Humboldts Blattgold

Das Fort Knox der Botanik steht in Berlin-Dahlem. Hier hüten Wissenschaftler den grünen Schatz, den Humboldt von seiner Forschungsexpedition nach Deutschland brachte

Im Südwesten von Berlin, im Stadtteil Dahlem, gibt es eine Straße, die sehr königlich tut und sich auch so nennt: Königin-Luise-Straße. Prächtige Gründerzeitvillen und großzügige Gärten säumen die Straße. Ihre wahren Kostbarkeiten aber hält sie gut versteckt, an einem streng gesicherten Ort tief unter ihr.

Um dorthin zu gelangen, betritt man die Hausnummer 6–8, ein Backsteingebäude, an dessen Eingang in Großbuchstaben geschrieben steht: BOTANISCHES MUSEUM. Der Weg führt in den Keller, vorbei an verschlossenen Stahltüren, die aussehen, als könnten sie jedem Bombenangriff standhalten, durch sterile, abweisende Gänge, die alle mit demselben Gelb und Weiß gestrichen sind. Neonröhren werfen kaltes Licht, die Klimaanlage gibt ein eintöniges Pfeifen von sich.

Und auf einmal ist er erreicht, der geheimnisvolle Ort, wo Wissenschaftler an etwas arbeiten, was sonst kaum jemand zu Gesicht bekommt. Ein Spezialraum, den hier alle nur „NK2“ nennen, die Abkürzung für „Neuer Keller 2“. Hier lagern – wohlbehütet bei konstant 18 Grad Celsius und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit – die pflanzlichen Fundstücke, die der deutsche Naturforscher Alexander von Humboldt auf seiner legendären Amerikareise von 1799 bis 1804 gesammelt hat. Ein einzigartiger botanischer Schatz.

Wer als Besucher hier hineinwill, braucht eine Sondergenehmigung, muss nachweisen, dass er einer wissenschaftlichen Tätigkeit nachgeht, und bekommt einen Aufpasser, manchmal sogar zwei, zur Seite. Es existieren gerade zwei Schlüssel für NK2. Im Fall eines Brandes schließt die Stahltür binnen Sekunden automatisch, und der Raum wird mit Stickstoff geflutet. Löschwasser würde die wertvollen Exponate unwiederbringlich zerstören.

„Das hier ist das botanische Fort Knox Berlins.“ Der Mann, der diese Worte sagt, ist Professor am Botanischen Museum und heißt Hans Walter Lack. Seit mehr als 30 Jahren beschäftigt er sich nun schon mit Humboldts Mitbringseln aus Amerika. Lack ist ein Mann der Pflanzen und ein Humboldt-Fan, der sich schon unzählige Mal „auf die Reise durchs Archiv“ begeben hat, wie er es nennt, auf den Spuren des großen Entdeckers. Es gibt wohl niemanden, der die Sammlung besser kennt als der Österreicher. Vor Kurzem hat er einen opulent illustrierten Band über Humboldts Amerikareise veröffentlicht.

Jetzt steht er da, der Professor, im NK2, diesem gasdichten, fensterlosen Raum mit extradicken Betonwänden, um ihn herum Rollregale aus Metall, in denen der Schatz aufbewahrt wird. Es sind gut 3360 Objekte, die von Humboldt und seinem französischen Reisegefährten Aimé Bonpland stammen. Etliche davon sind so- genannte Typusbelege. So nennen Botaniker Originale, anhand derer eine Pflanzenspezies erstmals wissenschaftlich beschrieben wurde. Humboldt hatte seinerzeit Hunderte Arten entdeckt.

Eine mag Lack besonders gerne. Er sucht im Regal, holt schließlich einen blauen Pappordner hervor und schnürt ihn auf. Zum Vorschein kommt ein über 200 Jahre altes, längliches Blatt. Es ist glatt, an den Seiten leicht gekerbt, in der Mitte gewellt, braun und etwas löchrig über dem Blattstiel. Ansonsten sieht es einwandfrei aus. „Das ist das Blatt einer Paranuss“, sagt Lack und hält inne, als wolle er die Wirkung seiner Worte nicht verpassen. „Wir kennen heute die Paranuss nur deshalb, weil Humboldt sie beschrieben hat.“

Er sagt es, und für einen Moment spürt man so etwas wie Ehrfurcht. Vor einem das Originalblatt, das einst Humboldt in seinen Händen hielt, das so lebendig aussieht mit seinen unzähligen feinen Äderchen. Es passt so gar nicht zur neonlichtgetränkten Umgebung. Der Blick auf die akkurat beschrifteten Akten beißt sich mit all den Bildern, die man im Kopf hat, von Humboldt, wie er sich durch den Dschungel kämpft, von Indianern, die ihm den Weg weisen, vom saftigen Grün der Tropen. Es ist, als ob sich der Geist auf einmal seiner Abenteuer und Träume entledigt. Humboldt ist in diesem Augenblick, in diesem Bunker, nah und fern zugleich.

Fünf Jahre lang war er in den spanischen Kolonien in Süd- und Mittelamerika unterwegs; in dieser Zeit sammelte er 6000 Pflanzen, von denen mehr als die Hälfte bis dato in Europa völlig unbekannt gewesen waren. Der junge Humboldt hatte den Ehrgeiz, das Zusammenwirken aller Naturkräfte zu verstehen. Das ließ ihn jede Pflanze mitnehmen, jeden Berg vermessen, jeden Fluss erkunden, der auf seinem Weg lag. Und in Bonpland hatte er hierfür einen mutigen und treuen Begleiter gefunden.


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mare No. 77

No. 77Dezember 2009/ Januar 2010

Von Jan Keith und Henrik Spohler

Jan Keith, Jahrgang 1971, mare-Redakteur, hat schon einmal eine Tropenexpedition mitgemacht, gepeinigt von Insekten und heftigen Regengüssen. Er fragt sich, wie Humboldt das fünf Jahre ausgehalten hat.

Henrik Spohler, geboren 1965, Fotograf in Hamburg, reiste vor einiger Zeit durch Venezuela und sammelte Pflanzen – so wie einst Humboldt.

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Henrik Spohler, geboren 1965, Fotograf in Hamburg, reiste vor einiger Zeit durch Venezuela und sammelte Pflanzen – so wie einst Humboldt.
Person Von Jan Keith und Henrik Spohler
Vita Jan Keith, Jahrgang 1971, mare-Redakteur, hat schon einmal eine Tropenexpedition mitgemacht, gepeinigt von Insekten und heftigen Regengüssen. Er fragt sich, wie Humboldt das fünf Jahre ausgehalten hat.

Henrik Spohler, geboren 1965, Fotograf in Hamburg, reiste vor einiger Zeit durch Venezuela und sammelte Pflanzen – so wie einst Humboldt.
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