Hamburg – Stadt im Fluss

Die Hafenstadt erlebt im Zweiten Weltkrieg ihre Apokalypse – und kaum zehn Jahre danach beginnt sie wieder zu erblühen. Das Leben im Hamburg der fünfziger Jahre ist geprägt von produktiver Verdrängung

Der Weltuntergang war vorüber. Die Hamburger hatten die Apokalypse überstanden, das „Unternehmen Gomorrha“, die Zerstörung ihrer Stadt durch Hunderttausende Luftminen, Sprengbomben, Brandbomben. Sie sahen Funkenschauer und brennende Fleete, Tod und Verderben in Bunkern und Kellern, den Feuersturm, der mit unvorstellbarer Gewalt durch die Stadt fegte, rasende Feuerwände, in denen alles Leben verglühte. Mehr als 30 000 Menschen starben in einer Nacht, am 28.  Juli 1943, Opfer einer Strategie, deren Ziel es war, Hamburgs Arbeiterwohnviertel zu zerstören, die Rüstungsindustrie lahmzulegen und die Loyalität der Bevölkerung zum NS-Regime zu erschüttern.

Es sollte nicht gelingen. Kaum zwei Wochen nach dem Inferno wurde die Post wieder zugestellt, rollten wieder Züge in den Hauptbahnhof. Über 400 000 Menschen kehrten zurück, Familien, die im Umland Schutz gesucht hatten, obwohl Frauen und Kindern die Rückkehr ausdrücklich untersagt war. Schon bald kam die Rüstungsproduktion wieder auf Touren. Ich bin im August 1942 geboren, verbrachte Stunden im Luftschutzkeller meiner Großmutter in Blankenese, quietschvergnügt, denn ich konnte ja nicht beurteilen, was da draußen vorging. Als mein Vater in meinem Leben auftauchte, kam er in Uniform. Ein Magengeschwür hatte ihn außer Gefecht gesetzt.

Der Krieg hatte eine Trümmerwüste hinterlassen. 900 000 Menschen waren obdachlos, die Stadtteile Hamm, Horn und Borgfelde, Eilbek, Hammerbrook und Rothenburgsort nahezu vollständig zerstört. Wie sollte in dieser rußschwarzen Steinwüste wieder Leben einziehen? Wohin mit 43 Millionen Kubikmetern Schutt und Trümmern? Wer räumt das alles weg? Wovon sollten die Menschen leben? Industrie, gewerbliche Betriebe und Kontorhäuser, Krankenhäuser, Schulen und Kirchen waren dem Erdboden gleich, Hamburgs Hafen zu 80 Prozent zerstört. 312 Schiffe lagen auf Grund, 2900 waren beschädigt.

Und die Zerstörung war nicht zu Ende. Im Mai 1946 wurden die Helligen in der Werft von Blohm + Voss gesprengt. Alle Rüstungsbetriebe sollten demontiert werden; so hatten es die Siegermächte verfügt. In Westdeutschland waren 918 Industriebetriebe betroffen. Die internationale Reparationskonferenz setzte deutsche Reparationen auf 20 Milliarden US-Dollar fest, die Hälfte für die UdSSR.

Wie sollten die Deutschen das aufbringen? Eine Gesellschaft, deren Hauptlasten vor allem die Frauen zu tragen hatten, weil es kaum arbeitsfähige Männer gab. Wie sollte eine Wirtschaft funktionieren, die buchstäblich am Boden lag, deren letzte intakte Strukturen nun demontiert werden sollten?

Hamburgs von den Briten eingesetzter Bürgermeister Rudolf Petersen und die Bürgerschaft protestierten gegen die Sprengung deutscher Werften. Die Besatzungsmacht lenkte ein, korrigierte die Liste. Demontiert wurden nur noch die seit 1936 durch die Aufrüstung hinzugekommenen Kapazitäten.

Die Stadt war außer Betrieb, Gas- und Energieversorgung zusammengebrochen. 1,4 Millionen Menschen lebten in Bunkern und Kellern, in Notunterkünften, in Wohnungen ohne Licht, ohne Heizung, ohne Kochmöglichkeit. Die Kinderrationen mussten gekürzt werden. Otto Normalverbraucher bekam auf Lebensmittelkarten 900 Kilokalorien am Tag und ein Ei im Monat. Immer wieder kam es zu Engpässen, konnte die Zuteilung von Fleisch nicht garantiert werden, gab es weder Fett noch Milch.

In den Kammerspielen gab es Thornton Wilders Katastrophenparabel „Wir sind noch einmal davongekommen“. In vielen anderen deutschen Städten auch, denn das Stück erfasste das Lebensgefühl der Epoche. Das Schlimmste war überstanden, die Menschen kamen aus der Hölle und rieben sich die Augen. Wie sie da hineingeraten waren, interessierte sie kaum. Der Schrecken war zu groß, ihn zu betrachten, zu nah für den kritischen Abstand. Sie blickten nach vorn, räumten auf und freuten sich des Lebens.

In der Luft hing der Geruch verbrannter Kohle. Kohle war der Treibstoff des Wiederaufbaus. Aus dem Ruhrgebiet kamen Kohlenzüge, aber selten voll beladen. Kohlenklau gehörte zu den Überlebenstechniken. Die Kohleration betrug 200 Pfund, zwei Zentner für den ganzen Winter. Im Winter 1947 fiel die Temperatur auf minus 28 Grad. Menschen erfroren oder starben an den Folgen einer Lungenentzündung. In den Krankenhäusern lagen die Zimmertemperaturen selten über zwölf Grad.

Ich hatte Glück. Wir hatten es warm. Aber es gab kaum eine Kinderkrankheit, die mich nicht erwischte. Windpocken, Mumps, Masern, Scharlach, Diphtherie, Keuchhusten. Wir Kinder wurden in Scharen durch die Holstenbrauerei geführt, weil die Luft dort gut sein sollte für unsere angegriffenen Bronchien. Wegen einer Hilusdrüsen-Tbc verbrachte ich drei Monate meines jungen Lebens im Luftkurort Großhansdorf.


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  mare No. 72

No. 72Februar / März 2009

Von Emanuel Eckardt und Herbert Dombrowski

Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, geboren in Hamburg, ist studierter Grafiker und Illustrator und arbeitete als freier Karikaturist, bevor er sich dem Journalismus zuwandte. Er war zwölf Jahre Reporter für den stern und erhielt 1981 den Egon-Erwin-Kisch-Preis für seine Reportage über die Konzertreise der Berliner Philharmoniker mit Herbert von Karajan nach Japan. Er war Stellvertretender Chefredakteur bei Geo und gemeinsam mit Wolf Thieme Chefredakteur von Merian, entwickelte Geo-Saison und Amadeo, das Musik-Magazin des stern.

Herbert Dombrowski wurde 1917 in Hamburg geboren und begann schon als Schüler zu fotografieren. Bereits 1936 wurde sein Bild von der SS St. Louis, die der damals 19jährige mit einer gebrauchten Leica im nächtlichen Hamburger Hafen fotografiert hatte, Titelbild der Zeitschrift Reclams Universum. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges begann Herbert Dombrowski als Berufsfotograf zu arbeiten.

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Vita Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, geboren in Hamburg, ist studierter Grafiker und Illustrator und arbeitete als freier Karikaturist, bevor er sich dem Journalismus zuwandte. Er war zwölf Jahre Reporter für den stern und erhielt 1981 den Egon-Erwin-Kisch-Preis für seine Reportage über die Konzertreise der Berliner Philharmoniker mit Herbert von Karajan nach Japan. Er war Stellvertretender Chefredakteur bei Geo und gemeinsam mit Wolf Thieme Chefredakteur von Merian, entwickelte Geo-Saison und Amadeo, das Musik-Magazin des stern.

Herbert Dombrowski wurde 1917 in Hamburg geboren und begann schon als Schüler zu fotografieren. Bereits 1936 wurde sein Bild von der SS St. Louis, die der damals 19jährige mit einer gebrauchten Leica im nächtlichen Hamburger Hafen fotografiert hatte, Titelbild der Zeitschrift Reclams Universum. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges begann Herbert Dombrowski als Berufsfotograf zu arbeiten.
Person Von Emanuel Eckardt und Herbert Dombrowski
Vita Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, geboren in Hamburg, ist studierter Grafiker und Illustrator und arbeitete als freier Karikaturist, bevor er sich dem Journalismus zuwandte. Er war zwölf Jahre Reporter für den stern und erhielt 1981 den Egon-Erwin-Kisch-Preis für seine Reportage über die Konzertreise der Berliner Philharmoniker mit Herbert von Karajan nach Japan. Er war Stellvertretender Chefredakteur bei Geo und gemeinsam mit Wolf Thieme Chefredakteur von Merian, entwickelte Geo-Saison und Amadeo, das Musik-Magazin des stern.

Herbert Dombrowski wurde 1917 in Hamburg geboren und begann schon als Schüler zu fotografieren. Bereits 1936 wurde sein Bild von der SS St. Louis, die der damals 19jährige mit einer gebrauchten Leica im nächtlichen Hamburger Hafen fotografiert hatte, Titelbild der Zeitschrift Reclams Universum. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges begann Herbert Dombrowski als Berufsfotograf zu arbeiten.
Person Von Emanuel Eckardt und Herbert Dombrowski