In der Höhle des Touristen

Die Blaue Grotte von Capri und die Künstler

Goethe ließ Capri links liegen. Der Dichter, der seine Landsleute einst fragte, ob sie das Land kennen würden, wo die Zitronen blühn, meinte diese Insel nicht. Auf seinen Wanderungen durch Italien 1787 folgte er lieber den Spuren seines Vaters und den Wegen, die bereits hunderte von Reisenden vor ihm gegangen waren: nach Verona, Venedig, Ferrara, Rom und Neapel.

Einem anderen Reiseschriftsteller, Johann Gottfried Seume, fehlte schlicht genügend Geld, um das Eiland vor Neapel zu besuchen. Es war nicht die landschaftliche Schönheit der Insel, die Seume anzog. Er war vielmehr fasziniert von der Vorstellung, dass dort einst der römische Kaiser Tiberius sein Unwesen getrieben hatte. Im antiken Theater, so wusste er, „hat der Wüstling einige Jahre das Menschengeschlecht misshandelt“. Um 1800 galt Capri als wenig anziehend: Ein unförmiges Stück Land im Meer, auf dem ein Tyrann gehaust hatte, konnte nicht wirklich bezaubernd sein.

Erst August Kopisch, Kölnern und Kindern als Dichter der Heinzelmännchen bekannt, ist es vorbehalten, einen Inseltourismus einzuleiten, dessen Höhepunkt im Besuch der legendären Blauen Grotte besteht. Eine Tafel über dem Eingang ehrt ihn bis heute dafür. Ihm, der als Fremder weiß, was Fremde locken könnte, verdankt sie Nimbus und Namen. Das Erlebnis seiner Höhlenerkundung hat er im Gästebuch seines Wirts und schließlich mit Bedacht auf Nachruhm in seinem ausführlichen Bericht „Entdeckung der Blauen Grotte auf der Insel Capri“ nachgezeichnet.

Im Sommer 1826 landet Kopisch mit dem befreundeten Maler Ernst Fries in der dortigen Hafenbucht. Der gebürtige Breslauer ist gerade fünfundzwanzig und im Gegensatz zu seiner Familie, die in ihm bereits den tüchtigen Auftragsmaler sieht, überzeugt davon, dass er Schriftsteller werden müsse. Weil ihm vor der bürgerlichen Zukunft graut, sucht er lieber das Weite und damit das Licht Italiens.

Von Beginn an treibt ihn die Neugier. Er brennt auf neue Entdeckungen. Ganz Kind seiner Zeit, die mit der Einrichtung der Geologie als Wissenschaftsdisziplin den geologisierenden Abenteurer hervorbringt, sehnt er sich danach, unwegsames Gelände zu durchstreifen, auf die höchsten Gipfel zu klettern und in unbekannte Tiefen der Erde hinabzusteigen. Anders als Goethe, dem es genügte, gelegentlich Steine zu sammeln oder an der Küste die Wirtschaft der Seeschnecken und Taschenkrebse zu beobachten, zielt Kopisch aufs Ganze. Er will die Insel in ihrer Gesamtheit, in allen ihren Grenzen, ohne Rücksicht auf körperliche Strapazen, erkunden.

Doch der erste Schritt geht nicht gleich in die Tiefe. Capri und seine Küste zu erforschen, ist Detailarbeit. Zunächst besteigt er den Monte Solaro im Süden der Insel und verschafft sich einen Überblick. Dann erst bereitet er seine Expedition zur Grotte, die sich am Nordwestufer befindet, vor.

Was man entdeckt, muss noch lange nicht unbekannt gewesen sein. Wie die Indianer ihr Land sehr wohl kannten, bevor Kolumbus kam, so war den Capresen die Grotte durchaus ein Begriff. Sie nannten sie Grotta Gradola. Der Name, von italienisch „abgestuft“, bezeichnet ihre topographische Lage halb unter dem Meeresspiegel.

Höchst überrascht ist Kopisch, wie sehr die Einheimischen versuchen, ihn davon abzuhalten, in die Grotte zu gelangen. Ein Schatz wurde darin nicht versteckt, wie es Kopischs Gefährten während ihrer Entdeckungsfahrt glauben. Der Grund für die Bestürzung der Capresen ist vielmehr echte Besorgnis.

Für sie ist die Grotte ein Ort, wo das Unheil lauert. Viele Geschichten werden über sie erzählt. So sollen darin Sirenen hausen und junge Fischer mit ihrem Gesang zu Tode betören. Der Inselgeistliche, dem es kaum gefallen kann, Mythisches ohne den Geist des christlichen Glaubens verbreitet zu hören, warnt daher eindringlich, die Höhle sei von bestialischen Teufeln bevölkert, die bloß die Gestalt der alten Sagenfiguren angenommen hätten. Wer sich aber auch davor nicht fürchte, mahnt der Gottesmann weiter, der müsse mindestens damit rechnen, von Haifischen gefressen zu werden.

Kopisch bleibt ihren Warnungen gegenüber taub. Indem er sie überhört, weist er dem künftigen Fremdenverkehr den Weg. Er will nicht nur seinen Mut zeigen. Als aufgeklärter Schriftsteller aus intellektuellem Milieu kennt er das Dichten und Erfinden und glaubt erst gar nicht an diese „alten griechischen Märchen“. Allein sein Freund Fries spürt beim Gedanken an die Haifische doch ein wenig Unbehagen. Er liebt das Risiko nicht. „Wisst ihr“, fragt er, „wie ich mir die Grotte inwendig denke? Nass, feucht, dunkel und finster!“

Wäre Fries bei seiner prosaischen Rückzugshaltung geblieben, würde er heute nicht die lange Reihe der Maler anführen, die das Licht der Blauen Grotte im Bild zu bannen versucht haben. Gerne lässt er Kopisch den Vortritt, als sie sich langsam in einem Boot nah an der Küste, im Schatten der Klippen und überhängenden Felswände, dem Zugang der Grotte nähern. Mit dabei sind Kopischs Wirt und ein Fischer, der sie rudert. Es sind die einzigen Capresen, die wie Kopisch so neugierig sind, dass sie ihre Angst überwinden. Im Dorf betet man für sie. Die See bleibt spiegelglatt und tiefblau.

Und noch einmal werden Bedenken geäußert. Die Unternehmung ist gefährlich. Finster zeigt sich im Hintergrund der kleinen Bucht der Höhleneingang. Er ist äußerst schmal, „nicht viel größer als eine Kellerluke“.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 15. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 15

No. 15August / September 1999

Von Thorsten Feldbusch

Thorsten Feldbusch, Jahrgang 1960, ist Literaturwissenschaftler und Historiker in Münster. Er promoviert über die „Wahrnehmung der Küste in der Literatur“.

Die Zitate, soweit nicht anders kenntlich gemacht, stammen von August Kopisch: Entdeckung der Blauen Grotte auf der Insel Capri, herausgegeben von Dieter Richter, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1997

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Vita Thorsten Feldbusch, Jahrgang 1960, ist Literaturwissenschaftler und Historiker in Münster. Er promoviert über die „Wahrnehmung der Küste in der Literatur“.

Die Zitate, soweit nicht anders kenntlich gemacht, stammen von August Kopisch: Entdeckung der Blauen Grotte auf der Insel Capri, herausgegeben von Dieter Richter, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1997
Person Von Thorsten Feldbusch
Vita Thorsten Feldbusch, Jahrgang 1960, ist Literaturwissenschaftler und Historiker in Münster. Er promoviert über die „Wahrnehmung der Küste in der Literatur“.

Die Zitate, soweit nicht anders kenntlich gemacht, stammen von August Kopisch: Entdeckung der Blauen Grotte auf der Insel Capri, herausgegeben von Dieter Richter, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1997
Person Von Thorsten Feldbusch