„Gute Brücken wehren sich gegen jede Dekoration“

Der Bau von Brücken über dem Wasser gilt als Königsdisziplin der Bauingenieure. In etlichen Grundformen und zahllosen Variationen, von denen manche jahrtausendealt sind, versuchen Baumeister seit je, Stabilität und Schönheit zu vereinen

Ingenieure nennen den Brückenbau ihre Königsdisziplin. Jedes andere Bauwerk steht fest auf der Erde. Brücken aber schweben frei, gestützt von wenigen Pfeilern. Ihre Gesamtlänge spielt eigentlich keine Rolle. Die entscheidende Größe ist ihre Spannweite, der Abstand zwischen zwei Pfeilern. Wie viele Meter Brücke kann man dazwischen aufhängen, ohne dass sie bricht?

Die einfachste Konstruktion ist die Balkenbrücke, sozusagen die Holzlatte über dem Graben oder über dem Bergbach. Ist das Brett zu dünn oder die Last zu schwer, bricht sie und man bekommt nasse Füße. Ist der Abstand zwischen den Ufern zu groß, hängt sie durch und ächzt unter ihrem Eigengewicht, bis sie einkracht.

Die alten Römer wählten deshalb für den Bau ihrer Aquädukte und Viadukte den Typ Bogenbrücke. Ein solcher Bogen trägt ohne Probleme sein eigenes Gewicht und das der Fahrbahn noch dazu. Doch auch der Bogen versagt, wenn die Spannweite zu groß ist. Besser eignen sich da Hängebrücken. Die archaische Variante besteht aus zwei zwischen den Ufern gespannten Halteseilen, an die ein drittes Seil angehängt wird. Auf dem balanciert man über den reißenden Fluss.

Man hat Dutzende von Meeresbrücken nach dem Hängebrückenprinzip gebaut, die Golden Gate Bridge zum Beispiel. Deren Tragseile halten Tausende von Tonnen. Will man größere Distanzen überwinden, wird die Hängebrücke zwischen mehreren Pfeilern, sogenannten Pylonen, aufgehängt. Eine solche Konstruktion kann fast beliebig lang sein. Das Limit ist auch hier die Spannweite: Je länger das Brückensegment zwischen zwei Pylonen, umso größer ist sein Gewicht – also die Masse der Stahlseile und der Betonfahrbahn – und umso weniger zusätzliche Last wie Lkws und Autos kann die Brücke tragen. Heute liegen die größten Spannweiten bei rund 1500 Metern. Doch es ist noch mehr drin.

Seit Jahrzehnten streiten italienische Politiker um den Bau einer Brücke über die Straße von Messina, die Meerenge zwischen dem Festland an der Stiefelspitze und Sizilien. Hier ist das Wasser tief und die Strömung besonders stark. Die Brücke soll sich deshalb in einem einzigen Bogen zwischen zwei gigantischen Pylonen von Ufer zu Ufer über die Meerenge schwingen. Die Spannweite würde rund 3400 Meter betragen.

Aber immer wieder erschüttern Erdbeben die Region. Eine schlanke lange Brücke, sagen Ingenieure, wäre besonders flexibel und würde unter den Stößen elastisch hin- und herschwingen. Wenn Brücken bei Beben einstürzen, geschieht das meist, weil die Erbauer sie falsch bemessen und die Stärke der Beben unterschätzt haben. Als 1989 in der Bucht von San Francisco die Erde zitterte, knickten Brückenpfeiler wie Streichhölzer um. In heutigen Betonkonstruktionen plant man Sollbruchstellen ein, der Beton platzt auf, bricht aber nicht – und kann oftmals sogar repariert werden.

Ob Sizilien tatsächlich seine Landanbindung bekommt, ist unklar. Zuletzt hatte sich Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi für das Prestigeprojekt, das mehrere Milliarden Euro verschlingen könnte, stark gemacht. Erfahrene Ingenieure halten solche Spannweiten allerdings für irrwitzig. Das Gewicht der Konstruktion, so die Argumentation, wäre so groß, dass Stahlseil- und Fahrbahnmasse allein vier Fünftel der Tragkraft der Pylone schlucken würden. Nur ein Fünftel bliebe für die Autos und Züge übrig.

Im Fall einer Fertigstellung wäre die Brücke nach Sizilien über dreieinhalb Kilometer lang, aber damit bei Weitem nicht die längste der Welt. Die Weltrekordhalterin zieht sich seit März 2008 durch die Bucht von Hangzhou in China. Sie verbindet den Ballungsraum Schanghai direkt mit der Industriestadt Ningbo am anderen Ufer und verkürzt die Reisezeit um mehrere Stunden. Als man die 36 Kilometer lange Meeresbrücke einweihte, schwärmten die Chinesen vom „schlafenden Drachen“, der sich gleich einem schwungvollen S über das Wasser schlängelt.

Nicht ganz so lang, aber nicht weniger imposant ist die Öresundbrücke zwischen Kopenhagen und der schwedischen Stadt Malmö. Wer sich im Kopenhagener Straßenverkehr ahnungslos Richtung Malmö einordnet und auf der Stadtautobahn in den Straßentunnel einfährt, ist erstaunt, wenn er wieder auftaucht. Der Tunnel endet mitten in der Ostsee auf der kleinen, künstlichen Insel Peberholm. Hier beginnt die Rampe der Öresundbrücke, die langsam ansteigt. An ihrer höchsten Stelle schwebt die Fahrbahn 55 Meter über dem Meer zwischen zwei schlanken Pylonen.

Der Blick reicht weit von dort oben. Am Tag leuchten in der Ferne die weißen Stelzen des Windparks Lillgrund, am Abend die Lichter von Malmö. Die Öresundbrücke ist eine nahe Verwandte der Hängebrücke, eine Schrägseilbrücke. Die Stahlseile hängen bei diesem Typ nicht einfach herab. Sie sind schräg zwischen Pylon und Fahrbahn verspannt.

Genau genommen besteht die ganze Brückenanlage aus drei Abschnitten: dem Tunnel, den man gebaut hat, damit die Brücke dem Flughafen von Kopenhagen nicht zu nah kommt, dem Schrägseilabschnitt in der Mitte und den Rampen, also den Vorbrücken zu beiden Seiten, die auf Betonpfeilern ruhen. Die Fahrbahn ist zweigeschossig. Auf die Betonpfeiler wurden Tröge aus schwerem Stahlfachwerk gesetzt, in denen zwei Bahngleise verlaufen. Darauf liegt die Stahlbetondecke für den Autoverkehr. Damit gilt die Öresundbrücke, noch ein Superlativ, mit ihren 7845 Metern als die längste kombinierte Straßen- und Schienenbrücke weltweit.

Schrägseilbrücken sind für diesen Kombiverkehr bestens geeignet, denn sie können die einseitige Last eines schweren Zuges besser dämpfen als gewöhnliche Hängebrücken. Ein fahrender Zug ist eine punktförmige Belastung. So wie eine Seilbrücke auf dem Spielplatz zu schaukeln anfängt, wenn ein Kind hindurchklettert, neigt auch eine Hängebrücke zum Schwingen, wenn der Zug herandonnert. Zwar ist sie auf beiden Seiten durch schwere Betonwiderlager mit dem Land verbunden und bewegt sich kaum. Unter dem Gewicht eines Zuges aber wären die horizontal verlaufenden Kräfte und Belastungen trotzdem enorm. Eine auf beiden Seiten der Pylone fest verspannte Schrägseilbrücke schluckt die Kräfte deutlich besser.

Fünf Jahre dauerte der Bau der Öresundbrücke, im Juli 2000 wurde sie dem Verkehr übergeben. Dass sie übers Meer führt, macht sie nicht anders als andere Brücken. Denn letztlich ist es egal, wo eine Brücke steht. Die Konstruktion ist im Wasser dieselbe wie an Land. Die größte Gefahr auf dem Meer aber ist die Kollision mit einem Schiff, der „Schiffsanprall“. Ein Pfeiler muss die Wucht des größten Potts überstehen und entsprechend dick sein.

Über dem Meer pfeifen oft stärkere Winde als an Land. Deshalb testen Ingenieure Brückenmodelle heute grundsätzlich im Windkanal, ehe Betonmischer losrollen. Bemisst man eine Brücke zu leicht oder falsch, kann das katastrophal enden. Am 7. November 1940 fegte eine steife Brise über die Brücke an den Tacoma Narrows, einem Sund an der Westküste der USA. Der Sturm ließ die Brücke schwingen wie die Saite einer Harfe, die Fahrbahn schwang bedenklich hin und her und bockte schließlich mehrere Meter auf wie ein tobendes Maultier. Der Tanz dauerte etliche Minuten, bis die Brücke schließlich mit lautem Knall barst. Als „Galloping Gertie“ und Lehrstück für Brückenfachleute ging das Ereignis in die Geschichte ein.


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mare No. 85

No. 85April / Mai 2011

Von Tim Schröder und Jürgen Willbarth

Früher schwärmte Tim Schröder, geboren 1970, Autor in Oldenburg, für die Hamburger Köhlbrandbrücke – bis er erstmals die Öresundbrücke sah.

Jürgen Willbarth, Jahrgang 1940, studierter Grafikdesigner, ist auf allen Gebieten der visuellen Kommunikation tätig. Willbarth lebt in Schwerin.

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Vita Früher schwärmte Tim Schröder, geboren 1970, Autor in Oldenburg, für die Hamburger Köhlbrandbrücke – bis er erstmals die Öresundbrücke sah.

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