H8, bitte melden!

„The deadliest dinner“: Ein Restaurantbesuch auf einer Insel in Grönlands Diskobucht birgt sehr spezielle Risiken

An einem schön gedeckten Tisch sitzen und die Früchte der Natur genießen, während die Eisberge vorüberziehen. Das grönländische Fremdenverkehrsamt hat in den Küstenort Ilulissat geladen. Das Programm verspricht ein kulinarisches Erlebnis, das Sie nirgendwo sonst auf der Welt finden.

Das Restaurant „H8“ liegt ein bisschen außerhalb, um nicht zu sagen, 20 Kilometer entfernt auf einer Insel in der Diskobucht. Sie ist im Winter nur per Hundeschlitten erreichbar. Danach schmeckt es im H8 sicherlich noch mal so gut! Der Name H8 stammt aus dem Zweiten Weltkrieg. Damals malten die Amerikaner Zeichen auf grönländische Dächer, nach denen die Piloten navigieren konnten.

Schnell in Eisbärfell gemummelt und los. Wir erleben Sonne und Schnee, Hitze und Kälte, Stürme und Stille. Wir erfreuen uns an dem funkelnden Tanz der Nordlichter und lassen uns von Mythos und Maskentanz verzaubern. Um uns senkt sich weißer Nebel. Es schneit. Aber: Wir reisen mit erfahrenen Schlittenhundeführern. Wir statten sie mit Satellitentelefonen aus auf Trips, die länger als einen Tag gehen. Doch so wild wird es heute nicht. Zweistündige Schlittentour. Eine gute Einführung, um ein Gefühl zu bekommen.

Mein Führer heißt Klaus Rasmussen, halb Däne, halb Inuit. Mit vier anderen Schlittenteams machen wir uns im Blindflug auf. Ein Stück über Land, vorbei an schönen schneegezuckerten Bergen, dann aufs Meer zur Insel. Doch das Panorama hält sich bedeckt. Um überhaupt etwas in dem Schneetreiben zu erkennen, braucht es von der Kreativität und Fantasie, die unter grönländischen Kochmützen blüht.

Bald hören wir die Hunde hinter uns nicht mehr hecheln. „Die anderen sind bestimmt schon auf dem Meer. Ich weiß eine Abkürzung“, sagt Klaus. „Wenn du die anderen siehst, gib Bescheid.“ Nach 30 Minuten schaut sich Klaus wieder um. „Wenn du irgendetwas siehst, gib Bescheid. Da müsste Land sein.“ Er zeigt ins Weiße. Er ändert noch ein paar Mal die Richtung, schließlich stoppt er. „Wir sind verloren gegangen.“ Er lächelt verlegen. Bei Schneetreiben legen sich die Hunde einfach hin und warten auf besseres Wetter, sie frieren nicht, selbst wenn nur die Schnauze aus dem Schnee herausschaut. Wir können nicht warten. Wir haben kein Zelt. Wir haben keinen Primuskocher. Wir haben kein GPS. Wir sind mitten in der Natur. Nahe an kalbenden Gletschern und kolossalen Eisbergen. Seehunde, Wale und Eisbären leisten uns Gesellschaft.

„Ganz ruhig bleiben“, sagt Klaus, „keine Sorge. Wir werden heute Abend wahrscheinlich wieder zu Hause sein.“ Wahrscheinlich? Sobald Sie Ihren ersten Atemzug frischer eiskalter Luft mit den schneebedeckten Bergen im Hintergrund eingesogen haben, fühlen Sie es: Grönland geht Ihnen direkt unter die Haut. Eine meditative Stille breitet sich in Körper und Seele aus, und alle Ihre Sinne werden wach. Tatsächlich, Klaus bekommt einen anderen Blick. Der „Wetterkundler“ übernimmt. Hand am Kinn, hebt er seinen Kopf in den Himmel. „Halbe Stunde“, verkündet er, „halbe Stunde, dann ist alles wieder klar.“ Zwei Stunden später, in denen wir fahren, warten, fahren, warten, hat der Sturm noch zugenommen. Zwischendurch wieder ferner Glanz in seinen Augen, schweifender Blick. „Da! Ein Berg! Land!“ Es ist ein festgefrorener Eisberg im Meer. Eis kann wie Wolken am Himmel die unglaublichsten Formen annehmen: hier ein paar trinkende Elefanten, dort eine kleine Robbe oder ein Eisbärchen und weiter entfernt ein U-Boot. Der Vorstellungskraft sind keine Grenzen gesetzt.

Nach einer Weile bekommt Klaus wieder einen anderen Blick. Einen fragenden. „Was sollen wir tun?“ Es ist unmöglich, sich hier gestresst zu fühlen – das Wetter kann sich zwar ändern und die Reisepläne umwerfen, aber das gehört mit zum Erlebnis. Wir suchen Schlittenspuren. Vielleicht führen sie an Land. Vielleicht aber auch weiter weg, weiter aufs Meer. Und wenn aufs Meer, vielleicht ins Wasser. Die Eisdecke ist nicht überall geschlossen. Hier können Sie Frieden für die Seele finden und die Dinge in einem anderen Licht betrachten. Zugang zum Internet ist jederzeit möglich, und das Mobilnetz ist besser als an manchen Orten in Europa. Irgendwann tauchen Hütten im Dunst auf. Die Küste. „Siehst du, hab ich doch gewusst. Land.“ Er lächelt. „Sobald du kein Land mehr siehst, musst du jetzt immer sagen: Klaus, da ist kein Land mehr.“

Und so bekommen wir doch noch die berühmten grönländischen Gerichte serviert, mit Respekt und Einfallsreichtum von begnadeten Köchen zubereitet. Wie versprochen, das kulinarische Erlebnis, das Sie nirgendwo sonst auf der Welt finden. Wenn man es findet.


Grönländisches Fischsandwich

(für vier Personen)

200 g Krabben, 400 g Heilbutt, 1 Kopfsalat, 2 Tomaten, 12 Scheiben Sandwichbrot, 250 g Mayonnaise, Kräuter. Krabben und Heilbutt dämpfen und in Stücke schneiden. Brot mit Mayonnaise
bestreichen. Mit Fisch, Krabben, Salat und Tomaten belegen, drei Schichten überein-
ander. Mit den Kräutern garnieren.

Restaurant H8
Rodebay, Ilulissat, Grönland, Telefon +299 948 585, E-Mail utaingo@greennet.gl, von März bis Oktober geöffnet; mit Anmeldung

mare No. 73

No. 73April / Mai 2009

Von Dimitri Ladischensky und Markus Bühler-Rasom

Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, seit September 2001 bei mare. Hat zuvor als Redakteur und Autor für Geo Saison gearbeitet. Studium der Germanistik, Geschichte und VWL in Freiburg, Kopenhagen und Berlin. Ausbildung auf der Deutschen Journalistenschule in München.

Fotograf Markus Bühler-Rasom, Jahrgang 1969, lebt im Zürcher Weinland. Seit 20 Jahren arbeitet er regelmäßig in Grönland. In den letzten Jahren konzentrierte er sich auf die Region Thule, wo er den Klimawandel und die Folgen für die Inuit dokumentiert.

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Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, seit September 2001 bei mare. Hat zuvor als Redakteur und Autor für Geo Saison gearbeitet. Studium der Germanistik, Geschichte und VWL in Freiburg, Kopenhagen und Berlin. Ausbildung auf der Deutschen Journalistenschule in München.

Fotograf Markus Bühler-Rasom, Jahrgang 1969, lebt im Zürcher Weinland. Seit 20 Jahren arbeitet er regelmäßig in Grönland. In den letzten Jahren konzentrierte er sich auf die Region Thule, wo er den Klimawandel und die Folgen für die Inuit dokumentiert.
Person Von Dimitri Ladischensky und Markus Bühler-Rasom
Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, seit September 2001 bei mare. Hat zuvor als Redakteur und Autor für Geo Saison gearbeitet. Studium der Germanistik, Geschichte und VWL in Freiburg, Kopenhagen und Berlin. Ausbildung auf der Deutschen Journalistenschule in München.

Fotograf Markus Bühler-Rasom, Jahrgang 1969, lebt im Zürcher Weinland. Seit 20 Jahren arbeitet er regelmäßig in Grönland. In den letzten Jahren konzentrierte er sich auf die Region Thule, wo er den Klimawandel und die Folgen für die Inuit dokumentiert.
Person Von Dimitri Ladischensky und Markus Bühler-Rasom