In den Kellern der Fischdiebe

Die Karawanserei von Baku: Im 15. Jahrhundert als Raststätte an der Seidenstraße eröffnet, ist sie seither ununterbrochen in Betrieb und heute das geheimnisvollste aller Restaurants in Zentralasien

Tief im Bauch der Karawanserei riecht es nach Kalk und feuchten Teppichen. Nach altem Bier. Nach Teeschimmel. Es riecht nach Jahrhunderten und vielen toten Dingen.

Viele Stufen höher, auf dem gepflasterten Hof der Karawanserei, wiegt sich eine Weide, und im Brunnen tummeln sich Goldfische. Am Eingang zum oktogonalen Rund grämelt ein Wärter im schlampigen kaukasischen Waffenrock. Ein Samowar summt. In den Zellen, die den Hof mit der Weide umkränzen, sitzen Menschen und essen reichlich. Sie hocken auf Kissen an die Wand gelehnt und blicken zum Hof. Kellner mit gewaltigen Schnurrbärten hasten vorbei. Neben dem Eingang sitzt ein kleines Orchester, der Sänger bewegt sich eintönig in Kehlkopfhöhe, eine Klarinette weint.

Der Wind von Baku, Chasri genannt, hat sich gelegt. Manche Zellentüren werden geschlossen, und man tafelt verschwiegen und endlos, und mitunter trägt ein Hauch vom Kaspischen Meer den Geruch von Öl und Hafen herein. Mitunter.

Der Aserbaidschaner Junus Hadschiev sieht aus, wie ein Koch aussehen sollte: rundfreundliches Gesicht, steife Kochmütze, Bäuchlein, rosige Hände. Die Karawanserei von Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans und größten Hafenstadt am Kaspischen Meer, ist sein zweites Zuhause geworden – seit 12 Jahren kocht er hier, tief im Bauch der ehemaligen Raststätte für Kaufleute, die von der Seidenstraße kamen und mit ihren Kamelen hier drunten lagerten. In Geheimgängen kann man heute noch zum Hafen gelangen. Keiner weiß, was sich alles unter diesem Bauch befindet. Die Karawanserei ist ein einzigartiges Gebäude: Sie ist ununterbrochen seit dem 15. Jahrhundert als Raststätte in Betrieb. Sie bildet das Herz der Altstadt, der Izeri Schecher, hineingequetscht zwischen Teppichhändlern, Moscheen und engen Gassen. Da, wo eine Karawanserei eben hingehört.

„Normalerweise“, sagt Junus und streichelt den Fisch bedächtig, „normalerweise kommt der Fisch ohne Kopf, den hacken schon die Fischer ab. Brackanjerii, Raubfischer, du verstehst.“ Am Vormittag sind wir auf dem Basar von Baku gewesen, ein dunkler Ort, fürwahr. Und in dunklen Ecken liegt der Fisch, der meist schon keinen Kopf mehr hat, was nicht gut ist, aber praktisch. Dieser Fisch heißt Sewruga oder Beluga oder Stör. Er kostet sehr viel Geld und schmeckt hervorragend. Diese Fische sind das Gold des Kaspischen Meeres. Ein Beluga kann bis zu einer Tonne schwer werden, obwohl das wohl schon seit hundert Jahren nicht mehr passiert ist. Aber auch ein fünfzig Kilogramm schwerer Stör, auch ohne Kaviar, ist jede Menge Dollar wert. Das Problem: Man darf ihn eigentlich nicht fangen. Und so kommt in den romantisch-ziselierten Zellen der Karawanserei eine Köstlichkeit auf den Tisch, die es hier nicht geben dürfte. Schon gar nicht hier, denn die Genuß-Trutzburg gehört immer noch dem Staat, dem Ministerium für Auslandstourismus, vormals „Intourist“.

Junus wetzt das Messer und setzt an. Schneidet den Kopf ab, das gibt eine gute Suppe. Aber mit Kopf wird der Fisch schneller schlecht. Er ist eine gelernte Kraft, zwei Jahre Handelsschule bei „Intourist“. Das ist 25 Jahre her, aber gelernt ist gelernt. Seine Mitarbeiter beherrschen allenfalls Plow und Borschtsch. Den sieben Köchen und acht Kellnern stehen – neben vier Volkskunstmusikern – 35 Verwaltungsangestellte gegenüber. In welchen Grotten des enigmatischen Bauches der Karawanserei sie hausen und Dienst tun, oh, das weiß Allah allein. Die Karawanserei ist nicht nur Aserbaidschans ältestes, sondern auch größtes Restaurant. Es ist auch das stilvollste, das verlockendste, das geheimnisvollste aller orientalischen Restaurants im Kaukasus und in Zentralasien – wenn man nicht das Pech hat, zufällig auf einen streunenden Verwaltungsbeamten zu treffen.

In den Kellern gibt es Festsaalgrotten, die an timuridische Folterhöhlen erinnern, in den Wirtschaftshöhlen stinkt es nach Abfall wie in Tausendundeiner Nacht. Katzen wohnen in den Bäumen und maunzen in der Nacht wie syrische Prinzessinnen. Granatäpfel glitzern rubinrot auf den Tischen.

Der Stör, den wir am Morgen in dunklen Ecken auf dem dunkelsten Basar von Baku heimlich erworben haben, ist in mundgerechte Stücke zerschnipselt worden. Das Fleisch ist sanftrot und an den Rändern leicht gelblich vom Fett. Der Fisch wird mit saurer Sahne und einer Mischung aus Zwiebelsaft und zerstampftem Basilikum bestrichen: Störschaschlik. Die Spieße werden zu einer Pyramide zusammengelehnt, unter der sich ein kleines Holzkohlefeuer befindet. Umhäufelt ist das Ganze mit frischem Basilikum und allerlei unaussprechlichen kaukasischen Kräutern.

So wird die verbotene Lust kredenzt. Dazu schwarzer Kaviar, frisch und ungesalzen. Auf den gegrillten Fisch tröpfeln sich Eingeweihte bittersüßen Granatapfelsirup. Schwer im Geschmack, wirklich orientalisch. Lächelnd steht Junus der Koch daneben und schnüffelt am Fisch.

Was er nicht verrät, ist, daß er noch lieber Hähnchen „Kiever Art“ zubereitet.


Karawanserei
Uliza Baschennaja 11, Baku
Geöffnet täglich von 10–24 Uhr

mare No. 8

No. 8Juni / Juli 1998

Von Volker Handloik und Russell Liebman

Volker Handloik wurde 1961 in Rostock geboren. Er starb im November 2001 bei Dasht e-Qaleh in Nordost-Afghanistan als er zusammen mit Journalistenkollegen in einen Hinterhalt der Taliban geriet. Während seines Kunstgeschichtsstudiums in Rostock und Berlin begann er in den 80er Jahren mit ersten journalistischen Versuchen. Anfang der 1990er arbeitete er daneben als Buchautor und Ausstellungskurator, später dann als Pressereferent eines Berliner Jugendzentrums. Ab 1992 arbeitete er als freier Journalist und Reporter für Zeitungen, Zeitschriften und Magazine wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, taz, Berliner Zeitung, National Geographic, den stern, Focus, mare, GEO, Merian und Spiegel. Seinen Fokus richtete er auf die Kriegsberichterstattung.

Russell Liebman, 1966 in New York geboren, lebt in Berlin. Für mare fotografierte er u. a. die Steinfischer von Brasilien (in No. 8) und den Tunfisch-Fang vor Barbate, Spanien (in No. 61).

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Vita Volker Handloik wurde 1961 in Rostock geboren. Er starb im November 2001 bei Dasht e-Qaleh in Nordost-Afghanistan als er zusammen mit Journalistenkollegen in einen Hinterhalt der Taliban geriet. Während seines Kunstgeschichtsstudiums in Rostock und Berlin begann er in den 80er Jahren mit ersten journalistischen Versuchen. Anfang der 1990er arbeitete er daneben als Buchautor und Ausstellungskurator, später dann als Pressereferent eines Berliner Jugendzentrums. Ab 1992 arbeitete er als freier Journalist und Reporter für Zeitungen, Zeitschriften und Magazine wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, taz, Berliner Zeitung, National Geographic, den stern, Focus, mare, GEO, Merian und Spiegel. Seinen Fokus richtete er auf die Kriegsberichterstattung.

Russell Liebman, 1966 in New York geboren, lebt in Berlin. Für mare fotografierte er u. a. die Steinfischer von Brasilien (in No. 8) und den Tunfisch-Fang vor Barbate, Spanien (in No. 61).
Person Von Volker Handloik und Russell Liebman
Vita Volker Handloik wurde 1961 in Rostock geboren. Er starb im November 2001 bei Dasht e-Qaleh in Nordost-Afghanistan als er zusammen mit Journalistenkollegen in einen Hinterhalt der Taliban geriet. Während seines Kunstgeschichtsstudiums in Rostock und Berlin begann er in den 80er Jahren mit ersten journalistischen Versuchen. Anfang der 1990er arbeitete er daneben als Buchautor und Ausstellungskurator, später dann als Pressereferent eines Berliner Jugendzentrums. Ab 1992 arbeitete er als freier Journalist und Reporter für Zeitungen, Zeitschriften und Magazine wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, taz, Berliner Zeitung, National Geographic, den stern, Focus, mare, GEO, Merian und Spiegel. Seinen Fokus richtete er auf die Kriegsberichterstattung.

Russell Liebman, 1966 in New York geboren, lebt in Berlin. Für mare fotografierte er u. a. die Steinfischer von Brasilien (in No. 8) und den Tunfisch-Fang vor Barbate, Spanien (in No. 61).
Person Von Volker Handloik und Russell Liebman