„Ich dachte, Hurrikans gibt es bei uns nicht“

Klimawandel ist nirgends drastischer spürbar als an Küs­ten. Was bringt die Zukunft? Werden die Stürme gefährlicher? Ein Gespräch mit Deutschlands führendem Sturmforscher Meeno Schrader

Was ist eigentlich ein Sturm?

Meistens geht ein Sturm einher mit einem Tiefdruckgebiet. Das braucht aber eine bestimmte Intensität. Per Definition sprechen wir vom Sturm bei Windstärke neun im Mittel. Das heißt, kurze Böen, die sekundenmäßig einfallen, zählen nicht. Es geht um eine konstant hohe Windgeschwindigkeit …

… und um dunkle Wolken und viel Regen.

Nicht immer. Manchmal entstehen Stürme aus Luftdruckgegensätzen zwischen Tief und Hoch, mehr sogar zum Hoch hin. Dann haben wir einen Sturm bei strahlend blauem Himmel.

Besonders starke Stürme nennt man Orkan, korrekt?

Ja, ab Windstärke zwölf im Mittel. Dann sind wir schon beim fließenden Übergang zum Hurrikan.

Gott sei Dank bleiben wir in Europa von Hurrikans verschont.

Von wegen. Wir hatten 2017 zum ersten Mal auf den Wetterkarten und in der Realität einen Hurrikan in Europa. Das hat es nie zuvor gegeben. Über die Azoren zog er in Richtung Nordosten. Und dann von der äußeren Biskaya in die Irische See rein nach Irland. Das war der Hurrikan „Ophelia“.

Unglaublich.

Ja, wenn Sie mich vor anderthalb Jahren gefragt hätten, hätte ich gesagt: Nee, Hurrikans in Europa gibt es nicht – das werden wir vielleicht in 20, 30, 40 Jahren aufgrund des Klimawandels erleben, vorher nicht.

Was hat der erste europäische Hurrikan der Geschichte angerichtet?

Ein Hurrikan bringt immer drei schlimme Dinge mit sich. Zum einen viel Wind. Zweitens, und das ist viel schlimmer, hohe Wellen, die vom Wind aufgeworfen werden. Zehn, zwölf, 14 Meter hohe Wellen, die sich an der Küste brechen und zu schweren Verwüstungen führen. Und das dritte: sehr viel Regen.

Eine unangenehme Kombination.

Ja, und so war es auch bei „Ophelia“. Aber die Iren hatten sich gut vorbereitet und den nationalen Notstand ausgerufen. Außerdem sind ihre Häuser robust, weil sie schlimmen Wind gewohnt sind. Überhaupt bauen wir Europäer sehr wetterfest, ganz im Gegensatz zu den Amerikanern. Da fliegen bei Windstärke sieben schon Teile der Holzhäuser durch die Gegend.

Wie entstehen eigentlich diese Winde? Wie schaffen sie Stärke sieben, acht, neun oder mehr?

Solche Windstärken resultieren aus starken Temperaturgegensätzen. Das Tiefdruckgebiet muss man dabei als Werkzeug sehen. Oder als Küchengerät, einen Quirl. Warme und kalte Luftmassen prallen aufeinander, und das Tiefdruckgebiet hat die atmosphärische Aufgabe, diese zu vermischen, die Temperaturgegensätze zu reduzieren. Je größer der Gegensatz, desto intensiver muss der Quirl arbeiten. So haben wir normale Tiefdruckgebiete, die bei uns immer durchziehen. Wenn die Gegensätze besonders stark sind, und das sind sie bei uns im Winter, entsteht daraus ein Sturmtief.

Warum gerade im Winter?

Da kommt polare Kaltluft aus der Arktis und schafft es, bis weit in den Süden, in die mittleren Breiten vorzudringen. Das gelingt im Sommer nur sehr selten. Die schlimmsten Stürme haben wir deshalb immer im Herbst und Winter.

Entstehen die meisten Stürme eigentlich über dem Meer?

Grundsätzlich können Stürme überall entstehen. Wenn sie an Land gehen, werden sie allerdings schnell von der Reibung „aufgefressen“. Diese kursierende Luftmasse bekommt dann die Rauigkeit der Erdoberfläche zu spüren. Über dem Ozean ist Reibung erheblich geringer. Die Luft kann sich schneller drehen, weil nicht jemand wie mit Schmirgelpapier dauernd diese Umdrehung aufhält oder verlangsamt. So nehmen Stürme über Wasser viel mehr an Fahrt auf.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 130. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 130

Oktober / November 2018

Von Jan Keith

Meeno Schrader, Jahrgang 1961, promovierter Meteorologe und Gründer der Consultingunternehmen WetterWelt und Meteolytix in Kiel, gehört zu den führenden Wetterforschern in Deutschland. Sein Spezialgebiet ist das Seewetter.

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Vita Meeno Schrader, Jahrgang 1961, promovierter Meteorologe und Gründer der Consultingunternehmen WetterWelt und Meteolytix in Kiel, gehört zu den führenden Wetterforschern in Deutschland. Sein Spezialgebiet ist das Seewetter.
Person Von Jan Keith
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