Hans Gert Franzkeit, TS „Braunschweig“

Wer erzählt die besten Geschichten vom Meer? Menschen, die den Ozean erlebt haben.

Ich übernehme das Kommando. Wir fahren“, er hielt kurz inne, „zu meinem Guru nach Indien. Sofort!“ Der Kapitän und ich, damals Erster Offizier der „Braunschweig“, starrten den Mann an, der gerade auf die Brücke gestürmt war. Wir lagen im Hafen von Djakarta, und eigentlich sollte der „Junge“, wie ihn jeder an Bord nannte, beim Löschen mit anpacken. Aber in seinem Kopf war etwas durcheinandergeraten.

Als Messjunge war er in Hamburg eingestiegen. Er kam aus einem Eliteinternat am Bodensee, mehr wussten wir nicht. Ein stämmiger Kerl, groß, aber insgesamt unauffällig. Einem Matrosen hatte er anvertraut, dass er ein Mädchen in Djakarta besuchen wollte, dass er ihr seit Wochen Briefe schrieb. Liebesbriefe.

Ihre erste Begegnung war wenig amourös verlaufen, wie er uns mit leiser Stimme erzählte, nachdem ich ihn beruhigt hatte. Das Mädchen hatte ihn freundlich abblitzen lassen; die Briefe waren anscheinend nur eine Übung gewesen, ihr Englisch zu verbessern, geschrieben in der Gewissheit, dass sie den Adressaten nie zu Gesicht bekommen würde. Wir versuchten, den Jungen zu trösten, und versicherten ihm, der Rest der Reise werde bestimmt ein schönes Abenteuer. Bis zur Rückkehr nach Hamburg werde sein Liebeskummer gewiss über Bord gehen.

Schon am nächsten Tag aber meldete sich sein Kammerkollege. Ein Zusammenleben mit dem Jungen sei nicht mehr möglich: Er schreie seit Stunden und habe Möbel zertrümmert. Ich ging hinunter, um mit ihm zu reden. Er schien einsichtig, doch gerade, als ich die Tür hinter mir schloss, schlug er mit Gebrüll einen Stuhl gegen die Wand.

Wenig später kam der Bootsmann und bat um Hilfe. Der Junge hatte nun offenbar vollends den Verstand verloren und wütete in seiner Kammer, weshalb wir ihn vorsorglich einschlossen. Niemand konnte in diesem Lärm schlafen, aber noch schlimmer: Wir fürchteten, er könne sich verletzen. Was tun? Wir beschlossen, ihm eine provisorische Gummizelle einzurichten.

Also bauten wir das Ladekontor um, polsterten die Wände mit Matratzen, klemmten die elektrischen Leitungen ab und befestigten die Blenden der Bullaugen so, dass immer frische Luft herein- strömen konnte. Vielleicht, hofften wir, würde sich der Zustand des Jungen normalisieren. Aber Wochen vergingen, und es änderte sich nichts. Wenn der Patient wieder einmal die Kontrolle über sich verlor, wurde ich gerufen; offenbar war ich der Einzige, der sein Vertrauen besaß und ihn beruhigen konnte.


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mare No. 65

No. 65Dezember 2007 / Januar 2008

Aufgezeichnet von Stefan Krücken Foto: Achim Multhaupt

Achim Multhaupt wurde 1967 in Dortmund geboren. Er studierte Fotodesign an der dortigen Fachhochschule. Seine Schwerpunkte sind Porträtfotografie und Bildjournalismus, er arbeitet für nationale und internationale Magazine. Er lebt in Hamburg.

Gemeinsam mit Stefan Krücken hat er das Buch Orkanfahrt. 25 Kapitäne erzählen ihre besten Geschichten im Ankerherz Verlag veröffentlicht, die ursprünglich in der Rubrik „Käpitäne“ in mare erschienen sind. Weitere Bücher folgten.

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Vita Achim Multhaupt wurde 1967 in Dortmund geboren. Er studierte Fotodesign an der dortigen Fachhochschule. Seine Schwerpunkte sind Porträtfotografie und Bildjournalismus, er arbeitet für nationale und internationale Magazine. Er lebt in Hamburg.

Gemeinsam mit Stefan Krücken hat er das Buch Orkanfahrt. 25 Kapitäne erzählen ihre besten Geschichten im Ankerherz Verlag veröffentlicht, die ursprünglich in der Rubrik „Käpitäne“ in mare erschienen sind. Weitere Bücher folgten.
Person Aufgezeichnet von Stefan Krücken Foto: Achim Multhaupt
Vita Achim Multhaupt wurde 1967 in Dortmund geboren. Er studierte Fotodesign an der dortigen Fachhochschule. Seine Schwerpunkte sind Porträtfotografie und Bildjournalismus, er arbeitet für nationale und internationale Magazine. Er lebt in Hamburg.

Gemeinsam mit Stefan Krücken hat er das Buch Orkanfahrt. 25 Kapitäne erzählen ihre besten Geschichten im Ankerherz Verlag veröffentlicht, die ursprünglich in der Rubrik „Käpitäne“ in mare erschienen sind. Weitere Bücher folgten.
Person Aufgezeichnet von Stefan Krücken Foto: Achim Multhaupt