Hägars Hufe

Islands Pferde sind von kleinem Wuchs – aber Riesen, wenn es darum geht, schweres Terrain zu meistern. Ohne die Ponys wäre es den Wikingern nie gelungen, die Insel zu besiedeln

Auf der Flucht vor dem norwegischen König Schönhaar erreichten die ersten Wikinger um das Jahr 870 die Küsten Islands. Von der Insel unter dem Polarkreis war damals nur wenig bekannt. Sie war vorher von einigen Eremiten und Siedlern aufgesucht worden. Einer von ihnen, Flóki Vilgerdarson, hatte ihr frustriert den Namen Eisland gegeben.

Nun versuchten die Wikinger ihr Glück in den froststarren Weiten. Von den Holzplanken ihrer Schiffe polterten Pferde, die sie von ihren Reisen nach England und Irland mitgebracht hatten. Unter ihnen war die junge Stute Fluga, „Fliege“. Als sie im Norden der Insel festen Boden unter den Hufen spürte, nahm sie Reißaus.

Fluga ist das erste namentlich erwähnte Pferd im „Landnámabók“, so heißt die wichtigste Chronik der Isländer, und dass Fluga dort erwähnt ist, belegt, wie existenziell wichtig Pferde für die neuen Landnehmer waren. Unmöglich, die reißenden Gletscherflüsse und wasserlosen Steinwüsten allein zu Fuß mit Hab und Gut zu durchqueren. Und obwohl Fluga sich davongemacht hatte und die Aussicht nur vage war, das Tier in den fremden Weiten je wiederzufinden, zahlte ein Siedler an den Pferdebesitzer im Voraus einen hohen Preis.

In einem Land ohne Wege und Brücken lastete alles auf dem Rücken der Pferde. Auf ihnen wurde eilig die Hebamme über den Gletscher zum abgelegenen Fjord gebracht. Sie schleppten den Fang der Fischer, die Waren der Handelsschif-fe, wertvolles Treibholz, Kirchenbänke, ja ganze Boote, am Ende auch den Sarg. Auch in der Mythologie des Nordens, in Sagen und Erzählungen wirken sie als die großen Beweger. Neben den Göttern ist selbst der Tod beritten. Hrímfaxi/Reifmähne, der Hengst der Nacht, zaubert jeden Morgen mit dem Schaum seines Gebisses Tau auf die Erde. Der Hengst des Tages, Skinfaxi/Leuchtmähne, bringt das Licht. Árvakur/Frühwach und Alsvinnur/Allgeschwind ziehen den Sonnenwagen.

Bis heute sind Pferdenamen Glücksbringer auf allen Wegen, zu Luft, zu Wasser, zu Land. Hestur svanfjalla/Pferd der Schwanenberge oder Barúfákur/Wellenross heißt so manches Schiff. Gullfaxi/Goldmähne tauften die Isländer ihr erstes Düsenflugzeug. Symbolische Pferdestärke war ebenfalls bei der letzten Reise jedes Nordmanns geboten. Bis zum Beginn der Christianisierung, um das Jahr 1000, wurden bei Bestattungen jedem Isländer oft zwei Pferde ins Grab mitgegeben, denn um ins Jenseits zu gelangen, brauchte es „zwei zum Ritte“, so die Sitte.

Nichts traf einen Isländer härter, als ihm das Pferd wegzunehmen. So erging 1269 die bischöfliche Anordnung, schwere Sünder dürften weder eine Kirche betreten noch ein Pferd reiten. Allein, das Fleisch ist schwach. 766 wurde Pastor Ólafur Gíslason angeklagt, eine Kanne vom Altar seiner Kirche gestohlen, eingeschmolzen und zu Kandaren und Sattelschnallen gegossen zu haben.

Früher ritten die Isländer mit ihren Pferden zum „kaupstaður“, wie die Handelsplätze an der Küste hießen. Dort boten sie ihre Waren an, Bauholz, Getreide und Lebensmittel, manchmal auch Pferdefleisch als Haifischköder. Zurück zum heimatlichen Hof trugen die Pferde Klippfisch, der in dicken Bündeln an den Seiten der Tiere hing. Oder auch Treibholz. Das Strandgut wurde bis ins 20. Jahrhundert hinein von den Küsten als Baumaterial geholt. Ganze Wälder hatten Russlands Flüsse in das Meer und an die Strände Islands geschwemmt. Holz, das auf der Insel nicht mehr wuchs. Obwohl Island bei der Ankunft der ersten Siedler noch „von den Bergen bis zum Meer“ bewaldet war, wie es im „Landnámabók“ heißt, brauchte es nicht lange, bis alles abgeholzt war.

„Man sah auf den Höfen des Ísa-fjarðardjúp, des größten Fjordes in Westisland, kaum einen Balken oder ein Brett, das nicht vom Treibholz jenseits des Gletschers Drangajökull gewonnen worden war, welches die Pferde den langen, gefährlichen Weg herangeschafft hatten“, beschrieb der Chronist Einar Gudmunðsson. Noch heute sind Splitter auf den Pfaden zu finden, auf denen die Pferde Balken über den Gletscher schleiften.

Die Treibholzkäufer schichteten Torf auf den Packsattel und stopften Heu in die Sattelkissen, damit das Holz die Flanken der Tiere nicht wund scheuerte. Doch die Wikingerponys waren hart im Nehmen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden sie auf Schiffen zusammengepfercht und nach England verschickt. Dort sollten sie als Karrengäule im Dunkel der Kohlegruben schuften.


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mare No. 66

No. 66Februar / März 2008

Von Dana Trenkner und RAX

Dana Trenkner, Jahrgang 1976, lebt als freie Autorin in Berlin. Sie sammelt Geschichten in aller Welt und sucht diese am liebsten im freien Gelände. In Island fand sie Pferde, die wie ihre Reiter sind: archaisch, schrullig, draufgängerisch, liebenswert. Eines von ihnen darf sie seit 15 Jahren durchfüttern.

RAX, alias Ragnar Axelssohn, Jahrgang 1958, ist einer der bekanntesten Fotografen Islands. Er dokumentiert seit vielen Jahren das Alltagsleben der Isländer außerhalb der Städte. Seine Milieustudien von Bauern, Jägern und Fischern zeigen, wie verbunden Isländer und Pferde noch sind.

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Vita Dana Trenkner, Jahrgang 1976, lebt als freie Autorin in Berlin. Sie sammelt Geschichten in aller Welt und sucht diese am liebsten im freien Gelände. In Island fand sie Pferde, die wie ihre Reiter sind: archaisch, schrullig, draufgängerisch, liebenswert. Eines von ihnen darf sie seit 15 Jahren durchfüttern.

RAX, alias Ragnar Axelssohn, Jahrgang 1958, ist einer der bekanntesten Fotografen Islands. Er dokumentiert seit vielen Jahren das Alltagsleben der Isländer außerhalb der Städte. Seine Milieustudien von Bauern, Jägern und Fischern zeigen, wie verbunden Isländer und Pferde noch sind.
Person Von Dana Trenkner und RAX
Vita Dana Trenkner, Jahrgang 1976, lebt als freie Autorin in Berlin. Sie sammelt Geschichten in aller Welt und sucht diese am liebsten im freien Gelände. In Island fand sie Pferde, die wie ihre Reiter sind: archaisch, schrullig, draufgängerisch, liebenswert. Eines von ihnen darf sie seit 15 Jahren durchfüttern.

RAX, alias Ragnar Axelssohn, Jahrgang 1958, ist einer der bekanntesten Fotografen Islands. Er dokumentiert seit vielen Jahren das Alltagsleben der Isländer außerhalb der Städte. Seine Milieustudien von Bauern, Jägern und Fischern zeigen, wie verbunden Isländer und Pferde noch sind.
Person Von Dana Trenkner und RAX