Heaven Down Under

Zwei Australier porträtieren die Leidenschaft ihrer Landsleute fürs Schwimmen aus ungewöhnlichem Blickwinkel: vom Meeresgrund

Australier sind Amphibienwesen. Sie verfügen über geheimnisvolle Fähigkeiten, von denen Nichtaustralier nur träumen können. Das jedenfalls scheinen die dokumentarischen Bilderserien von Narelle Autio und Trent Parke zu behaupten: Körper treiben durch monochrome Farbflächen, räkeln sich schwere- los in leerer Tiefe oder purzeln durch die Wolkendecke eines schwarzweißen Unterwasserhimmels.

Was wie die aufwendige Inszenierung einer maritimen Parallelwelt aussieht, ist in Wirklichkeit das Ergebnis geduldigen Wartens im und am Meer. In alltäglichen Badeszenen entdecken die beiden Fotografen etwas, was anderen Menschen verborgen bleibt.

Als Narelle Autio 1998 nach einem dreijährigen Auslandsaufenthalt nach Australien zurückkehrte, stellte sie überrascht fest: „Die einzige Inspiration, die ich brauchte, war das Land und die Fähigkeit, es mit neuen Augen zu sehen.“ Ein Auge beobachtet fasziniert die heitere Unbefangenheit der Badenden unter Wasser. Das andere lauert auf den Moment, in dem die Wirklichkeit wieder einmal jede Vorstellung übersteigt. Dann drückt Narelle Autio ab, schießt ihr Foto wie aus dem Hinterhalt. Die unbemerkte Beobachterin bleibt vage außerhalb des Bildrands spürbar. Die Unterwasseridylle wirkt trügerisch, der isolierte Schwimmer verletzlich.

Narelle Autio und Trent Parke arbeiten im Spannungsfeld zwischen Kunst und Fotojournalismus. Den Strand thematisiert das Künstlerpaar als Grenzstreifen zwischen Land und Meer, zwischen Natur und Kultur. Dort verblassen gesellschaftliche Regeln neben ungewöhnlich starken Sinneseindrücken. Schwimmer jeden Alters bevölkern ihre kontrastreichen Bilder. Perspektivisch verzerrte Körper sind bei Narelle Autio und Trent Parke keine Problemzonen; sie verheißen unentdeckte Bewegungsräume und neue sinnliche Erlebnisse.

Selten ist die Haut so wenig abgedeckt und selten wird die eigene Natur so ungefiltert spürbar wie beim Baden in der Brandung. Das Wasser umgibt den ganzen Körper, die Grenzen zwischen Mensch und Meer verschwimmen. Völlig losgelöst von kulturellen Sicherheiten, fordert es den Schwimmer heraus, seine Kräfte zu messen und ihr Gleichgewicht zu finden.

Mit dieser so buchstäblichen wie poetischen Tiefenschärfe unterscheiden sich die Heimatfotos von Narelle Autio und Trent Parke von den üblichen Bildern mit den ewig unvermeidlichen Surfern im Sonnenuntergang. Sie erinnern an existenzielle Erlebnisse, die fast allen Australiern seit ihrer Kindheit vertraut sind. Der australische Schriftsteller Robert Drewe erklärt damit die besondere Wirkung dieser Bilder. „Mit ihrer Fotografie durchdringen Trent Parke und Narelle Autio die Meeresoberfläche und gehen unter die Haut einer ganzen Nation.“

Fast 90 Prozent der Australier leben an der endlosen Inselküste, das Leben am Wasser hat sich zur prägendsten kulturellen Tradition entwickelt. Viele Höhepunkte ihres Lebens, wichtige Phasen erleben sie in seiner Nähe: den ersten Sex in den Dünen, Hochzeit und Flitterwochen im Strandhotel, die Kleinfamilie im Ferienhaus. Selbst am Lebensabend bleibt der Blick bis zum Ende auf die Wellen geheftet.


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mare No. 38

No. 38Juni / Juli 2003

Von Uta von Debschitz, Narelle Autio und Trent Parke

Uta von Debschitz, Jahrgang 1964, ehemalige Architektin, lebt und arbeitet als freie Autorin und Kuratorin in Berlin.

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Vita Uta von Debschitz, Jahrgang 1964, ehemalige Architektin, lebt und arbeitet als freie Autorin und Kuratorin in Berlin.
Person Von Uta von Debschitz, Narelle Autio und Trent Parke
Vita Uta von Debschitz, Jahrgang 1964, ehemalige Architektin, lebt und arbeitet als freie Autorin und Kuratorin in Berlin.
Person Von Uta von Debschitz, Narelle Autio und Trent Parke