In den Wind geschrieben

Jahrelang war der Iraner Boochani auf einer Pazifikinsel Häftling der australischen Einwanderungsbehörden. Sein Bericht ging um die Welt

Etwa einhundert Männer haben sich unter freiem Himmel versammelt. In der prallen Sonne halten sie ihre Arme über Kreuz in die Luft. Manche stehen da mit nacktem Oberkörper, ihre sonstige Kleidung wirkt eilig zusammengesucht. Aus der Gruppe sticht ein junger Mann mit langen Haaren und dichtem, schwarzem Bart heraus. Er ist abgemagert und scheint, wie die meis­ten im Bild, krank und zermürbt. Dennoch strahlt er vor der Kamera eine beeindruckende Stärke aus, während er über die miserable Verfassung, in der sich die Männer befinden, berichtet. Im Chor ruft die Gruppe: What do we want? – „Freedom!“ Der Dokumentarfilm, in dem diese Szene zu sehen ist, trägt seinen Namen: „Behrouz“, nach Behrouz Boochani. 

Jahrelang war er nur „MEG45“ – die Nummer hatte man dem jungen Mann gegeben, nachdem er mit mehr als 60 anderen Schiffbrüchigen von der australischen Küstenwache nach Christmas Island gebracht worden war. Auf eine Insel im Indischen Ozean, die, 350 Kilometer südlich von Java und 2616 Kilo­meter nordwestlich von Perth gelegen, australisches Staatsgebiet ist und somit das Ziel vieler Geflüchteter, die sich mit dem Boot auf den Weg nach Australien machen. 

Fast drei Monate war Behrouz Boochani vorher in den indonesischen Städten Jakarta und Kendari herumgeirrt. Dort hatte er sich an wechselnden Orten vor der Polizei versteckt und auf den passenden Moment zur Weiterreise gewartet. Als Nahrung dienten ihm vor allem Datteln, Nüsse und Zigaretten. 

Im Iran hatte der damals 29-Jährige fast sein gesamtes Leben zurückgelassen. Bis heute ist über diese Zeit kaum etwas bekannt: nur etwa, dass er in Teheran Politikwissenschaft studiert hatte und Mitglied in der verbotenen Kurdischen Demokratischen Partei war. Als freier Mitarbeiter schrieb er zudem für verschiedene kleinere Zeitschriften. Wer zu Behrouz Boochanis Biografie recherchiert und mit ihm spricht, erfährt viel; das meis­te allerdings zu einem anderen Teil seiner Lebensgeschichte. Dieser Abschnitt beginnt am 23. Juli 2013 mit seiner Ankunft auf Christmas Island. Nur vier Tage zuvor hatte der australische Premierminister Kevin Rudd eine drakonische Regelung eingeführt: Jedem, der Australien mit dem Boot und ohne gültiges Visum erreicht, sollte die Einreise verwehrt werden – ein Leben lang. 

Als „MEG45“ wurde Behrouz Boochani nach etwa einem Monat von Christmas Island nach Papua-Neuguinea gebracht. Dort diente die Insel Manus dem australischen Staat schon seit Jahren zur Internierung unliebsamer Migranten. Nach Manus kamen die alleinreisenden Männer. Frauen, unbegleitete Minderjährige und Familien wurden in den Staat Nauru verbracht, mit dem Australien ebenfalls ein Abkommen geschlossen hatte. Beide Pazifikinseln verbindet ihre Distanz zum australischen Festland, beide waren Teil des australischen Kolonialsystems im 20. Jahrhundert. 

Wie allen anderen Flüchtlingen wurde Behrouz Boochani von den australischen Behörden nicht nur der Name genommen, sondern auch seine Identität, seine Vergangenheit, seine Geschichte. Die Gründe für die Flucht interessierten nicht. Allein, weil Asylsuchende versuchten, mit einem Boot nach Australien zu gelangen, wurden sie jahrelang auf den abgelegenen Pazifikinseln festgehalten und wie Verbrecher behandelt. Auf Manus verbrachte Behrouz Boochani fast sieben Jahre seines Lebens. Sieben Jahre ohne offizielle Anhörung, ohne eine klare Erklärung zu Gründen und Dauer seiner Inhaftierung, ohne Vertretung durch einen Anwalt.


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mare No. 171

mare No. 171August / September 2025

Von Till Schmidt und Hoda Afshar

Till Schmidt, Jahrgang 1989, lebt als freier Autor in Bremen. Im Videogespräch mit Behrouz Boochani hat ihn nicht nur dessen analytische Schärfe, sondern auch sein feiner Humor beeindruckt.

Hoda Afshar, geboren 1983 in Teheran, lebt im australischen Melbourne, wo die promovierte Dokumentarfotografin arbeitet und an Universitäten lehrt.

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Till Schmidt, Jahrgang 1989, lebt als freier Autor in Bremen. Im Videogespräch mit Behrouz Boochani hat ihn nicht nur dessen analytische Schärfe, sondern auch sein feiner Humor beeindruckt.

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