Im Zug nach Afrika

Ein deutscher Architekt wollte das Wasser im Mittelmeer absenken, um einen neuen Kontinent zu gewinnen

Würden die Italiener all das Geld, was sie in den Bau von Kirchen stecken, für technische Werke ausgeben, dann könnten sie mit dem Apenningebirge die Adria zuschütten, um das Meer von Livorno bis Konstantinopel in Festland zu verwandeln."

Diesen erstaunlichen Satz schrieb ein Reisender namens Thomas Jefferson im April 1787 in sein Tagebuch. Der 44-jährige Amerikaner, der dreizehn Jahre später zum dritten Präsidenten der USA gewählt werden sollte, ärgerte sich während einer Kutschfahrt an der ligurischen Küste sehr über das unwegsame Gelände.

Zum Glück für die Nachwelt dachten die Italiener nicht daran, solcher Empfehlung eines Pragmatikers aus Übersee zu folgen, dessen Geografiekenntnisse eher mager waren - denn Livorno, das zeigt ein Blick auf die Karte, liegt nicht an der Adria.

Aber von ganz anderer Seite wurde Jeffersons Vision rund anderthalb Jahrhunderte nach ihrer Niederschrift wieder aufgenommen. Diesmal in Deutschland, das gerade den Ersten Weltkrieg verloren hatte.

Ein besiegtes Land, in dem, zeitgleich mit der Flucht des Hohenzollernkaisers, am 9. November 1918 die Republik ausgerufen worden war, ohne dass die neue Staatsform bei der Mehrheit der Bürger je richtig populär geworden wäre.

Der erstaunliche Plan, das Mittelmeer zwar nicht zuzuschütten, aber doch drastisch abzusenken und teilweise auszutrocknen, stammte von einem überzeugten Republikaner. Dieser Mann widmete sich ganz bewusst dem Ziel, einem neuen Weltkrieg vorzubeugen. Der Name des Projektes: „Atlantropa". Der Name des Visionärs: Herman Sörgel, Ingenieur und „Weltenbaumeister" ganz eigener Art. Zwar ist sein Traum, durch Verkleinerung des Mittelmeeres Europa und Afrika zu einem Kontinent zu verbinden, mittlerweile im Kuriositätenkabinett der Architekturgeschichte gelandet.

Rund 70 Jahre später ist er aber doch eine kritische Nachbetrachtung wert. Und das nicht zuletzt deshalb, weil wir inzwischen noch ganz andere Dimensionen technokratischen Größenwahns kennen gelernt haben.

Herman Sörgel, der geistige Urheber des „Atlantropa"-Projektes, wird am 2. April 1885 in Regensburg geboren. 1904 schreibt er sich an der Technischen Hochschule München im Fach Architektur ein, 1908 absolviert er die Diplomprüfung. Zunächst scheint es so, als folge er ganz den Spuren seines Vaters. Der, Hans Sörgel, war Leiter der obersten bayerischen Baubehörde gewesen.

Sein Schwerpunkt lag zeitlebens beim Wasserbau. So führte er Korrektionsarbeiten an Lech und Inn durch und leitete die Planung für das Walchenseekraftwerk, das damals größte Talsperren-Kraftwerk im Deutschen Reich.

Das Wasser fasziniert auch Sörgel junior. Aber Herman bleibt eine herkömmliche Architektenkarriere versagt. Zwar lehrt er ab 1911 an der Meisterschule für Bauhandwerker in Bamberg, doch erhält er schon 1912 eine amtliche Abmahnung - sein Unterricht liege teilweise „weit ab vom rechten Weg". Zwei Mal scheitert der Versuch einer Doktorarbeit an der Technischen Hochschule München. Die endgültige Ablehnung 1913 macht eine akademische Laufbahn damit unmöglich. So schickt sich der 28-Jährige in das Los eines Außenseiters, nennt sich freier Architekt, arbeitet aber hauptsächlich als Journalist.

Der konfessionslose, weltoffene Sörgel hat zum nationalistischen Bierkellermilieu des ebenfalls 1913 nach München gezogenen Malers und Hobbyarchitekten Adolf Hitler keine Verbindung. Der Monokelträger mit der eleganten Erscheinung, der öfters für einen Diplomaten gehalten wird, ist freilich bekannt in der Schwabinger Szene, in der „nur etwas galt, wer ein Reformator war, ob er nun das ABC reformierte wie Stefan George oder die Liebe wie Frank Wedekind". So jedenfalls formuliert es fast vierzig Jahre später Walter Kiaulehn, der Schriftsteller und leitende Redakteur des „Münchner Merkur", in Sörgels Nachruf.

Womit sich Sörgel während der Weimarer Republik den Lebensunterhalt verdient, ist nicht ganz klar. 1926 heiratet er die aus einer jüdisch-ungarischen Familie stammende Irene von Villyani, die in München als Übersetzerin arbeitet. Etwa zur selben Zeit stößt er auf das Buch „Die Geschichte unserer Welt" von Herbert George Wells. Darin wird behauptet, zu Zeiten der Neandertaler habe es kein Mittelmeer gegeben.

Offenbar ist damit bei Sörgel ein Denkprozess angestoßen. Er beginnt, sich intensiv mit mediterranen Wasserproblemen zu befassen. Otto Jessens neu erschienenem Buch „Die Straße von Gibraltar" entnimmt er präzise Daten - etwa die Tatsache, dass das Mittelmeer seinen Wasserspiegel nur deshalb auf konstantem Niveau halten könne, weil ihm aus dem Atlantik sekündlich 88 000 Kubikmeter zufließen. Würde sich das Wasser des Mittelmeeres nur aus dem Zulauf einmündender Ströme - von der Rhône bis zum Nil - speisen, so müsste sein Pegel durch ein Übermaß an Verdunstung langfristig sinken.


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mare No. 25

No. 25April / Mai 2001

Von Till Bastian

Till Bastian, Jahrgang 1946, war Sprecher der deutschen Sektion der „Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges"; die Organisation erhielt 1985 den Friedensnobelpreis. Bastian lebt als Autor und Journalist in Isny. Sein neuestes Buch Tödliches Klima, ein Kriminalroman, ist letztes Jahr im Riemann-Verlag, München, erschienen.

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Vita Till Bastian, Jahrgang 1946, war Sprecher der deutschen Sektion der „Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges"; die Organisation erhielt 1985 den Friedensnobelpreis. Bastian lebt als Autor und Journalist in Isny. Sein neuestes Buch Tödliches Klima, ein Kriminalroman, ist letztes Jahr im Riemann-Verlag, München, erschienen.
Person Von Till Bastian
Vita Till Bastian, Jahrgang 1946, war Sprecher der deutschen Sektion der „Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges"; die Organisation erhielt 1985 den Friedensnobelpreis. Bastian lebt als Autor und Journalist in Isny. Sein neuestes Buch Tödliches Klima, ein Kriminalroman, ist letztes Jahr im Riemann-Verlag, München, erschienen.
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