In aussichtsreicher Lage

Wohin mit der Weltbevölkerung, wenn sie wächst und wächst? Unter Visionären war die künstliche Insel en vogue

1959
Kenzo Tange
Tokio Bay

Mit Kenzo Tange fing alles an. Auch wenn es vor ihm Architekten gab, die sich Gedanken über das Bauen auf dem Wasser machten, war es doch der 1913 geborene Japaner, der 1959 den ersten seriösen, von der Fachwelt hoch respektierten Entwurf einer Stadt auf dem Meer projektierte.

Zentrales Element seiner Planung war ein Verkehrssystem aus Straßen und Bahnen, das sich wie eine Leiter über die Bucht von Tokio legte. Tange setzte sich mit seinem Entwurf an die Spitze der japanischen Metabolisten, die Architektur wie einen Organismus verstanden, der wächst und sich verändert, dafür aber ein solides Grundgerüst braucht.

Seit Ende der achtziger Jahre arbeitet Tange wieder an dem Projekt. Teilweise verlegte er die Straßen in unterirdische Tunnel und löste so das frühere Raster auf. 30 Millionen Menschen leben im Großraum Tokio, und eine Erweiterung der Stadt auf das Meer hinaus wird immer plausibler. Mit den neuen Flughäfen auf künstlichen Inseln haben die Japaner bereits Zeichen in diese Richtung gesetzt.


1968

Richard Buckminster Fuller
Triton City

Richard Buckminster Fuller (1895– 1983), von seinen Fans liebevoll „Bucky“ genannt, hat Kultstatus in der Architekten- und Designerwelt. Er entwarf 1933 ein dreirädriges Aluminiumauto mit Klimaanlage in Eiform, mit leichten Kuppeln überwölbte Städte; er war Architekt, Erfinder, Chemiker, Poet, Visionär und Inhaber von 47 Ehrendoktortiteln.

In den sechziger Jahren erhielt er von einem japanischen Geschäftsmann den Auftrag, für die Tokyo Bay eine schwimmende Stadt zu entwerfen. Triton City ist nicht sein berühmtestes Werk, aber wie die meisten seiner Entwürfe wurde es Vorbild für vieles, was nach ihm kam.


1971
Hal Moggridge
Sea City

Ein Traumort für 30000 Menschen an der englischen Ostküste sollte es werden. In Auftrag gegeben hat die Studie der Glaskonzern Pilkington Brothers. Verankert im Meeresboden, sollte Sea City einer stürmischen Außenwelt trotzen und dabei ein sanftes Innenleben ermöglichen. Mehrere Parkanlagen, zwei Theater, ein Kino, sechs Kirchen, 14 Restaurants, 27 Schulen und acht Jugendzentren gehörten zum Programm. Dazu natürlich auch ein Fußballstadion, Schwimmbäder und Yachthäfen. Eine Fähre hätte Sea City mit der englischen Hafenstadt Great Yarmouth verbunden. Ein Wohnort für junge Leute sollte es werden, ein gesundes und sicheres Paradies: die Appartements auf der Außenseite verglast, der Blick auf den Ozean unverbaut, jede Wohneinheit mit einem kleinen Garten. Ein teurer Traum, der nie zu Stande gekommen ist.


2002

Architekten von Gerkan, Marg und Partner
Luchao Harbour City

Ein Tropfen, der auf eine Wasseroberfläche fällt, diente dem deutschen Architektenteam als Inspiration für das weltweit größte Städtebauprojekt. Ein kreisrunder Binnensee von 2,5 Kilometer Durchmesser ist das Herzstück der neuen Stadt Luchao Harbour City vor der Mündung des Jangtse. Konzentrischen Wellen gleich, legen sich die Stadtelemente kreisförmig um den See. Das Land wird aufgeschüttet, ein Projekt von gigantischen Ausmaßen für 300000 Menschen, in Auftrag gegeben von der Stadt Schanghai. In der Mitte des Sees entstehen künstliche Inseln, auf denen die Museen und Konzerthallen der Stadt stehen werden. Die erste Bauetappe wird 2005 abgeschlossen sein; 18000 Menschen beziehen dann ihre neuen Domizile im ersten Segment.

Dirk Schumann
Kamar

Eine gute Aussicht braucht nicht immer eine Anhöhe. Dirk Schumanns futuristische Planung variabler Wohninseln spielt sich zu gleichen Teilen unter und über der Wasseroberfläche ab. Die Aussicht in klaren Gewässern kann aufregend sein. Darum sind Restaurant und Wohnräume wie Aquarien gestaltet und ins Wasser gelassen. Die Inseln werden am Meeresgrund verankert, die Oberflächenplattform ist über einem Hebelsystem mit dem Unterwasserkomplex verbunden. Die vielen kleinen „Kamare“ könnten in fischreichen Lagunen und Atollen liegen – verlockende Zukunftsmusik für Menschen, die lieber im Trockenen sitzen, statt sich der Mühsal des Tauchens auszusetzen.

Jacque Fresco
The venus Project

Gleich die ganze Gesellschaft verändern möchte der Amerikaner Jacque Fresco. Wie er das anstellen will, bleibt allerdings im Dunkeln. Dass Architekten den Glauben haben, mit ihren Bauten die Menschen zum Besseren verändern zu können, hat Tradition. Geglückt ist dieser Versuch nie. Fresco jedenfalls bezeichnet Platon, Karl Marx und den amerikanischen Sozialisten Edward Bellamy als Vorbilder.

Fresco will seine an Land vorfabrizierten Wohninseln und marinen Universitäten des Venus Project über die Ozeane schleppen und am Ziel verankern. Im Golfstrom sollen Turbinen Energie erzeugen. Und am liebsten würde er über die Beringstraße einen Damm bauen, der zur Energiegewinnung und als Basis von Aquakulturen dient. Und noch eine schöne Idee: Trinkwasser erhalten die Bewohner von Eisbergen, die durch Tunnelsysteme in die Stadt gleiten.

mare No. 34

No. 34Oktober / November 2002

Von Zora del Buono

Zora del Buono, geboren 1962, wuchs in Zürich auf und lebt seit 1987 in Berlin. Nach ihrem Architekturstudium an der ETH Zürich arbeitete sie mehrere Jahre als Architektin und Bauleiterin, bevor sie sich zu einem Berufswechsel entschloss und mit dem Schreiben begann. Sie ist Gründungsmitglied der Zeitschrift mare und betreut das Kulturressort.

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Vita Zora del Buono, geboren 1962, wuchs in Zürich auf und lebt seit 1987 in Berlin. Nach ihrem Architekturstudium an der ETH Zürich arbeitete sie mehrere Jahre als Architektin und Bauleiterin, bevor sie sich zu einem Berufswechsel entschloss und mit dem Schreiben begann. Sie ist Gründungsmitglied der Zeitschrift mare und betreut das Kulturressort.
Person Von Zora del Buono
Vita Zora del Buono, geboren 1962, wuchs in Zürich auf und lebt seit 1987 in Berlin. Nach ihrem Architekturstudium an der ETH Zürich arbeitete sie mehrere Jahre als Architektin und Bauleiterin, bevor sie sich zu einem Berufswechsel entschloss und mit dem Schreiben begann. Sie ist Gründungsmitglied der Zeitschrift mare und betreut das Kulturressort.
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