Harter Hund und Weichgetier

Von der Hafenkaschemme zum Tempel für Gourmets: der unaufhaltsame Aufstieg des „Panama Jack’s“

Es gibt Lokalitäten, die sind einfach nicht zu finden. Selbst wenn man schon direkt davor steht, sucht man weiter. Weil das Zielobjekt einfach nicht zu den Vorstellungen passen will, die man sich macht. Ein Hafenrestaurant, das muss doch hell und groß sein und wie eine Schiffsbrücke über den Molen thronen. Nun dieser Anblick: windschiefe Holzverschläge, die sich unter Containertürmen ducken. Das Bauwerk sieht aus, als hätten es Schiffbrüchige aus Strandgut zusammengezimmert. Über dem Blechdach ein Schild: „Panama Jack’s“. Wir sind am Ziel.

Der Schuppen gehört Quentin Pittaway, 65 Jahre alt, vormals Handelsreisender, Schiffsüberführer, Weltenbummler, heute Besitzer eines Restaurants, das zu den Top 100 in Südafrika gehört. „Es war ein bescheidener Anfang“, erzählt Pittaway. Das kann man wohl sagen: Auf vergilbten Bildern aus dem Jahr 1989 sieht man einen klapprigen Bootsschuppen und davor einen Cola-Automaten. Es gab Burenwurst, Biltong (Dörrfleisch) und Pommes frites.

Pittaway nannte den Kiosk „Panama Jack’s“, weil er bei der Überführung einer Yacht durch den Panamakanal gesegelt war. Und weil Jack irgendwie nach hartem Hund klingt. Es kamen immer mehr Hafenarbeiter zu seiner Pinte, und die verlangten ordentliche Kraftkost, Eier und Speck, Butterfisch, Steaks. Pittaway baute an, hier ein paar Bretterwände, dort ein neues Holzgeviert. Die Frittenbude wuchs und wuchs wie die Schale einer Auster und ist heute Geheimtipp unter Capetonians.

In den Ecken prangen Schildkrötenpanzer, grün leuchtende Schiffslaternen und Loguhren aus Messing. Es ist, als befände man sich in einem Lapidarium des Fernwehs. Das „Panama Jack’s“ hat etwas von einer Hafenkaschemme: ein bisschen verrucht, von schlampiger Lässigkeit, ein Schauplatz für Geschichten von Graham Greene. Die Bohlen knarzen, es zieht durch tausend Ritzen und Fugen, und manchmal nagelt der Regen durchs Blechdach. Aber wenn abends die Seegraslampen angehen, stimmt der warme Schein auch den pikiertesten Naserümpfer milde.

Wir studieren die Karte, rauf und runter. Ach, hätte man nur sieben Mägen, um alle Gerichte der Reihe nach zu essen: Calamari im Cajun-Stil; Pasta Martinique mit Fenchel in Tomatenconcassé; Mahi Mahi aus marinierten Doraden. Wir wählen das thailändische Garnelencurry, und das sollte so göttlich schmecken, dass sich Erdenwürmer seine Zubereitung gar nicht vorstellen können.

Die größte Gaumenfreude des Hauses gibt’s nur im Winter: Perlemoen, eine Riesenschnecke, im Englischen als Abalone bekannt. Die Perlemoen schmeckt wie edelster Tintenfisch hoch 100. Dennoch gibt es Zeitgenossen, die diese Delikatesse verschmähen. Nelson Mandela zum Beispiel. Der Freiheitskämpfer musste die Schnecken auf der Kerkerinsel Robben Island 19 Jahre lang essen, eine Zusatzkost, von Häftlingen gesammelt, um den Gefängnisfraß aufzubessern.

Wie lange mag die Perlemoen wohl noch auf der Speisekarte stehen? Ihre Bestände werden tonnenweise geplündert und nach Fernost verschifft, wo man die Weichtiere als Aphrodisiakum schätzt. Die Behörden führen einen Krieg gegen die Wilderer und Schmuggler; erst neulich wurde in Kleinmond wieder scharf geschossen. Ökologen befürchten allerdings, dass die „Operation Neptun“ zu spät kommt, um die Perlemoen vor ihrem Aussterben zu bewahren.

„Auch Crayfish wird knapp“, klagt Pittaway. Es handelt sich um eine besonders schmackhafte Art von Langusten. „Der gesamte Fang wird exportiert, das bringt beim derzeit niedrigen Kurs des Rand höhere Gewinne als der Verkauf auf dem heimischen Markt.“ Absurde Folge: Südafrikanische Restaurants importieren Meeresfrüchte aus Brasilien oder den USA! Auch das „Panama Jack’s“? Nun ja ... der Chef will das Thema nicht vertiefen.

Unterdessen ist ein mittlerer Sturm aufgekommen. Die Fenster zittern, die Wände vibrieren, die Baracke scheint zu wanken. Man denkt: Gleich fliegt sie weg, über das Containerterminal hinaus in die Table Bay. „No problem“, sagt Pittaway. ,Panama Jack’s‘ hat schon Tornados überstanden.“ Ein harter Hund eben.


Thailändisches Garnelencurry

Zutaten für vier Personen

18 Garnelen, zwei Zwiebeln, eine Tomate, sechs getrocknete Aprikosenhälften, zwei Esslöffel (EL) Ingwer, einen halben Teelöffel (TL) Knoblauch, drei EL thailändische Currypaste, einen halben TL Kurkuma, zehn Gramm Koriander, einen halben TL Fischsauce, drei EL Aprikosenmarmelade, 0,3 Liter Kokosnussmilch, einen Viertelliter Krabbenbrühe, 0,4 Liter Sahne.

Zubereitung

Aprikosen kurz in heißem Wasser einweichen. In einem Wok oder einer Pfanne Zwiebeln dünsten; dann Tomate, Gewürze, Currypaste, Aprikosen, Kokosnussmilch und Krabbenbrühe dazugeben und zum Kochen bringen. Marmelade, Koriander und Fischsauce hinzufügen, dann im Mixer quirlen. Noch einmal alles zum Kochen bringen, die aufgetauten und gepulten Garnelen hineingeben und einige Minuten garen lassen. Von der Flamme nehmen, Sahne unterrühren, fertig. Mit Basmatireis servieren.


Panama Jack’s
Berth 500, Cape Town Harbour.

mare No. 32

No. 32Juni / Juli 2002

Von Bartholomäus Grill und Jodi Bieber

Bartholomäus Grill, 1954 geboren, studierte Philosophie, Soziologie und Kunstgeschichte. Ab 1993 berichtete er als Korrespondent der Zeit aus Afrika, seit Anfang 2013 ist er Afrika-Korrespondent des Spiegel, wo er zuletzt über den Tod Nelson Mandelas schrieb. Bei Siedler ist sein Bestseller Ach, Afrika (2003) erschienen. 2006 wurde er für eine Reportage über den Tod seines Bruders mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis ausgezeichnet.

Jodi Bieber wurde nach Abschluss von drei kurzen Fotografiekursen am Market Theatre Photography Workshop in Johannesburg 1993 für eine Fotografenausbildung bei der Zeitung Star Newspaper unter Ken Oosterbrook ausgewählt. Dort setze sie auch während der ersten demokratischen Wahlen in Südafrika ihre Arbeit fort. 1996 war für sie der Wendepunkt. Sie nahm an der World Press Master Class in Holland teil und begann daraufhin Auftragsarbeiten für das New York Times Magazine, für Geo und Stern zu fotografieren.

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Vita Bartholomäus Grill, 1954 geboren, studierte Philosophie, Soziologie und Kunstgeschichte. Ab 1993 berichtete er als Korrespondent der Zeit aus Afrika, seit Anfang 2013 ist er Afrika-Korrespondent des Spiegel, wo er zuletzt über den Tod Nelson Mandelas schrieb. Bei Siedler ist sein Bestseller Ach, Afrika (2003) erschienen. 2006 wurde er für eine Reportage über den Tod seines Bruders mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis ausgezeichnet.

Jodi Bieber wurde nach Abschluss von drei kurzen Fotografiekursen am Market Theatre Photography Workshop in Johannesburg 1993 für eine Fotografenausbildung bei der Zeitung Star Newspaper unter Ken Oosterbrook ausgewählt. Dort setze sie auch während der ersten demokratischen Wahlen in Südafrika ihre Arbeit fort. 1996 war für sie der Wendepunkt. Sie nahm an der World Press Master Class in Holland teil und begann daraufhin Auftragsarbeiten für das New York Times Magazine, für Geo und Stern zu fotografieren.
Person Von Bartholomäus Grill und Jodi Bieber
Vita Bartholomäus Grill, 1954 geboren, studierte Philosophie, Soziologie und Kunstgeschichte. Ab 1993 berichtete er als Korrespondent der Zeit aus Afrika, seit Anfang 2013 ist er Afrika-Korrespondent des Spiegel, wo er zuletzt über den Tod Nelson Mandelas schrieb. Bei Siedler ist sein Bestseller Ach, Afrika (2003) erschienen. 2006 wurde er für eine Reportage über den Tod seines Bruders mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis ausgezeichnet.

Jodi Bieber wurde nach Abschluss von drei kurzen Fotografiekursen am Market Theatre Photography Workshop in Johannesburg 1993 für eine Fotografenausbildung bei der Zeitung Star Newspaper unter Ken Oosterbrook ausgewählt. Dort setze sie auch während der ersten demokratischen Wahlen in Südafrika ihre Arbeit fort. 1996 war für sie der Wendepunkt. Sie nahm an der World Press Master Class in Holland teil und begann daraufhin Auftragsarbeiten für das New York Times Magazine, für Geo und Stern zu fotografieren.
Person Von Bartholomäus Grill und Jodi Bieber