Helden in Rot

Die Lifeguards an Kaliforniens Stränden sind weit mehr als gut aussehende Bademeister. Sie sind seit den 1950ern gefeierte Retter, Vorlage für einen TV-Serien-Welterfolg und Lifestyle-Ikonen

Bill O’Sullivan
Kalifornien, Anfang der 1940er-Jahre. Wie jedes Jahr verbringt der neunjährige Bill O’Sullivan die Sommerferien bei seiner Tante. Er sitzt auf einem großen Felsen und angelt, als ein paar betrunkene Jugendliche grölend neben ihm zum Wasser hinabklettern. Ein Tollkühner springt kopfüber hinein. Sekunden vergehen, aber der junge Mann taucht nicht mehr auf. Bill sieht entsetzt, wie sich das Wasser rot färbt, Panik bricht unter den Jugendlichen aus. Hilflos beobachtet Bill das Geschehen. Was kann er bloß tun?

Für O’Sullivan ist es der Wendepunkt seines Lebens. Noch im selben Sommer macht er eine Weiterbildung zum Rettungsschwimmer, lernt über Meeresströmungen und Erste Hilfe. Schon in der High School arbeitet er als Junior Lifeguard an Swimmingpools und wechselt später als Ocean Lifeguard an den Strand von Santa Monica. Mit 24 Jahren wird er jüngster Captain des Santa Monica Lifeguard Service und damit verantwortlich für die Sicherheit von Tausenden Menschen.

Heute ist Bill O’Sullivan 85 Jahre alt. Der Sohn irischer Einwanderer lebt in einer für Kalifornien typischen Gated Community, einem geschlossenen Wohnkomplex, eine halbe Stunde von Los Angeles entfernt. An den Wänden hängen Fotos verschiedener Lifeguard-Gruppen aus mehreren Jahrzehnten. Militärisch aufgereiht stehen dort kräftige Männer in roten Badehosen. In seinen 37 Dienstjahren habe er sich keinen einzigen Fehler erlaubt, erzählt er und setzt sich aufrecht hin. Es fällt ihm nicht leicht.

Ein Haushaltshelfer unterstützt O’Sullivan in seinem Alltag. Wie viele der ehemaligen Lifeguards leidet er an Hautkrebs. Mehr als 2000 Behandlungen musste er schon über sich ergehen lassen. „Wir wussten damals nichts von Sonnenschutz. Wir rieben uns eher noch mit Öl ein, um gut auszusehen.“ 

Damals. Wenn O’Sullivan von damals spricht, dann leuchten seine Augen. Damals, das sind die 1940er- und 1950er-Jahre, als das Meer noch sauber war und nicht leer gefischt. Als kleine Jungs mit der Hand Hummer fingen, um sie für ein paar Cent zu verkaufen. Damals, in den wilden 1960er- und 1970er-Jahren, als Sit-ins und Love-ins am Strand stattfanden und die Gangs aus South Central kamen, um die Hippies in Venice zu verprügeln. Damals waren Lifeguards nicht so gut bezahlt wie heute  und weniger professionell, einige waren arm und wohnten am Strand. Aber sie waren Helden. Sie strahlten Autorität aus, schlichteten Streit, und notfalls griffen sie ein. Sie waren bewundert und gefürchtet, und das, obwohl sie weder Schuhe noch eine Waffe trugen.

„Aber nicht alles war damals besser. Wir hatten nicht die technischen Möglichkeiten von heute und auch nicht die Ausbildung. Wir wurden einfach in den Tower gesetzt und mussten sehen, wie wir die Leute aus dem Wasser holen.“ Das ist heute anders. Der Lifeguard Service arbeitet inzwischen eng mit Krankenhäusern zusammen, binnen Minuten kommt ein Rettungswagen, nicht selten werden Menschen am Strand wiederbelebt. Am jährlich stattfindenden Eignungstest des L. A. County Lifeguard Service nehmen bis zu 300 Bewerber teil, die besten 60 durchlaufen danach ein sechsmonatiges Training. Nur wer die umfangreichen Abschlussprüfungen besteht, darf später als Lifeguard arbeiten.

Schon immer arbeitete ein Großteil der Lifeguards nur Teilzeit und führte nebenher noch ein anderes Leben in einem zweiten Beruf. O’Sullivan zeigt uns ein Schwarz-Weiß-Foto von Myron Cox, einem berühmten Lifeguard der 1920er-Jahre. Cox war nicht nur ein berüchtigter Frauenheld, sondern auch ein stadtbekannter Profiwrestler. Danach zeigt er auf ein Foto von Lifeguard Pete Peterson, der auf einem gigantischen Brett surfend eine Strandschönheit in die Höhe hält. Peterson war im anderen Leben ein talentierter Bootsbauer. Das dicke Buch, in dem die Fotos zu sehen sind, gehört zu einer 4000-seitigen, mehrbändigen Lifeguard-Service-Anthologie. Darin finden sich in alphabetischer Reihenfolge ausführliche Berichte über fast alle Lifeguards der vergangenen 100 Jahre in L. A. County.


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mare No. 117

No. 117August / September 2016

Von Nora Fingscheidt und Philip Leutert

Nora Fingscheidt, Jahrgang 1983, hat in Berlin und Ludwigsburg Filmregie studiert. Nach Los Angeles kam sie das erste Mal über ein Austauschprogramm ihrer Hochschule und verliebte sich sofort in Venice Beach. Sie lebt in Ludwigsburg und arbeitet als freischaffende Autorin und Filmemacherin.

Philip Leutert wurde 1982 in Lüneburg geboren. Er lernte Fotografie an der Ostkreuzschule in Berlin und studierte später an der Zürcher Hochschule der Künste. Er lebt und arbeitet als freier Fotograf und Kameramann in Zürich.

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Vita Nora Fingscheidt, Jahrgang 1983, hat in Berlin und Ludwigsburg Filmregie studiert. Nach Los Angeles kam sie das erste Mal über ein Austauschprogramm ihrer Hochschule und verliebte sich sofort in Venice Beach. Sie lebt in Ludwigsburg und arbeitet als freischaffende Autorin und Filmemacherin.

Philip Leutert wurde 1982 in Lüneburg geboren. Er lernte Fotografie an der Ostkreuzschule in Berlin und studierte später an der Zürcher Hochschule der Künste. Er lebt und arbeitet als freier Fotograf und Kameramann in Zürich.
Person Von Nora Fingscheidt und Philip Leutert
Vita Nora Fingscheidt, Jahrgang 1983, hat in Berlin und Ludwigsburg Filmregie studiert. Nach Los Angeles kam sie das erste Mal über ein Austauschprogramm ihrer Hochschule und verliebte sich sofort in Venice Beach. Sie lebt in Ludwigsburg und arbeitet als freischaffende Autorin und Filmemacherin.

Philip Leutert wurde 1982 in Lüneburg geboren. Er lernte Fotografie an der Ostkreuzschule in Berlin und studierte später an der Zürcher Hochschule der Künste. Er lebt und arbeitet als freier Fotograf und Kameramann in Zürich.
Person Von Nora Fingscheidt und Philip Leutert