Im Schutz der Götterwinde

Bis ins 20. Jahrhundert war das Meer für Japan nicht der Weg, sondern ein Bollwerk, das die Inseln vor Angreifern schützte

Als Christoph Kolumbus im Jahr 1492 zu seiner Seereise, die die Welt verändern sollte, aufbrach, suchte er den Seeweg nach Indien, nach den Reichtümern Asiens, nach Gewürzen, Seide und – dies vor allem – nach Gold. So hatte sich der Entdecker, wie aus seinen Tagebucheintragungen hervorgeht, auf die Suche nach einem sagenhaften Goldland im östlich vor China gelegenen Meer gemacht, von dem bereits Marco Polo im 13. Jahrhundert begeistert berichtet hatte. Ein Land märchenhaften Reichtums, dessen Paläste aus purem Gold errichtet sein sollten. Marco Polo hatte dieses sagenhafte Reich zwar selbst nie bereist, nur am Hof des damaligen Herrschers über China, Kublai Khan (1215 –1294), davon gehört, doch den Namen jenes wundersamen Inselreichs konnte er überliefern. Er lautete Zipangu. Dabei hatte Marco Polo mit jenem Goldland ein ganz reales Land gemeint: Japan. Zipangu ist lediglich die verballhornte Aussprache des chinesischen Wortes für Japan: Ri-pen-guo.

Doch trug Marco Polos Zipangu alle Attribute eines Paradieses, wie wir sie zumal aus der chinesischen Überlieferung jener Zeit in reicher Zahl kennen, einer arkadischen Inselwelt im östlichen Ozean, in der Reichtum und Überfluss herrschten.

Kolumbus war also einem Ideal nachgejagt, das Jahrhunderte vor ihm ein anderer Europäer in China kennengelernt und nach Europa übermittelt hatte. So blieb Japan-Zipangu für lange Zeit Inbegriff der „glücklichen Inseln“ in der europäischen Imagination, bis die Inseln der Südsee dieses Bild ablösten.

War Polo und nach ihm Kolumbus Japan-Zipangu als eine Art Feenreich im östlichen Meer erschienen, stellte es für den eroberungswütigen Kublai Khan das Objekt realer Begierde dar. Im Zug der mongolischen Eroberungen in Ostasien, denen auch China selbst zum Opfer gefallen war, brannte der Khan auf eine Invasion der Inseln im Osten, von deren Reichtum man sich fantastische Dinge erzählte.

Im November 1274 war es so weit. Mit einer Streitmacht von 900 Schiffen und 40 000 Kriegern brandete die Flotte des Angreifers an die Küste der südjapanischen Insel Kyushu. Doch wie durch ein Wunder wurden die unterlegenen Verteidiger gerettet. Unvermittelt erhob sich ein mächtiger Sturm und versenkte einen Großteil der mongolischen Schiffe in den Fluten; dem überlebenden Rest gelang nur mühsam die Flucht zurück auf den rettenden Kontinent. Doch der Khan mochte nicht aufgeben.

So erfolgte nur wenige Jahre später ein zweiter Angriff der wieder aufgebauten mongolischen Flotte. Nun kamen die Feinde in zwei Wellen übers Meer, eine nie gekannte Streitmacht aufbietend. Insgesamt 140 000 Angreifer auf 4400 Schiffen sollen im August 1281 die Gestade Südjapans belagert haben. Noch niemals zuvor in der Geschichte der Inseln hatte es eine solch gefährliche, ja hoffnungslos erscheinende Situation gegeben.

So unwirklich es klingt – auch die zweite, noch wesentlich größere Flotte wurde das Opfer eines Taifuns, weit zerstörerischer als beim ersten Mal. Am 16. August 1281 wurde der größte Teil der angreifenden Flotten durch den Sturm versenkt und der geschlagene Rest in die Flucht geschlagen. Damit waren die mongolischen Eroberungsversuche Japans für alle Zeiten gescheitert. Das Inselreich erlebte erst wieder Jahrhunderte später das Eindringen eines äußeren Feindes an seinen Küsten.

Im Inneren Japans bewirkte die so wundersame zweimalige Versenkung der mongolischen Flottenverbände große politische Verwerfungen, von denen auch die Religion nicht unberührt blieb. Schnell hatten nämlich die Priester der Ise-Schreine, des Hauptheiligtums von Japan, jene Naturereignisse für sich reklamiert und verkündet, die rettenden Stürme seien allein dem gnädigen Wirken der Gottheiten ihres Heiligtums zu verdanken.

Es habe sich damit in Wahrheit um von den Gottheiten gesandte „Götterwinde“ gehandelt, die auf Japanisch kamikaze heißen. Nur diesen habe das Götterland Japan seine Rettung vor den Angreifern von jenseits des Meeres zu verdanken.


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mare No. 58

No. 58Oktober / November 2006

Ein Essay von Klaus Antoni

Professor Klaus Antoni, geboren 1953, lehrt Japanologie an der Universität seiner Heimatstadt Tübingen. Er hat sich mehrfach in Japan aufgehalten, zuerst als Austauschschüler, dann als Student, später als Gastprofessor der Universität Osaka. Bis heute ist ihm sein erster Eindruck von Japan – nach einer Zugfahrt mit der Transsib von Europa nach Asien – unvergesslich: das exotische Gewimmel der Schiffe auf der Reede vor Yokohama.

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Vita Professor Klaus Antoni, geboren 1953, lehrt Japanologie an der Universität seiner Heimatstadt Tübingen. Er hat sich mehrfach in Japan aufgehalten, zuerst als Austauschschüler, dann als Student, später als Gastprofessor der Universität Osaka. Bis heute ist ihm sein erster Eindruck von Japan – nach einer Zugfahrt mit der Transsib von Europa nach Asien – unvergesslich: das exotische Gewimmel der Schiffe auf der Reede vor Yokohama.
Person Ein Essay von Klaus Antoni
Vita Professor Klaus Antoni, geboren 1953, lehrt Japanologie an der Universität seiner Heimatstadt Tübingen. Er hat sich mehrfach in Japan aufgehalten, zuerst als Austauschschüler, dann als Student, später als Gastprofessor der Universität Osaka. Bis heute ist ihm sein erster Eindruck von Japan – nach einer Zugfahrt mit der Transsib von Europa nach Asien – unvergesslich: das exotische Gewimmel der Schiffe auf der Reede vor Yokohama.
Person Ein Essay von Klaus Antoni