Hart am Wind

Seit 40 Jahren überquert Constance Imbert Ozeane, segelt schwierigste Regatten, bringt Männern die Kunst des Hochseesegelns bei und ringt noch immer um Anerkennung

Paris im Juli, ein draller Sommertag, Temperaturen an der Grenze zum Irrsinn, Plätze und Straßen sprudeln über vor Leben und Laune, eine Stadt in Hochform. Wer hier lebt, so könnte man meinen, in einer eigenen schmucken Dachwohnung im Marais, mit einer Badewanne mit Aussicht auf die Rue du Temple, ist angekommen im guten Leben. Doch Madame Imbert möchte nur weg. In ihrem Schlafzimmer warten halb gepackte Taschen, am Telefon der Hauswart, kurzfristig hat sie noch Untermieter gefunden, nun braucht sie eine Putzfrau, übermorgen geht es schon los, mon Dieu, wie soll das alles zu schaffen sein?

Constance Imbert, 55 Jahre, eine schmale, schöne Frau – nicht erst dann, wenn sie im Gespräch aufgebracht mit ihrer Brille fuchtelt wie die Hauptfigur aus „Der Teufel trägt Prada“, denkt man an Meryl Streep. Madame Imbert trägt einen engen Rock, dezentes Beige, aus vornehm changierendem Chintz, ein himbeereisfarbenes T-Shirt der Art, die man nicht von der Stange kauft, dazu leuchtend grüne Ballerinas. Sie sieht aus, als würde sie gleich mit einflussreichen Freundinnen ein paar lässige Gläser Champagner trinken gehen, um die Kühle des Abends zu begrüßen. Sie serviert ein weiteres Dosenbier und sagt: „Wenn ihnen schlecht wird, sage ich: Versucht bitte draußen zu kotzen. Sie benehmen sich oft, als würden sie sterben, wenn sie seekrank sind. Ich sage ihnen: Ihr sterbt nicht. Keiner stirbt daran.“

Madame Imbert lacht. Sie lacht laut, ein tiefes, kräftiges, markerschütterndes Lachen, es ist zu groß für die akkurat eingerichtete Wohnung, es würde Aufsehen erregen auf den eleganten Boulevards ihrer Heimatstadt, es ist ein Lachen, das Raum braucht und Weite, den Himmel, den Wind, das Meer. Constance Imbert sagt: „Wenn ich im Sommer nicht segeln kann, bringt mich das um. Es ist, als nähme man mir die Luft zum Atmen.“

In ihrer Brieftasche trägt sie ein Zertifikat der französischen Marine, das sie als professionelle Skipperin ausweist, sie hat Ozeane durchquert und an weltberühmten Regatten teilgenommen, sie bringt regelmäßig anderen das Handwerk und die Kunst des Hochseesegelns bei. Die anderen allerdings sind wahrlich anders, es sind meist Männer, und vierzig Jahre persönlicher Segelgeschichte konnten den Eindruck ihrer ersten großen Fahrt nicht ändern: „Als Frau in einer männlichen Crew bist du ein Ufo, ein unbekanntes Flugobjekt. Sie akzeptieren dich als menschliches Wesen, aber du bist nicht im Club. Niemals.“

Das „Nautical Resume“ von Constance Imbert, der Lebenslauf einer Seglerin, in dem man die Jahre in Booten, Routen, Häfen zählt, beginnt 1967. Da war sie 13 Jahre alt. Geboren in Paris, aber wohnhaft mit ihren Eltern und fünf Geschwistern in Mailand, weil der Beruf des Vaters es verlangte, er war Manager eines international tätigen Konzerns. Es gab keinen, der ihr die spätere Leidenschaft vorlebte; studieren sollte sie nach dem Willen des Vaters und eine Parisienne bleiben, im Herzen, im Geist. Die Tochter aber liebte Italien, und es zog sie hinaus aufs Meer. Sie wünschte sich einen Segelkurs, die bildungsbeflissenen Eltern schickten sie nach Schottland, damit sie gleichzeitig ihre Sprachkenntnisse verbessere. Es war nass, kalt und stürmisch in Oban, und weil die Worte des Lehrers der „Royal Sailing School“ in ihren Ohren kein Englisch und völlig unverständlich waren, gewöhnte sie sich daran, dass er sie auf den Kopf schlug, wenn sie an Bord im Weg stand. Sie war das einzige Kind, das jeden Tag freiwillig mit ihm hinausfuhr.

Ein paar Jahre und zwei Segelkurse später verzeichnet das Resume: „Cape-to-Rio Race“, von Kapstadt nach Rio de Janeiro auf der „Koala 3 (11,30 m), Crewmitglied“. Es war ihre zweite Regatta, auf der ersten, zwei Tage im Mittelmeer, hing sie die meiste Zeit über der Reling, drei Monate danach segelt sie über den Atlantik, mit 18. Wer Constance Imberts Daten abfragt, bekommt als Antwort von ihr ein Schauspiel mitgeliefert, die Höhepunkte ihres Lebens dramatisch inszeniert. Für die Episode Cape-to-Rio umkreist sie ein imaginäres Telefon, sie hat in einer sardischen Segelschule die Bekanntschaft eines italienischen Segelcracks gemacht, Doi Malingri, sie wagt nicht, ihn anzurufen, und als sie es doch tut, bellt er ihr entgegen, er habe keine Zeit, er bereite sich auf die Cape-to-Rio-Regatta vor. Sie bittet ihn, sie mitzunehmen, er sagt: „Du spinnst.“ Sie denkt: Ich habe es wenigstens versucht. Ein paar Wochen später ist er am Telefon, seine Frau ist erkrankt, fällt als Crewmitglied aus, er sagt: „Ich brauche eine Frau an Bord, weil sich Männer wie Schweine benehmen, wenn sie unter sich sind, sie rasieren sich nicht und sprechen die ganze Zeit über Sex, es ist wie in einer Kaserne. Kommst du mit?“

36 Jahre danach brüllt sie die Antwort genauso begeistert wie damals: „Natürlich!“ „Und werden deine Eltern einverstanden sein?“ „Natürlich!“ Der Vater sagt: „Auf gar keinen Fall.“ Sie fährt trotzdem. Vier Männer verlassen mit ihr den Hafen von Kapstadt, vor ihrer ersten Wache sagt sie zu Doi, dem Skipper: „Ich weiß nicht, wie das geht.“ Er antwortet: „Dann geh raus und lern es.“ 28 Tage sind sie unterwegs über den Ozean bis nach Brasilien, Angst machen ihr bald nicht mehr Wind und Wellen, dafür der Aggressionsstau an Bord. „Drei Tage hatten wir gar keinen Wind, fast hätten sie sich geprügelt. Männer werden wahnsinnig bei Flaute.“


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 77. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 77

No. 77Dezember 2009/ Januar 2010

Von Martina Wimmer und Jérôme Bonnet

mare-Redakteurin Martina Wimmer, Jahrgang 1965, lebt ihre Segelleidenschaft bislang nur auf den Seen rund um Berlin aus und weiß aus persönlicher Erfahrung: Das Konfliktpotenzial ist auch auf kleinen, meist ruhigen Gewässern groß.

Der Franzose Jérôme Bonnet, geboren 1972, ist bekannt für seine Porträtfotografie. 2009 gewann er den zweiten Preis beim World Press Award in der Kategorie „Portraits Singles“ für ein Bild des Schauspielers Dennis Hopper.

Mehr Informationen
Vita mare-Redakteurin Martina Wimmer, Jahrgang 1965, lebt ihre Segelleidenschaft bislang nur auf den Seen rund um Berlin aus und weiß aus persönlicher Erfahrung: Das Konfliktpotenzial ist auch auf kleinen, meist ruhigen Gewässern groß.

Der Franzose Jérôme Bonnet, geboren 1972, ist bekannt für seine Porträtfotografie. 2009 gewann er den zweiten Preis beim World Press Award in der Kategorie „Portraits Singles“ für ein Bild des Schauspielers Dennis Hopper.
Person Von Martina Wimmer und Jérôme Bonnet
Vita mare-Redakteurin Martina Wimmer, Jahrgang 1965, lebt ihre Segelleidenschaft bislang nur auf den Seen rund um Berlin aus und weiß aus persönlicher Erfahrung: Das Konfliktpotenzial ist auch auf kleinen, meist ruhigen Gewässern groß.

Der Franzose Jérôme Bonnet, geboren 1972, ist bekannt für seine Porträtfotografie. 2009 gewann er den zweiten Preis beim World Press Award in der Kategorie „Portraits Singles“ für ein Bild des Schauspielers Dennis Hopper.
Person Von Martina Wimmer und Jérôme Bonnet