Haifischbar

Der Raubfisch als Chiffre für das Wilde und Ungezähmte: ein Zug durch Bars, die mit Verruchtheit locken

Frau Tenger ist die, die das Licht ausmacht, in der Früh um halb fünf, und die Tür abschließt. In Zürich, in der Mühlengasse, 15 Schritte vom Limmatquai. Was auf Schildern in die Nacht hinausstrahlte, steht nun stumpf im Dämmer: Haifisch Non Stop Girls Girls Girls + Attraktionen Life Neu Offen bis 4 Uhr Free Admission. In der Haifischbar, ja in der Haifischbar, da ist es wunderbar, sagt das Lied. Jetzt mag die Sonne aufgehen und der Tag Erholung spenden.

Frau Tenger ist seit 32 Jahren dabei. Erst als Kellnerin, später als Vertreterin der Chefin. Und der Spanier, der Mann im Haus für alle hausmeisterlichen Belange, der Spanier sei auch schon 30 Jahre dabei, sagt Frau Tenger, die Schweizerin, und er könne noch immer kein Deutsch. Langer Atem im Zürcher Haifischbusiness, ein Bollwerk der Kontinuität: Als Käpten Jo alias Herr Schupp seine Fischbar vor fast vier Jahrzehnten gegründet hatte, muss sie schon so ausgesehen haben wie jetzt. Geballte Behaglichkeit und philiströser Biedersinn der Sechziger haben sich, wie unter Plexiglas versiegelt, auf wundersame Weise bis ins heutige Internet-Ambiente gerettet. Die Rüsche lebt. Maritim behauchte Girlanden voller Glaube-Liebe-Hoffnung: verschlungene Anker, fischmäulig sich spreizende Lippen – klick mich. Warum pflücken Menschen ihr Glück an traurigen Orten?

Heute ist kein Tag zum Traurigsein, singt jemand vom Band. Liebe Gäste, spricht jemand in ein Mikrofon, wir präsentieren Ihnen Evelyn. Dann zieht einer den Vorhang weg von der kleinen Bühne, und ein russisches Mädchen in Plateauschuhen zieht sich aus. Oder ein lettisches; oder ein tschechisches. Hauptsache, aus – bis auf die Plateauschuhe. Evelyn habe früher im Zirkus gearbeitet und eine Nummer mit 20 Hula-Hoop-Reifen beherrscht, erzählt Frau Tenger. Sie ist der leibhaftige Trost, mit herbergsmütterlicher Erdverbundenheit ordnet sie Mädchen und Dinge. Aber Evelyns Hula-Nummer ist hier nicht gefragt. Im Vertrag steht: ausziehen und zeigen und stehen bleiben, bis der Vorhang fällt. Ihr seid professionelle Tänzerinnen, und darum verlange ich das auch.

Abgesehene Bewegungen, absehbare Posen, Laszivitätsnachahmung aus dem standardisierten Gestenrepertoire. And now from Ukraine the beautiful and charming Miss Marcella. Der Abdeckstift ist schwach geworden, und am Ende ist das Tattoo ein Muttermal gewesen. Wenn bloß die Mütter nie erfahren, was Marcella, Evelyn und Ilona hier im güldenen Westen tun. Aber wissen Mütter nicht eh immer ganz genau, wo das Geld herkommt, und hüten sich nur, Fragen zu stellen?

Das Geld kommt, weil am Ende für eine halbe Sekunde ein in Form frisierter Streifen unblondierten Schamhaars von der Bühne winkt, bis der Vorhang fällt. Es sei denn, der Mann, der am Vorhang die Strippe zieht, will die jungen Frauen strafen dafür, dass er zu alt für sie ist. Ich bin als Uwe der Ficker bekannt. Mag sein, er war es. Er komme aus Hamburg ursprünglich. Sei Gebäudereiniger gewesen. Habe später 15 Jahre lang vor Publikum kopuliert. Erst mit seiner Frau, dann zunehmend gegen sie. Wie leicht das Geld zu verdienen war, so viel Geld! Aber irgendwann sei alles weg gewesen, alles vorbei: der Mercedes, die Frau, die Schwellkörper. Heute nun macht er hier den Vorhangzieher und den Ansager und den Antreiber.

Ach, wäre es schön gewesen in der Zürcher Haifischbar, nur die Frau Tenger kennen gelernt zu haben. Die möchte am Ende das eine noch wissen: Heißt das draußen in Deutschland wirklich Fruunslüt auf den Türen der Damentoiletten? Oder hat sich das unser Käpten Jo nur ausgedacht? „

Die Mutter aller Haifischbars ist in Hamburg zu finden. An der Elbe. Zwischen Fischmarkt und Autostrich. Neben dem Seemannsheim Altona. Wo der Hai in die Nacht leuchtet, was Zapfhahn und Bedienung hergeben: Astra, Jever, Asbach. Davor auf der Straße führt ein Wachmann Schäferhunde aus, sind drei Kiribati-Männer sehr betrunken, hat Vanessa aus Itzehoe ihren Polo abgestellt und sich davor gestellt, vor ihren Polo, in dessen Tür sie ein Vanessa-Nummernschild gestellt hat; und da steht sie nun hinter dem Fischmarkt und hat eine Brust raushängen und keiner beißt an. Matrosen aus Kiribati – was geht ab?

Wer schon mal in Hamburg war, kam gern in die Haifischbar! steht im Fenster. Deutsche Küche von 11:00 bis 3:00. Nichts wie rein, das ist doch was: deutsch, warm und durchgehend bis früh um drei. Das ist doch fast wie früher! Ein bisschen Zähne zeigen, ein bisschen Ärsche kneifen, ein bisschen saufen, knutschen, singen, sabbeln, Heimspiel haben. Junge, komm bald. Wieder und wieder. Vielleicht ist das das Geheimnis der Haifischbar: dass es in ihr so einfach ist, wie es früher war, was keiner mehr kennt, aber alle wollen. Draußen tragen die Männer von Kiribati ihre kleinen Bierflaschen durch die Nacht und kichern wie die Mädchen, zu denen zu finden sie nicht mehr in der Lage sind. Vanessa aus Itzehoe packt ihre Brust wieder ein und steigt in den Polo. In der Haifischbar ist heut was los, sagt das Lied. Und die Stimmung ist mal wieder riesengroß, sagt das Lied.

In der Fischmarktnacht kommen die Polster von den Bänken, kommen die Decken von den Tischen. Frei liegen Kerben und Brandmale – tiefste resopalige Ehrlichkeit und Aufforderung zur Befleckung. Gut, dass der blinde Hermann sein Schifferklavier hat. Juanita heißt das Mädchen. Keine Angst, Rosmarie. Schenk mir dein Sparkassenbuch. Monika zwo drei vier. In der Fischmarktnacht tänzeln Coburger durch die Haifischbar. Heimatlos sind viele auf der Welt. In der Fischmarktnacht trägt Frau Renate hinter der Theke für solche Touris das Finkenwerder-Hemd und ist gut vorbereitet: Man muss hier einen gewissen Pegel haben. Auch um die Coburger hinnehmen zu können. Oberfranken-Pegel und Oberfranken-Phlegma am frühen Sonntagmorgen: Schwer verzückte Coburger singen, sie gingen nun drei Tage nicht mehr nach Hause. Folgt der Gipfel der Zuneigungsausschüttung: Ich liebe euch so, wie ich bin. In der Fischmarktnacht strecken verzückte Coburger ihre Unterleiber der blondierten Chinesin im Spaghettihängerchen entgegen, die nicht Vanessa heißt und auch nur in Ruhe ihre Biere schütten will. Wo reimt sich immer Shanghai auf Hawaii auf Bombay auf Hai? Vielleicht ist das das Geheimnis der Haifischbar: dass massige Leiber zu des blinden Hermanns La Paloma ins Schweben geraten.

Warum Haifischbar? Warum nicht Walfischbar? Goldfischbar, Goldbarschbar, Dorschbar – Buttbar! Der Haifisch hat Zähne. Der Walfisch hat Bauch. Der Hai verschlingt zerreißend, ist das alles verdauende Monster – bis auf das Unverdauliche, das wir von Zeit zu Zeit und von Grusel geschüttelt im Wanste der Kreatur finden dürfen: Holzbeine, Kunststoffhüften oder Kniegelenke aus Metall.

Der Wal hingegen, der Wal verschlingt beschützend – in seinem Bauch wird überlebt, herrscht konservierende Geborgenheit, feilt Jonas an seinen Predigten. Im Bauch des Hais niemals. Aber warum wählen wir unser Wohnzimmer im Zeichen der Bestie? „

Papenburg, Emsland: Das ist doch mal ein schönes Städtchen, ein in die Länge gezogenes Idyll, an schmalen Kanälen aufgereiht, zur Oase verkehrsberuhigt. Und mittenrein viele alte Schifflein gestellt; die sind festgenagelt im Wasser zwischen den Brücklein und kommen nie mehr hinaus aufs Meer. Plötzlich in einer gepflegten Seitenstraße: statt Vorgarten ein Bretterzaun. So hoch, dass man unterhalb der Pubertät nicht darüber schauen kann. Doch wer dann kann, sieht auch nichts. Nur heruntergelassene Rollläden. Ein Wohnhaus, verrammelt. Aber über der Tür, da steht: Haifischbar. Mit Haifisch. Nicht mehr ganz komplett.

Eine kleine Küche, in der wir hier am Wachstuch sitzen. Eine Bosch-Geschirrspülmaschine. Eine Moulinex-Mikrowelle. Eine Bauknecht-Dunstabzugshaube zwischen zwei Hängeelementen mit Eiche-rustikal-Furnier. Auf der Kommode Büchsen mit Nahrung für den heimwerkenden Körperbildner: US-Importe mit Kraftfutter in großen Dosen. Vitali sieht so aus, wie er heißt. Aus den Ärmelchen seines eleganten Boss-Polohemds hängen ungeheure Muskelsäcke. Ein Frauenarm ragt durch den Türspalt in die Küche und greift sich einen Schlüssel vom Schlüsselbrett.

Im Grunde genommen ist das so, sagt Vitali mit dem Akzent des spät ausgesiedelten Russlanddeutschen, und die Ärmelchen müssen endlich platzen, es ist so, dass die Leute kommen und gehen. Die halten sich in unserem Gewerbe nicht zu lange auf. Man erledigt seine Sachen, und dann geht man weiter. Ich sag mal so: Jeder weiß, warum er hier ist und mit was das im Endeffekt endet. Und wenn sich einer selber eine Illusion gemalt hat und bisschen zu weit gegangen ist, klar, dann versucht der, seine Enttäuschung nach außen zu bringen: „Ich habe gedacht, das wäre Liebe.“ Vitali kennt seine Papenburger. Und seine Kosovo-Albaner. Und seine Meyer-Werft-Türken. Ein Frauenarm ragt durch den Türspalt in die Küche, hängt einen Schlüssel an das Schlüsselbrett und wirft ein Kleenex-Geknülle in den Müllsack.

Drei Frauen lagern im Sofa und hören Disco-Mäßiges mit Texten in ihrer Heimatsprache. Russisch? Die wohnten jetzt einfach bei ihm, oben in den Zimmern, auf Besuch, Touristinnen. Es steht ja auch hier unten schon Privat auf jenen Türen, die zu den Treppen, die nach oben führen, nach oben, wohin sie Männer leiten, hinauf, hinauf, zum Glanze empor, sie auffahren lassend gen Himmel, wo sie liegen unter der rechten und der linken Brust Mütterchen Russlands. Vielleicht ist das das Geheimnis der Haifischbar: in ihr Einsamkeiten wegstecken zu können. Papenburg bringt unseren Fisch auf den springenden Punkt: verschlingen und versorgen. Der Wal im Hai. Zwei Rücken, ein Leib, ganz einfach.

Hier ist der Schwanz abgebrochen. War ein kleines Handgemenge vor der Tür. Weg der Schwanz seitdem. Haifischbar Papenburg Schwanzbruch. Besteht fast nur noch aus Kiefer, der Hai. Sah so gut aus, vorher – mit Schwanz komplett. Aber jetzt? In Berlin natürlich, da gehst du in ein Geschäft und sagst: Was können wir machen mit dem Haifischschwanz? Und die sagen: Kein Problem, machen wir, gib her, du kriegst einen Neuen, haben wir im Computer. Nicht aber in Papenburg. Schafft hier keiner, kann keiner, macht keiner. Seit zwei Jahren kein Schwanz mehr am Haifisch über der Tür zur Bar in Papenburg. „


In Berlin, mitten im Kreuzberg der Besserverdienenden, wo die Nostitzstraße von der Bergmannstraße sich Richtung Chamissoplatz hinaufbohrt, steht der Bau mit besagter Bar. Wenn man noch weit weg wäre von dieser Fassade, auch noch nie dort gewesen wäre, man wüsste trotzdem schon: Da hinten am Horizont, das muss sie sein! Und würde sich vorfreudig sagen: Donnerwetter! Denn was du als Erstes siehst, drei dicke, satte, fette Rotlichtleuchtebuchstaben: B, A und R – das ist einfach ziemlich gut.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 43. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 43

No. 43April / Mai 2004

Von Peter Schanz und Heike Ollertz

Heike Ollertz ist Leiterin der Fotoabteilung des Lettevereins in Berlin. Da sie im Hafenviertel von Hamburg aufwuchs, war der Besuch der Haifischbar für sie gewissermaßen ein Heimspiel.

Peter Schanz lebt als freier Autor auf Fehmarn. Der Vollständigkeit halber wird Schanz die Forschungsreise verlängern: Stationen sind Burg auf Fehmarn, Dorsten-Harvest und Norderney.

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Vita Heike Ollertz ist Leiterin der Fotoabteilung des Lettevereins in Berlin. Da sie im Hafenviertel von Hamburg aufwuchs, war der Besuch der Haifischbar für sie gewissermaßen ein Heimspiel.

Peter Schanz lebt als freier Autor auf Fehmarn. Der Vollständigkeit halber wird Schanz die Forschungsreise verlängern: Stationen sind Burg auf Fehmarn, Dorsten-Harvest und Norderney.
Person Von Peter Schanz und Heike Ollertz
Vita Heike Ollertz ist Leiterin der Fotoabteilung des Lettevereins in Berlin. Da sie im Hafenviertel von Hamburg aufwuchs, war der Besuch der Haifischbar für sie gewissermaßen ein Heimspiel.

Peter Schanz lebt als freier Autor auf Fehmarn. Der Vollständigkeit halber wird Schanz die Forschungsreise verlängern: Stationen sind Burg auf Fehmarn, Dorsten-Harvest und Norderney.
Person Von Peter Schanz und Heike Ollertz