Wer zu Hause kein Auskommen fand, hatte kaum eine andere Wahl. Die jungen Männer verließen den festen Boden unter ihren Füßen und lebten monatelang auf schwankenden Planken. Sie ertrugen Hunger und Durst, Skorbut und Schläge, wehrten sich gegen Piraten und feindselige Eingeborene, um irgendwann an einer unbekannten Küste zu landen. Ihr Staunen war groß, wenn sie dort auf unbekannte Gehölze stießen: Aus Dutzenden Rindenaugen starrte sie der Bunya-Bunya-Baum (Araucaria bidwillii) an. Der Gestank der Früchte des Mädchenhaarbaums (Ginkgo biloba) brachte sie zum Erbrechen. Eigenartige Linden blühten nicht unscheinbar grüngelb, sondern in ellenhohen Rispen prächtig fliederfarben wie der Blauglockenbaum (Paulownia tomentosa).

Aber vieles war aus der Heimat bekannt. Samen keimen, Pflanzen wachsen heran, blühen, fruchten und bilden wieder Samen, überall auf der Welt. Der Zapfen einer Atlas-Zeder (Cedrus atlantica) sieht zwar nicht aus wie der einer Spanischen Tanne (Abies pinsapo), aber dass sich darin die Samen finden, liegt nahe. Der Stolz, in der Ferne so etwas gefunden zu haben, mag die Männer geleitet haben, die seltsamen Zapfen mit nach Hause zu nehmen; vielleicht war es auch nur die Neugier, ob sie auch in Portugal keimen würden.

Einige von ihnen werden die fremden Zapfen den ehrenwerten Mönchen in Buçaco zum Geschenk gemacht haben. Die Karmeliten hatten diesen Ort zwischen Porto und Lissabon, rund 40 Kilometer von der Küste entfernt, im frühen 17. Jahrhundert für ihr neues Kloster gewählt. An einer recht steilen Flanke der Serra do Buçaco hatten sie einen unberührten Wald gefunden. Sie empfanden ihn als heilig. Das Klima war gleichmäßig warm und feucht. Moose und Flechten siedelten auf den alten Bäumen und Steinen, das Unterholz war dicht und sattgrün. Die Winde über dem Atlantik trieben Wolken heran; die Flanke der Serra hielt sie auf und nahm ihren Regen entgegen. Mitten im Wald lag eine flachere Terrasse. Hier beschlossen die ersten sechs der Mönche zu bleiben. 1629 waren sie mit wenig mehr als ihren Händen und einigen Werkzeugen in diesem Urwald angekommen. Sie sahen die Schönheit des Ortes als Zeichen Gottes, genau hier ihr Kloster zu gründen. Sie fällten Bäume, gruben die Wurzelstöcke aus, legten die Fundamente und errichteten aus Feldsteinen, Balken und Korkplatten den ersten Bau.

Sie mussten von einer tiefen Naturliebe beseelt gewesen sein, denn schon bald gaben sie sich die Regel, dass Bäume nur noch gefällt werden durften, wenn zwei Drittel der Bruderschaft zustimmten. Dem Wald kam eine derart große Verehrung als Gottes Geschöpf zu, dass eine päpstliche Bulle 1643 jedem die Exkommunikation androhte, der hier ohne Zustimmung der Mönche einen Baum fällte. Die Karmeliten selbst gelobten, jedes Jahr ihren heiligen Wald mit mehr Bäumen zu verschönern.

Einer von ihnen, Bruder João Batista, tat sich bald besonders hervor. Er war der Erste, der aus fernen Ländern stammende Bäume pflanzte. Diese Exoten sollten den heimischen Wald zum höheren Lob Gottes noch verschönern. So legte er den Samen für eine der ältesten Baumsammlungen der Welt, die bald in ganz Europa bekannt wurde. Schon 1689 reiste der Hofbotaniker von Louis XIV., Joseph Pitton de Tournefort, nach Buçaco, um sie zu sehen. Er zählte 42 fremde Arten; heute sind es über 250. Portugal ist ein kleines Land, aber groß ist die Geschichte seiner Eroberungen. Die Bäume im Park erzählen sie; sie stammen fast alle aus ehemaligen portugiesischen Kolonien.

Es ist überliefert, dass für den gärtnernden Mönch die Pflege seiner Bäume Gebete waren. Aber wie gelangten diese Exoten zu ihm nach Zentralportugal? Viele Samen wie die der Goa-Zypresse (Cupressus lusitanica) bleiben jahrelang keimfähig. Sie können auch eine endlose Seereise gut überstehen. Ihr Finder muss sie trocken und dunkel aufbewahren und vor Schädlingen schützen. Am besten gelang das, wenn er sie in einem Leinensäckchen über seiner Hängematte aufhängte, unerreichbar für die Ratten und Mäuse des Schiffes. Bruder João Batista wird die Samen, die ihm so zugetragen wurden, kaum einfach im Freiland ausgesät haben. Viel zu kostbar waren diese Zeugen vom anderen Ende der Welt. Er wird sie in Töpfen auf dem Fenstersims seiner Einsiedelei in durchlässiges Substrat aus Sand und Walderde gebettet und nicht zu wenig und nicht zu viel gewässert haben. Er wird sich geduldet haben, denn solche Samen lassen sich Zeit. Er wird gehofft haben auf des Schöpfers Gnade und vertraut auf das eigene gärtnerische Geschick.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 124. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 124

No.124Oktober / November 2017

Von Hansjörg Gadient

Autor Hansjörg Gadient, Jahrgang 1962, ist Professor für Landschaftsarchitektur an der Hochschule für Technik Rapperswil in der Schweiz. Schon in mare No. 81 schrieb er über Pflanzen auf hoher See (Matrosen sind keine Gärtner). Darin lässt sich nachlesen, warum exotische Pflanzen erst mit der Erfindung des Wardschen Kastens im großen Stil ihren Weg nach Europa fanden.

Mehr Informationen
Vita Autor Hansjörg Gadient, Jahrgang 1962, ist Professor für Landschaftsarchitektur an der Hochschule für Technik Rapperswil in der Schweiz. Schon in mare No. 81 schrieb er über Pflanzen auf hoher See (Matrosen sind keine Gärtner). Darin lässt sich nachlesen, warum exotische Pflanzen erst mit der Erfindung des Wardschen Kastens im großen Stil ihren Weg nach Europa fanden.
Person Von Hansjörg Gadient
Vita Autor Hansjörg Gadient, Jahrgang 1962, ist Professor für Landschaftsarchitektur an der Hochschule für Technik Rapperswil in der Schweiz. Schon in mare No. 81 schrieb er über Pflanzen auf hoher See (Matrosen sind keine Gärtner). Darin lässt sich nachlesen, warum exotische Pflanzen erst mit der Erfindung des Wardschen Kastens im großen Stil ihren Weg nach Europa fanden.
Person Von Hansjörg Gadient