„Ich stehe vor meiner eigenen Nichtigkeit“

Leidenschaft im Angesicht der Stürme. Eine Werkschau des französischen Fotografen Jean Gaumy

Nikolaus Gelpke: Wonach suchen Sie sich Ihre Reportagen aus?

Jean Gaumy: Das wird eine romantische Antwort. Als ich zum Beispiel im Iran war, wollte ich herausfinden, was genau in einem Land wie diesem passiert. Ich wusste nicht, was auf mich zukommen würde. Niemand ging damals in den Iran. Niemand ging in die Gefängnisse, in die Krankenhäuser. Es ist vor allem das Wissen, dass du dort hingehen kannst und vor dir noch niemand dort war, jedenfalls nicht viele.

Wie sind Sie darauf gekommen, über viele Jahre Hochseefischer zu begleiten und daraus ein Buch zu machen?

Solche Projekte sind viel mehr ein Spiegel deiner selbst. Du weißt, dass du davon angezogen wirst. Immer wenn ich Filme über das Meer oder über Bergleute sah oder U-Boote, bekam ich Lust zu fotografieren. Ich bekam Lust zu erzählen.

Wie haben Sie die Fotografie entdeckt?

1969, ’70 sah ich zwei Schwarzweißfotos von Claude Dityvon, der die Arbeit auf einem Trawler aus La Rochelle begleitet hatte. Diese Bilder waren der Auslöser, meine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Bis dahin hatte ich Fotos gemacht, aber nicht professionell. Ich war Literaturstudent und hatte gerade beschlossen, zur Meeresbiologie zu wechseln. Aber ich merkte, dass mich das Fotografieren mehr reizte als nur das Betrachten von Bildern. Andererseits hatte ich Angst davor, Fotograf zu werden, ich fragte mich, ob ich es finanziell und künstlerisch durchhalten könnte. Das ist ein ganzes Leben, man verschreibt es einer Sache.

Wo sind Sie aufgewachsen?

Am Meer, im Südwesten, an der Mündung der Gironde. Ich begann mit 14, 15, auf Booten mitzufahren, in die Flussmündung und aufs offene Meer. Wir fuhren ein, zwei Tage hinaus. Außerdem angelte ich, seit ich neun war, echter Fischfang, ich war begabt. Aber es ging mir eher darum, am Wasser zu sein, als darum, Sport zu treiben, es ging um Poesie.

Sind Sie romantisch?

Meine Arbeit ist eher kontemplativ. Mich interessieren die unsichtbaren Dinge unter dem Meeresspiegel. Als ich klein war, hatte ich ein Plastik-U-Boot. Mein größter Traum war, es fernsteuern zu können. Es ist nicht zu sehen. Es sollte einfach tauchen können. „Romantisch“ ist das falsche Adjektiv, „melancholisch“ passt besser.

Für Ihr Buch über die Trawler sind Sie in 14 Jahren auf vier Reisen mitgefahren. Eine solche Fahrt unterscheidet sich ja nicht sehr von der vorigen. Warum mussten Sie immer wieder hinausfahren?

Zum einen fasziniert mich die Beziehung zu dem Netz oder der Angelschnur, die unter Wasser Fische sucht, die wir nicht erkennen. Ich mag auch die Arbeitsatmosphäre bei den Fischern. Der Grund, warum ich das immer wiederholt habe, ist die Frustration mit dem Licht. Ich habe ein Idealbild des Lichts und der Handlung im Kopf. Ich möchte, dass das alles in einem Foto zusammengefasst ist. Aber das ist schier unmöglich. Also versuche ich es immer und immer wieder.

Welche Absicht leitet Ihre Arbeit?

Es geht mir nicht in erster Linie um die reine Dokumentation. Die entsteht ganz beiläufig und selbstverständlich, wenn du 20 Tage und mehr auf Schiffen verbringst ...

... dabei fällt auf, dass Sie am häufigsten in Sturm und Regen arbeiten. Es gibt aber auch schöne, sonnige Tage auf See.

Für Fotografen wie mich hat der Sommer keinen Charakter. Ich hasse den Blue Storm, den Wind unter blauem Himmel, ich will Bewegung. Der Atlantik ist dafür großartig. Das Mittelmeer langweilt mich, es ermüdet mich zutiefst.

Dann verfälschen Sie aber bewusst.

Nein, ich befinde mich tatsächlich an der Grenze zwischen Dokumentation und eigenem Universum. Menschliche Aktivität ist genau an der Schnittstelle zwischen Himmel und Wasser. Sobald das Licht sehr hart wird, sehr gewaltig, bist du direkt damit konfrontiert. Das ist das Ziel. Eine Situation, in der das Licht nicht einfach ist: Das ist es, was ich will, darauf läuft alles hinaus.

Wohnen Sie deshalb in der Normandie?

Nein, sie ist fürchterlich, da gibt es so trübe Herbsthimmel wie heute in Hamburg. Vielleicht ziehe ich bald in die Berge.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 36. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 36

No. 36Februar / März 2003

Von Nikolaus Gelpke

Nikolaus Gelpke, 1962 in Zürich geboren, ist Verleger des mareverlags und Chefredakteur der Zeitschrift mare. Auf Anregung von Elisabeth Mann Borgese studierte er Meeresbiologie an der Universität Kiel. Nach dem Diplom führte seine Leidenschaft für die See zur Idee von mare: Die erste Ausgabe erschien 1997; 2001 ging die Dokumentationsreihe „mareTV“ im NDR erstmalig auf Sendung. Seit 2002 gehören auch Bücher zum Programm des mareverlags. Nikolaus Gelpke ist Initiator des World Ocean Review, der seit 2010 jährlich erscheint. Er ist Präsident der Ocean Science and Research Foundation und des International Ocean Institute sowie Schirmherr der GAME am GEOMAR in Kiel. Außerdem ist er Mitglied im Beirat der Deutschen Umweltstiftung und im Evaluationsteam des Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft“ in Kiel.

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Vita Nikolaus Gelpke, 1962 in Zürich geboren, ist Verleger des mareverlags und Chefredakteur der Zeitschrift mare. Auf Anregung von Elisabeth Mann Borgese studierte er Meeresbiologie an der Universität Kiel. Nach dem Diplom führte seine Leidenschaft für die See zur Idee von mare: Die erste Ausgabe erschien 1997; 2001 ging die Dokumentationsreihe „mareTV“ im NDR erstmalig auf Sendung. Seit 2002 gehören auch Bücher zum Programm des mareverlags. Nikolaus Gelpke ist Initiator des World Ocean Review, der seit 2010 jährlich erscheint. Er ist Präsident der Ocean Science and Research Foundation und des International Ocean Institute sowie Schirmherr der GAME am GEOMAR in Kiel. Außerdem ist er Mitglied im Beirat der Deutschen Umweltstiftung und im Evaluationsteam des Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft“ in Kiel.
Person Von Nikolaus Gelpke
Vita Nikolaus Gelpke, 1962 in Zürich geboren, ist Verleger des mareverlags und Chefredakteur der Zeitschrift mare. Auf Anregung von Elisabeth Mann Borgese studierte er Meeresbiologie an der Universität Kiel. Nach dem Diplom führte seine Leidenschaft für die See zur Idee von mare: Die erste Ausgabe erschien 1997; 2001 ging die Dokumentationsreihe „mareTV“ im NDR erstmalig auf Sendung. Seit 2002 gehören auch Bücher zum Programm des mareverlags. Nikolaus Gelpke ist Initiator des World Ocean Review, der seit 2010 jährlich erscheint. Er ist Präsident der Ocean Science and Research Foundation und des International Ocean Institute sowie Schirmherr der GAME am GEOMAR in Kiel. Außerdem ist er Mitglied im Beirat der Deutschen Umweltstiftung und im Evaluationsteam des Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft“ in Kiel.
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