Günther Langowski, MS „William“

Wer erzählt die besten Geschichten vom Meer? Menschen, die den Ozean erlebt haben.

Ich habe lange nachgedacht, ob ich diese Geschichte überhaupt erzählen kann, doch ich vermute, mein Vergehen ist verjährt. Außerdem besteht das Leben nicht nur aus Heldentaten.

Wir lagen mit der „William“, einem 201 Meter langen Massengutfrachter, im argentinischen Rosario auf dem Rio Paraná, wo wir Getreide für Noworossisk am Schwarzen Meer laden sollten. Durch gewaltige Rohre wurde der Weizen aus den Silos in die Laderäume geblasen, und man musste die Ladung dabei gleichmäßig verteilen – und rechtzeitig den Stoppbefehl geben. 16.000 Tonnen sollten wir aufnehmen. Der maximal erlaubte Tiefgang auf dem Paraná war 8,20 Meter, und das nahmen die Behörden, wie wir erfahren sollten, auch aus persönlichen Gründen sehr genau.

Als mein Erster Offizier, verantwortlich für die Beladung, mit der Gesichtsfarbe einer Tomate auf die Brücke kam, war mir klar, dass etwas schiefgelaufen war. „Herr Kapitän, ich hab Mist gebaut!“, stieß er hervor. „Ich habe zu spät gestoppt. Hinten sind wir 8,23 Meter tief!“

Wegen drei Zentimeter Tiefgang zu viel fängt ein Kapitän nicht gleich zu weinen an. Ich überlegte: Für jede Verzögerung an der Silopier würden wir löhnen müssen. Jedes wartende Schiff hätten wir pro Tag auszahlen müssen – und hinter uns lagen etliche Frachter. Der Betrag konnte fix in die Hunderttausende gehen. Ich entschied also, erst einmal den Unschuldigen zu mimen, als der Hafenmeister und zwei Lotsen an Bord kletterten.

„Kapitän, das Schiff liegt drei Zentimeter zu tief“, zischte der Hafenmeister vorwurfsvoll. „Ach wirklich? Das kann ich leicht durch Vertrimmen ausgleichen, indem wir einen Teil der Ladung nach vorne befördern“, antwortete ich gelassen. In der folgenden Diskussion zeigte sich rasch: Es ging nicht um drei Zentimeter, sondern um 3000 US-Dollar. Diese Summe wollte der Hafenmeister kassieren, wenn er ein Auge zudrückte. Die beiden Lotsen verlangten ebenfalls Schmiergeld, jeweils etwa 1000 Dollar.

Ich spielte auf Zeit. Wegen solcher Beträge müsste ich erst die Reederei in Deutschland kontaktieren – und überhaupt: Einen Versuch, die Ladung zu vertrimmen, möge man uns doch gestatten. Zähe Verhandlungen folgten. Immerhin erlaubte uns der Hafenmeister schließlich, von der Pier abzulegen, um Platz für die nächsten Schiffe zu machen. Der Hafenmeister und die beiden Flusslotsen verließen das Schiff, dafür kam ein Hafenlotse an Bord, der überwachen sollte, dass wir genau 100 Meter vom Liegeplatz entfernt ankerten. Nach dem Ablegen bat ich ihn: „Mr. Pilot, lassen Sie uns ein wenig weiter hinausfahren, auf der anderen Seite des Flusses ist doch der reguläre Ankerplatz.“


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mare No. 62

No. 62Juni / Juli 2007

Aufgezeichnet von Stefan Krücken Foto: Achim Multhaupt

Achim Multhaupt wurde 1967 in Dortmund geboren. Er studierte Fotodesign an der dortigen Fachhochschule. Seine Schwerpunkte sind Porträtfotografie und Bildjournalismus, er arbeitet für nationale und internationale Magazine. Er lebt in Hamburg.

Gemeinsam mit Stefan Krücken hat er das Buch Orkanfahrt. 25 Kapitäne erzählen ihre besten Geschichten im Ankerherz Verlag veröffentlicht, die ursprünglich in der Rubrik „Käpitäne“ in mare erschienen sind. Weitere Bücher folgten.

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Vita Achim Multhaupt wurde 1967 in Dortmund geboren. Er studierte Fotodesign an der dortigen Fachhochschule. Seine Schwerpunkte sind Porträtfotografie und Bildjournalismus, er arbeitet für nationale und internationale Magazine. Er lebt in Hamburg.

Gemeinsam mit Stefan Krücken hat er das Buch Orkanfahrt. 25 Kapitäne erzählen ihre besten Geschichten im Ankerherz Verlag veröffentlicht, die ursprünglich in der Rubrik „Käpitäne“ in mare erschienen sind. Weitere Bücher folgten.
Person Aufgezeichnet von Stefan Krücken Foto: Achim Multhaupt
Vita Achim Multhaupt wurde 1967 in Dortmund geboren. Er studierte Fotodesign an der dortigen Fachhochschule. Seine Schwerpunkte sind Porträtfotografie und Bildjournalismus, er arbeitet für nationale und internationale Magazine. Er lebt in Hamburg.

Gemeinsam mit Stefan Krücken hat er das Buch Orkanfahrt. 25 Kapitäne erzählen ihre besten Geschichten im Ankerherz Verlag veröffentlicht, die ursprünglich in der Rubrik „Käpitäne“ in mare erschienen sind. Weitere Bücher folgten.
Person Aufgezeichnet von Stefan Krücken Foto: Achim Multhaupt