In ewiger Nacht und Kälte

Sehen, Riechen, Hören, Sex: Die Überlebensstrategien der Tiefseebewohner sind effizient

So weit die Himmel auch reichen: Gegenüber den Weiten und Tiefen der Ozeane erscheinen die Lebensräume an Land und in der Luft eher beengt. Die Meere bedecken nicht nur rund 70 Prozent unseres Planeten. Fern der Küsten reichen sie zudem bis in eine durchschnittliche Tiefe von 3000 bis 5000 Metern. Noch tiefere Abgründe weist der westliche Pazifik mit seinen Grabensystemen auf, dessen tiefster Ort nach dem russischen Forschungsschiff, das ihn erstmals vermessen hat, benannt wurde: die Vitiaz-Tiefe mit 11022 Metern.

Während sich der terrestrische Lebensraum von Insekten, Vögeln und Säugetieren nur bis in eine Flughöhe von einigen hundert Metern erstreckt, ist die Tiefsee bis an den Meeresgrund und sogar in dessen Sedimente hinein besiedelt. So nimmt im Vergleich der Lebensbereiche die Tiefsee ein Volumen von 78,5 Prozent unserer Biosphäre ein, die flachen Bereiche der Ozeane oberhalb einer Tiefe von 200 Metern immerhin noch 21 Prozent. Zusammen bilden die Ozeane also 99,5 Prozent des gesamten Lebensraumes der Erde – die damit wahrhaft ein Wasserplanet ist.

Uns erscheint die Tiefsee als denkbar lebensfeindliches Biotop. Schon in 1000 Meter Tiefe ist es nur noch fünf Grad warm, bis zum Meeresboden fällt die Temperatur auf zwei Grad ab. Das Licht verabschiedet sich schon in 200 Meter Tiefe zu einem zarten Dämmern, ab 800 Meter herrscht totale Finsternis. Und da der Druck alle zehn Meter um eine Atmosphäre ansteigt, sind die Tiere der Tiefsee dem 100- bis 1000fachen des atmosphärischen Druckes ausgeliefert. Das entspricht einem Gewicht von bis zu einer Tonne pro Quadratzentimeter Körperoberfläche.

Dieser immense Druck ließ Meeresforscher lange glauben, daß ein Leben unterhalb von 500 Metern kaum möglich sei – bis 1860 die Bergung eines Tiefseekabels aus 2000 Meter Tiefe auch einen vielfältigen Bewuchs von Muscheln und Schnecken ans Tageslicht brachte. Tatsächlich ist der hohe Druck nicht kritisch, denn die Tiefseetiere besitzen keine luftgefüllten Hohlräume wie Schwimmblasen, so daß Außen- und Innendruck gleich sind.

Die meisten Fische, Garnelen und Tintenfische aus Tiefen zwischen 800 und 2000 Meter sind gut bewegliche Räuber mit erstaunlichen Anpassungen an die dortige Dunkelheit und den Nahrungsmangel. Insbesondere die dünn gesäte Nahrung erfordert einen sparsamen Umgang mit Energie. Einige Tintenfische wie die durchsichtigen Gallertkalmare bedienen sich daher einer mit Ammoniak gefüllten „Schwimmblase“, die ein bewegungsloses Treiben ermöglicht. Auch einige langsam schwimmende Fischarten sind gallertartig eingehüllt; ihre vergrößerte Oberfläche verringert die Sinkgeschwindigkeit. Und bei Fischen größerer Tiefen sind die Schwimmblasen statt mit Luft, die dem Druck nicht standhalten würde, mit Fett, das Auftrieb gibt, gefüllt.

Auch im Dämmerlicht, sogar in der Dunkelheit der tiefsten Schichten, ist Tarnung angezeigt. Deshalb dominiert schwarze, silbrige und, wie bei Garnelen, rote „Kleidung“, denn Meerwasser absorbiert Rot schon in nur zehn Meter Tiefe aus dem Farbspektrum des Lichtes. Das samtige, kein Licht reflektierende Schwarz ist oft nur auf den Rücken der Tiere beschränkt, die Seiten sind silbrig. Dadurch wirken die Flanken wie Spiegel, die das Restlicht der Dämmerzone oberhalb von 800 Meter Tiefe in gleicher Helligkeit und Farbe reflektieren – der Fisch erscheint unsichtbar.

Einige der Tiefseebewohner haben diese Tarnung durch eigenes Licht perfektioniert. Sie besitzen sogenannte Leuchtorgane, mit denen sie ein meist blaugrünliches Licht chemisch oder mit Hilfe von eingelagerten Bakterien erzeugen können: die Biolumineszenz. Bei den Beilfischen strahlt eine ganze Batterie von Leuchtorganen Licht senkrecht nach unten; der Bauch des Hochguckers (Opisthoproctus) erscheint gar gleichmäßig erleuchtet. Auffallend ist die nach oben gerichtete Augenstellung der meisten Tiefseefische: Offensichtlich suchen die Tiere den Schattenriß, den jede Beute gegen das von oben einfallende Dämmerlicht verursacht. Die Aufhellung der Bauchseite verbirgt das Tier vor seinem in der Tiefe lauernden Feind – eine Taktik, die auch die Royal Air Force im 2. Weltkrieg erprobte, als sie ihre Bomber auf Tagesflügen an den Unterseiten von Rumpf und Flügel mit dichten Scheinwerferreihen ausstattete.

Zwischen 800 und 1500 Meter Tiefe tragen rund zwei Drittel der wirbellosen Tiere – Quallen, Krebse und Tintenfische – Leuchtorgane. Und von den rund 1500 Arten von Tiefseefischen besitzen annähernd 1000 eine eigene „Laterne“ – oder sogar mehrere, deren charakteristische Anordnung den Forschern bei der Artbestimmung hilft. Bei den relativ häufigen Laternenfischen sind es immerhin bis zu 50 auf jeder Flanke.

Doch das Leuchten der Tiefsee leistet den Tieren noch andere hilfreiche Dienste. So wehren zahlreiche Garnelen und Tintenfische, aber auch der Leucht-Hering Searsia ihre Angreifer ab, indem sie Wolken eines Leuchtsekretes ausstoßen. Die im Sekret des Leucht-Herings enthaltenen Leuchtpartikel strahlen etwa vier Sekunden, bevor sie in der lichtlosen Weite verglimmen. Andere Arten tragen zwischen den Augen nach vorne gerichtete „Laternen“, mit denen sie Suchscheinwerfern gleich die Tiefsee nach Beute erkunden. Und nicht zuletzt dienen die Leuchtsignale von Fischen und Tintenfischen auch der Partnersuche im unendlichen Dunkel.

Zumindest bei einigen Arten spielt auch der Geruchssinn beim Erkennen von Paarungspartnern eine wichtige Rolle, wie die Wissenschaftler aus den übergroßen Nasenöffnungen beispielsweise der Anglerfisch-Männchen schließen. Apropos

Anglerfische und ihr Körpereinsatz: Schon 1925 beschrieben Forscher etwa zwei Zentimeter lange Tiefseefische mit großen Nasenlöchern und merkwürdigen Zangenmäulern. Doch erst als viele Jahre später Netzfänge auch Anglerfisch-Weibchen aus den Tiefen hervorbrachten, erkannten die Biologen den „Zusammenhang“: Die wahrhaft anhänglichen Fischchen waren männliche Artgenossen. Manche Weibchen hatten zwei oder sogar drei Männchen im Schlepptau. Während sich bei einigen der insgesamt 115 Anglerfisch-Arten die Männchen nur zeitweise festbeißen, verwachsen sie bei anderen Arten fest mit dem Weibchen. Der Ehegatte wird zum Parasiten, seine Ernährung und Sauerstoffversorgung erfolgt nur noch über den Kreislauf des Weibchens, dessen Eierstöcke erst nach der Zwangshochzeit zu reifen beginnen. Im allgemeinen dominieren die Zwergmännchen zahlenmäßig die Weibchen, was die Vielzahl männlicher „Anhänger“ erklärt.

Noch weitgehend unerforscht ist hingegen die Frage der akustischen Kommunikation unter den Tiefseefischen. Aus flachen Meeresgebieten und Seen sind inzwischen mehr als 100 Arten beschrieben, die sich lautstark verständigen. Ihre Laute dienen vor allem der Partnersuche, Balz und Revierabgrenzung.

Empfindliche Hydrophone, die in die lichtlose Tiefe lauschen, bringen vielfältige Laute zu Tage, die bis auf die Walgesänge noch weitgehend unbekannt sind. Derweil gelang es dem britischen Tiefseebiologen und Fischexperten Norbert Marshall, bei 50 Grenadierfischarten und bodenlebenden Tiefseefischen Trommelmuskeln auf ihren Schwimmblasen nachzuweisen. Trommelmuskeln gehören zu den effektivsten Lautmechanismen, mit denen auch unser beliebter Speisefisch, der Dorsch oder Kabeljau, lautes Brummen bei der Balz ertönen läßt. Und auch der Knurrhahn der Nordsee gibt damit trommelnd sein Revier zu erkennen. Bei den untersuchten Tiefseefischen ist der Gehörsinn durch große Gehörknöchelchen und -säckchen im Gehirn gut entwickelt. So vermutet Marshall, daß insgesamt mindestens 250 Grenadierfischarten und 150 bodenlebende Brotuliden-Fische Geräusche von sich geben.


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mare No. 13

No. 13April / Mai 1999

Von Johannes Kinzer

Dr. Johannes Kinzer, Jahrgang 1929, arbeitet seit 1970 als Meeresbiologe am Institut für Meereskunde Kiel. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Nahrungsökologie von Tiefseefischen.

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Vita Dr. Johannes Kinzer, Jahrgang 1929, arbeitet seit 1970 als Meeresbiologe am Institut für Meereskunde Kiel. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Nahrungsökologie von Tiefseefischen.
Person Von Johannes Kinzer
Vita Dr. Johannes Kinzer, Jahrgang 1929, arbeitet seit 1970 als Meeresbiologe am Institut für Meereskunde Kiel. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Nahrungsökologie von Tiefseefischen.
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