Ihrem Mann eine Brücke

Als die Chefbaumeister der New Yorker Brooklyn Bridge ausfallen, nimmt eine Frau die Geschicke des Bauwerks in die Hände. Emily Warren Roebling wird zur Vollenderin des ehrgeizigen Projekts

Der Wind bläst kräftig hier oben, rund 40 Meter über dem New Yorker East River. Er zerzaust das weiße Gefieder des Hahnes, den Emily Warren Roebling in einem Käfig auf ihrem Schoß hält, als sie zusammen mit einem Techniker über die Brooklyn Bridge fährt. Die Arbeiter rechts und links erledigen letzte Handgriffe. Sie ziehen ihre Hüte, einige applaudieren. Es sind nur noch wenige Wochen bis zur Eröffnung. Wird der Trott des Pferdes die Fahrbahn gefährlich schwanken lassen? Die 39-Jährige ist die Erste, die die Brücke im Frühjahr 1883 in einer Kutsche überquert, um das zu testen.

Emily Warren Roebling hat den Hahn nicht nur als Glücksbringer mitgenommen. Der Hahn ist ein Siegessymbol. Sieben Millionen Dollar hatte es laut Planung kosten sollen, die Brücke zwischen dem Südzipfel Manhattans und Brooklyn zu errichten. Die veranschlagte Bauzeit: drei Jahre. Am Ende wurden daraus 15,5 Millionen Dollar und 14 Jahre. Dass es nicht noch länger dauerte, ist Emily Warren Roebling zu verdanken.

Die Idee war so alt wie das Jahrhundert. Über die im Winter oft zugefrorene Meerenge soll eine Brücke führen, um Pendler von den Launen des Wetters unabhängig zu machen. 40 Millionen Menschen überqueren damals im Jahr den East River, den Kapitäne wegen seiner gefährlichen Strömungen und Unterwasserfelsen „Höllenloch“ nennen. Doch erst 1867, nach einem besonders harten Winter, bringt der Staat New York das Projekt per Gesetz auf den Weg. Die Leitung übernimmt Emily Warren Roeblings Schwiegervater: John August Roebling. Der deutsche Einwanderer aus Mühlhausen in Thüringen hat sich bereits mit einer zweistöckigen Hängebrücke über den Niagara einen Namen gemacht.

Für die East-River-Brücke, wie sie damals heißen soll, hatte sich der als genial, aber auch hart und launisch geltende Roebling senior lange eingesetzt. Ein noch nie da gewesenes Bauwerk aus Granit und Stahl würde es werden: knapp zwei Kilometer lang, die neogotischen Pfeiler gut 84 Meter hoch – nur der Turm der Trinity Church an der Wall Street würde es um zwei Meter überragen. Irrsinn, sagen Kritiker. Das größte Bauwerk Nordamerikas in die Skyline von New York zu pflanzen würde den Rest der Stadt zwergenhaft erscheinen lassen. Kapitäne warnen vor Schiffsunfällen. Selbst einige Kollegen Roeblings empören sich über das „wilde Experiment“. Ein Tunnel oder ein Damm täten es auch.

Auf beiden Seiten des East River verfolgen die Menschen die Debatte. Besonders die New Yorker – Brooklyn ist damals noch eine eigene Stadt – sind vor Baubeginn skeptisch. „Fragen Sie nicht, wer damals gegen die Brücke war. Fragen Sie lieber, wer für sie war“, sagt Kristian Roebling, 50 Jahre alt und Urgroßenkel Emily Warren Roeblings, der die Geschichte seiner Vorfahren bei Führungen über die Brooklyn Bridge erzählt. Später befeuern steigende Kosten, Verzögerungen, Berichte über Korruption im Vorstand und tödliche Arbeitsunfälle die Diskussion. Der erste kostet John Roebling selbst das Leben. Im Juli 1869 gerät er bei Vermessungen mit dem Fuß zwischen den Anleger und eine Fähre. Roebling schickt den Arzt nach Hause, er will sich mithilfe einer Wassertherapie kurieren. 24 Tage später stirbt er an Tetanus.

Sein Sohn Washington hat das Projekt bislang als Stellvertreter begleitet. Keiner kennt sich mit den Plänen des alten Roebling so gut aus wie er. „Da stand ich also mit 32, plötzlich verantwortlich für das gewaltigste Bauwerk seiner Zeit. Die Säule, die mir zuvor Halt gegeben hatte, war gefallen“, schreibt er später. „Anfangs dachte ich, ich würde versagen. Aber ich hatte einen starken Turm, der mir Halt gab: meine Frau, meine unendlich taktvolle, meine klügste Ratgeberin.“

Von ihr hängt bald ab, ob er diese Brücke jemals fertig bauen wird. Denn drei Jahre nach John Roeblings Tod leidet der Chefingenieur durch seine Arbeit in den riesigen, mit Pressluft gefüllten Senkkästen an der Dekompressionskrankheit, die damals kaum erforscht ist. Viele der Männer, die in bis zu 30 Meter Tiefe Sand und Gestein ausheben, haben unerklärliche Muskel- und Gelenkschmerzen, Bauchkrämpfe und Lähmungen. Beim Aufstieg bleiben sie nicht lang genug in den Luftschleusen, damit ihr Körper sich an die wechselnden Druckverhältnisse anpassen kann.


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mare No. 110

No. 110Juni / Juli 2015

Von Silvia Tyburski

In Brooklyn, wenige Blocks von der Brücke entfernt, bringt sich jetzt Hillary Clinton, potenzielle Kandidatin der Demokraten, in Position. Silvia Tyburski, Jahrgang 1976 und Autorin in Hamburg, ist sicher: Emily Warren Roebling wäre auch eine gute Managerin im „Team Hillary“ gewesen.

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Vita In Brooklyn, wenige Blocks von der Brücke entfernt, bringt sich jetzt Hillary Clinton, potenzielle Kandidatin der Demokraten, in Position. Silvia Tyburski, Jahrgang 1976 und Autorin in Hamburg, ist sicher: Emily Warren Roebling wäre auch eine gute Managerin im „Team Hillary“ gewesen.
Person Von Silvia Tyburski
Vita In Brooklyn, wenige Blocks von der Brücke entfernt, bringt sich jetzt Hillary Clinton, potenzielle Kandidatin der Demokraten, in Position. Silvia Tyburski, Jahrgang 1976 und Autorin in Hamburg, ist sicher: Emily Warren Roebling wäre auch eine gute Managerin im „Team Hillary“ gewesen.
Person Von Silvia Tyburski