Im Geisterhaus

Ein altehrwürdiges Grandhotel an der Südküste Irlands hat die bes­ten Zeiten hinter sich. Gäste kommen noch selten, aber die Tische sind gedeckt wie ehedem. Die Einwohner meiden das Hotel, sie fürchten sich vor den Geistern, die darin hausen

Nur – wo ist Ena?

In Spanien, sagt der junge Mann mit der Schiebermütze. Sonst sagt er nicht viel. Aber mit wem sollte er auch reden? Hier ist niemand, außer dem einen Gast, der seinen greisen Hund hinter sich her schleppt. Vorhin hat man sie an der Promenade stehen sehen, wie sie aufs Meer blickten, Mann und Hund. Neben ihnen haben Möwen lautstark eine Taube zerlegt. Der Hund blieb ungerührt, zu alt für jägerische Eskapaden.

Später setzt sich einer in die Hotelhalle, der wie ein Wikinger aussieht. Er öffnet den Computer, schaut einen Film, Kopfhörer im Ohr. Das Bildschirmlicht strahlt seinen Nordmannbart an, er hockt im Halbdunkel, niemand hat die Kronleuchter angedreht. Er zieht die Lederjacke nicht aus, es ist kühl, klammes Septemberwetter, das durch die Ritzen dringt. Auf dem Tisch steht ein Strauß verblühter Lilien, ansonsten Kunstblumen überall. Der Schiebermützenmann hat sich durch eine fehlende Strebe des Treppengeländers hinter die Rezeption gequetscht und sitzt an die Wand gelehnt, die Mütze über die Augen gezogen, vielleicht schläft er. Der Wikinger kichert in die Stille hinein. Einmal schiebt ein Mann mit Kapuze ein Fahrrad durch die Halle, es hat geregnet, eine Spur drückt sich auf den bunten Teppichen mit Blumenmustern ab. Ein Gesellschaftsraum geht in den nächsten über, es gibt Ballsäle, Separees, Erker, mal in Blassgrün, dann in Blutrot. Die Tische des Frühstücksraums sind alle gedeckt. Hinter einer verschlossenen Tür mit Guckloch sieht es gemütlich aus, kuschelig warm auch, mit tiefroten Plüschsofas, es muss die Bar sein, vielleicht öffnet sie bald? Der Wikinger gluckst und tippt auf den Bildschirm. Darauf ist er zu sehen, zusammen mit anderen Wikingern, sie gehen gemessenen Schrittes über eine Wiese, mit wehen- dem Haar.

Es ist nicht nur unten kalt, sondern auch in der Hochzeitssuite im zweiten Stock, einem in Gold und Purpur gehaltenen Eckraum mit fünf Fenstern. Herrlicher Rundumblick auf Meer und Berg und die Wasserfront von Bray, sogar das bescheidene Haus von Sinéad O’Connor ist zu sehen und das Karussell, das sich langsam dreht, mit lauter reiterlosen Pferdchen. Die Heizkörper sind lauwarm, ob es wohl eine zusätzliche Heizung gibt? Der Schiebermützenmann schaut betreten, man müsse auf Ena warten. Eigentlich wäre Abreisen auch eine Option.

Ein Spaziergang durch das nächtliche Bray, fish & chips in einer neonbeleuchteten Stehbude, man spricht Polnisch, daneben andere Buden, Süßkram meist, sie sind geschlossen um diese Zeit, die Leute aus Dublin kommen nicht unter der Woche, und die Sommerferien sind längst vorbei. Der Strand leuchtet im Mondlicht, das Hotel „Bray Head“ bildet den Abschluss des Ortes, dahinter geht der Küstenwanderweg los, der Cliff Walk, der entstand, damit die Eisenbahn gebaut werden konnte, die Dublin mit den Küstenorten im Süden verbindet, 1856 war das, immer dem Meer entlang, durch diese Landschaft voller Buchten und Klippen und Höhlen, wo Schmuggler Brandy, Gin und Seide versteckten, und auf deren Wiesen stämmige Pferde weiden und der Wind der Irischen See über die Gräser streicht. Das „Bray Head“ entstand vier Jahre später, ein frühes Grandhotel, Spielplatz für Irlands Oberschicht. Heute steht es unter Denkmalschutz.

Die Hotelbar ist geschlossen, der Wikinger verschwunden. Ein bisschen noch in der dunklen Halle sitzen; von Ena keine Spur. Oben steht dann ein Heizkörper mitten im Raum, glühend heiß. Das Zimmer zu finden gelang erst im zweiten Anlauf, das Treppensystem ist verwirrend, zuerst muss man hoch, dann wieder hinunter, zudem ist es düster, auf jeder Etage nur ein Tischlämpchen irgendwo, Türen stehen offen, dahinter schwarzes Schweigen. Sind das Hotelzimmer oder Möbellager oder die Aufenthaltsräume der Dauergäste? Man weiß es nicht genau. Schlafen im Hochzeitsbett in der Hochzeitssuite. So viel Liebesenergie in diesem Raum, so viele Erwartungen, geahnte Enttäuschungen, seit 150 Jahren, das sind verdammt viele Ehen, die hier vollzogen wurden, close your eyes and think of Ireland. Und draußen schlägt rhythmisch die Brandung aufs Land, ein Kommen und Gehen, immer wieder.


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mare No. 109

No. 109April / Mai 2015

Von Zora del Buono und Mirjam Siefert

Die Fotografin Mirjam Siefer, geboren 1978, hat das wunderbare „Bray Head“ vor drei Jahren entdeckt und während mehrerer Reisen porträtiert.

mare-Redakteurin Zora del Buono, Jahrgang 1962, hat sie einmal begleitet und ist nun selbst verzaubert.

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Vita Die Fotografin Mirjam Siefer, geboren 1978, hat das wunderbare „Bray Head“ vor drei Jahren entdeckt und während mehrerer Reisen porträtiert.

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Person Von Zora del Buono und Mirjam Siefert
Vita Die Fotografin Mirjam Siefer, geboren 1978, hat das wunderbare „Bray Head“ vor drei Jahren entdeckt und während mehrerer Reisen porträtiert.

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