… halb sank er hin

Goethe war hingerissen von den Abenteuern seines weltreisenden Zeitgenossen Alexander von Humboldt und dessen Südamerikaberichten. Am liebsten wäre der Dichter wohl selbst gereist, aber es blieb bei sichere­ren Kopfreisen im heimischen Weimar

Seele des Menschen, wie gleichst du dem Wasser!“ Auslöser für diesen Vers und sein Gedicht „Gesang der Geister über den Wassern“ ist der Staubbachfall, der zweithöchste Wasserfall der Schweiz. „Es ist ein sehr erhabener Gegenstand“, schreibt Johann Wolfgang von Goethe fasziniert während seiner zweiten Schweizer Reise Ende 1779 an Charlotte von Stein. Das Wasser stürzt vom Himmel herab und steigt mit seiner nebligen Gischt wieder zu ihm empor: ein ewiger Wechsel, der den Kreislauf der Reinkarnation andeutet. Den Rheinfall von Schaffhausen, den größten Wasserfall Mitteleuropas, besucht er während seiner drei Schweizer Reisen sogar viermal. Schließlich sieht er in ihm die Quelle des Ozeans, die Mutter der Meere.

Dem Wasser spricht er große Kraft zu. Die Erde als Regenmacherin kann die Welt ertränken oder austrocknen. Als Neptunist ist Goethe überzeugt, dass die Welt durch das Zurückgehen der Wasser entstanden ist (mare No. 29). Die Vulkanisten mit ihrer Theorie der Erdentstehung aus Feuer lehnt er vehement ab. Diese Auffassung ist ihm viel zu revolutionär. Es sei allein den Ozeanen zu verdanken, dass die Meeresanwohner in gemäßigtem Klima aktiver und produktiver sind als die Bewohner im Landesinnern.

Bei dieser starken Affinität zu Wasser, zu Flüssen und Meeren ist Goethes Hang zur Witterungs- und Wolkenkunde, zur Astronomie verständlich. Schließlich ist er ja auf seiner ersten Italienreise bei seiner Rückkehr von Sizilien nach Neapel wegen widriger Winde fast auf den Felsen vor Capri gestrandet. Der Mondwechsel führt bei ihm zu körperlichem Missbehagen, und das Fehlen der Sonne, die er heiß verehrt, deprimiert ihn und lässt ihn Fehler begehen. Die Mondfantasien des Astronomen Franz von Paula Gruithuisen, der auf dem Mond Menschen und sogar ganze Städte entdeckt haben wollte, beschäftigen ihn derart, dass er sie an seinen Herzog Karl August weiterschickt.

Goethes häufige Beschäftigung mit Schifffahrt, wie dem Bremer Hafenausbau, dem Welthandel und den geplanten großen Kanalbauten, allen voran der des Panamakanals, erzeugt Reiselüste. Den Durchstich durch den mittelamerikanischen Isthmus will er selbst unbedingt sehen und erfahren. „Dieses möchte ich erleben, aber ich werde es nicht“, meinte er 1827 zu seinem Vertrauten, dem Dichter Johann Peter Eckermann. Und weiter: „Zweitens möchte ich erleben, eine Verbindung der Donau mit dem Rhein hergestellt zu sehen. … Und drittens möchte ich die Engländer im Besitz eines Kanals von Sues sehen. Diese drei großen Dinge möchte ich erleben, und es wäre wohl der Mühe wert, ihnen zuliebe es noch einige fünfzig Jahre auszuhalten.“ Dahinter steht Goethes Zug zur Weltläufigkeit, sicher auch die Freude, die ihm seine Naturbetrachtungen bescheren, hielt er doch die Natur zunächst für ein neckisches Mädchen und bezeichnet sie später mit zunehmendem Alter als Mutter.

Seine glühende Begeisterung für das Kanalprojekt lässt ihn auch die Globalisierung vordenken. „Wie durch Schnellposten und Dampfschiffe rücken auch durch Tages-, Wochen- und Monatsschriften die Nationen mehr aneinander, und ich werde meine Aufmerksamkeit besonders auch auf diesen wechselseitigen Austausch zu wenden haben.“ Das tut er auch und diskutiert mit seinem Freund Eckermann die Bedeutung des Panama- und Sueskanals für den Welthandelsverkehr. Für den prophezeit er einen riesigen Aufschwung, mit der Entstehung von bedeutenden Handelsstädten längs der Pazifikküste, die besonders den Verkehr zwischen China, Ostindien und den Vereinigten Staaten fördern würden. Kurz, für den Kommunikator, Globalisator und Neptunisten Goethe hatte der Panamakanal höchste Priorität.

Goethe beschäftigt sich ausführlich mit seinen reisenden Zeitgenossen. „In ferne Regionen versetzen uns die Zeichnungen zu des Prinzen von Neuwied Durchlaucht brasilianischer Reise.“ Aber nicht nur diese Bilder begeistern Goethe. Nach der Lektüre von Carl Friedrich Philipp von Martius’ berühmtem Werk über Palmen in Brasilien fühlt er sich „anwesend, einheimisch und in anmutiger Gesellschaft“, ja, er will sogar nach Südamerika auswandern, empfindet sich aber zu alt dazu. Ganz besonders wichtig werden für ihn und seine Gedankenreisen in die Neue Welt seine persönlichen Kontakte zu den großen Reiseforschern seiner Zeit.

Georg Forster ist einer der ersten Forschungsreisenden, den Goethe trifft. Forster, der mit James Cook auf dessen zweiter Reise Tahiti und die Südpolargegenden erreicht hatte, öffnet ihm den Blick auf die Südsee. „Viel gefragt und viel geschwatzt“, so kommentiert Goethe seinen ersten Kontakt mit Forster im September 1779, an dem auch sein Herzog Karl August inkognito teilnimmt.


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mare No. 109

No. 109April / Mai 2015

Von Dieter Strauss

Der promovierte Germanist und Historiker Dieter Strauss, Jahrgang 1942, arbeitete auf vier Kontinenten in sieben Ländern 33 Jahre lang für das Goethe-Institut und lebt heute als Autor, Referent und Ausstellungsorganisator in München. Er wiederholte die Bra- silienexpedition Georg Heinrich von Langsdorffs, veröffentlichte darüber den Grünen Baron (Peter Lang, Frankfurt/M., 2012) und befuhr den Panamakanal auf einer Frachterreise von Valparaíso nach Hamburg.

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Vita Der promovierte Germanist und Historiker Dieter Strauss, Jahrgang 1942, arbeitete auf vier Kontinenten in sieben Ländern 33 Jahre lang für das Goethe-Institut und lebt heute als Autor, Referent und Ausstellungsorganisator in München. Er wiederholte die Bra- silienexpedition Georg Heinrich von Langsdorffs, veröffentlichte darüber den Grünen Baron (Peter Lang, Frankfurt/M., 2012) und befuhr den Panamakanal auf einer Frachterreise von Valparaíso nach Hamburg.
Person Von Dieter Strauss
Vita Der promovierte Germanist und Historiker Dieter Strauss, Jahrgang 1942, arbeitete auf vier Kontinenten in sieben Ländern 33 Jahre lang für das Goethe-Institut und lebt heute als Autor, Referent und Ausstellungsorganisator in München. Er wiederholte die Bra- silienexpedition Georg Heinrich von Langsdorffs, veröffentlichte darüber den Grünen Baron (Peter Lang, Frankfurt/M., 2012) und befuhr den Panamakanal auf einer Frachterreise von Valparaíso nach Hamburg.
Person Von Dieter Strauss