Grosser Hick ums Hack

Am Anfang war das Fleisch, so viel steht fest. Alles andere zur Entstehung des Hamburgers ist umstritten. Hat er seinen Ursprung tatsächlich im Hamburger Hafen, wie eine Theorie sagt?

Am Anfang war das Fleisch, zumindest so viel lässt sich gefahrlos sagen. Auch wenn alles andere durch Legenden mehr verborgen als enthüllt ist, gehört doch Rind zur Entstehung des Hamburgers dazu. Der Rest ist Verhandlungssache. Und vielleicht ist es gut, dass der Hamburger sich aus dem mythischen Grund erhebt wie eine Chimäre und irgendwann auf Erden bleibt, bereit für einen Biss. Ohne dass sich genau sagen ließe, wann wer den ersten Burger zubereitet und gegessen hat. Die Esskultur lebt von diesen Leistungen: Wer hat Spaghetti aglio e olio erfunden, wer das erste Gulasch gekocht, welcher Mensch stand an der Pfanne für das Wiener Schnitzel?
Immerhin wissen wir sehr genau, wer den „Big Mac“ erfunden hat, diese kalorienbombastische Doppeldeckerversion des Hamburgers. Der Amerikaner Jim Delligatti führte ein McDonald’s-Restaurant in Uniontown, Pennsylvania. Am 22. April 1967 setzte er ihn für 45 Cent auf die Karte, der Erfolg stellte sich umgehend ein. Delligatti hatte sich vom Bäcker ein extradickes Sesambrötchen backen lassen und es in drei Teile geteilt. Der Schöpfer aß die folgenden Jahre jede Woche einen „Big Mac“ und starb 2016 im Alter von 98 Jahren. Ende der Geschichte.
Der Hamburger aber, vom Nebel der Historie verhangen, lässt sich zurückverfolgen bis zu den Mongolen, die im frühen 13. Jahrhundert unter ihren Sätteln rohes Pferde- oder Kamelfleisch mürbe und weich ritten, um es zu essen, ohne vom Pferd abzusteigen – ein erstes echtes Fast Food. Dieses Fleisch war bröselig; es gelangte mit den Mongolen nach Moskau und wurde dort Tatar genannt. Russische Schiffe brachten es im 17. Jahrhundert nach Hamburg, dem „russischen Hafen“. Hier mischte man Zwiebeln und Kapern und Ei unter das Fleisch – geboren war die Frikadelle oder Bulette. Etwas in die Länge gezogen, hieß es Hacksteak oder Beefsteak. Bald nannte man es weltweit „Hamburg-Steak“. Schiffsreisende hatten es von Hamburg aus mitgenommen. 1802 taucht der Begriff im „Oxford English Dictionary“ auf, 1842 stand in einem US-Kochbuch ein Rezept zu lesen.
In Hamburg aßen die Matrosen und Kaufleute auch das „Rundstück warm“, eine Scheibe Braten mit Soße. Das Fleisch wurde auf dem Teller in ein Weizenbrötchen geklemmt serviert, dazu Senfgurken. Ein Reiseführer von 1869 lobt das Rundstück mit warmem Braten in „Giese’s Biertunnel am Jungfernstieg“, „die Preise der Speisen sehr civil“.
All die Ingredienzen des Hamburgers waren also in der Stadt, sogar die Gürkchen. Jemand musste sie zusammenbringen oder mitnehmen.
Eine der Theorien ist, dass Brötchen und Fleisch, Rundstück und Hamburger-Steak, schon auf den Auswandererschiffen zusammenkamen, die von Hamburg nach Amerika fuhren. Außerdem importierten die USA Mitte des 19. Jahrhunderts noch viel Rindfleisch, besonders aus Hamburg, dessen Qualität hoch im Kurs stand. Gut möglich, dass der Name „Hamburger“ als Gütesiegel für gutes Fleisch diente.
In New York angekommen, eröffneten viele Migranten Restaurants. Sie boten bekanntes Essen an, also auch das Hamburg-Steak. Gegessen wurde es natürlich mit Messer und Gabel vom Teller, es waren schließlich Gasthäuser, keine Stehimbisse. Einige Rezepte gingen so: das Hacksteak in der Pfanne braten, Zwiebel obendrauf, dann von den Seiten zusammenklappen, weiterbraten. Die 1880er-Jahre gelten als das „Golden Age of Beef“ in den USA; Vegetarier waren, wenn es denn welche gab, fehlgeleitete Sonderlinge. Die Rinder kamen aus dem Süden des Landes per Bahn in den Norden. Erste Maschinen zur Fleischzerkleinerung waren schon Jahrzehnte zuvor patentiert worden.
Bei der Weltausstellung 1876 in Philadelphia, bei der erstmals Heinz-Ketchup präsentiert wurde, bot ein deutsches Restaurant nachweislich das Hamburg-Steak an. Danach tauchte es auf Karten in nicht deutschen Restaurants auf, auch in Chicago. Tom Fraker bot in Reno ein Hamburger-Steak-Sandwich an, das die örtliche Zeitung 1893 anpries, es könne „jederzeit einen leeren Magen füllen und sogar Satan persönlich kräftigen“.
Die Absatzzahlen für Fleischwölfe stiegen ebenfalls. Die Schlachthöfe boten große Mengen an Fleischresten an, die zu Hack verarbeitet werden konnten. Und die Arbeiter mussten von ihren Wohnorten oft lange Wege zurücklegen; sie suchten nach Essen. Es sollte satt machen und wenig kosten, transportabel und schnell verfügbar sein. Der Markt war da, das Fleisch war da – und das Brötchen? Womöglich stand der Hotdog Pate, erfunden von dem deutschen Migranten Charles Feltman 1867 in Coney Island. Der Kuchenverkäufer ließ sich einen Handkarren konstruieren, um Frankfurter Würstchen in Brötchen zu verkaufen. Auch der Hotdog soll sich durch eine Weltausstellung verbreitet haben, der von 1893 in Chicago.
Am wahrscheinlichsten ist wohl, dass die Erfindung des Hamburgers in der Luft lag, weil überall in dem sich rasant entwickelnden Land die Menschen danach fragten.


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mare No. 129

August / September 2018

Von Holger Kreitling

Holger Kreitling, Jahrgang 1964, aß seinen ersten Hamburger bei McDonald’s Ende der 1970er-Jahre. Bis zu der Filiale in Gießen musste er 40 Kilometer fahren. Damals dachte er, der Aufwand sei vollkommen gerechtfertigt. In Berlin isst er Burger am liebsten bei „Burgermeister“ am Schlesischen Tor.

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Vita Holger Kreitling, Jahrgang 1964, aß seinen ersten Hamburger bei McDonald’s Ende der 1970er-Jahre. Bis zu der Filiale in Gießen musste er 40 Kilometer fahren. Damals dachte er, der Aufwand sei vollkommen gerechtfertigt. In Berlin isst er Burger am liebsten bei „Burgermeister“ am Schlesischen Tor.
Person Von Holger Kreitling
Vita Holger Kreitling, Jahrgang 1964, aß seinen ersten Hamburger bei McDonald’s Ende der 1970er-Jahre. Bis zu der Filiale in Gießen musste er 40 Kilometer fahren. Damals dachte er, der Aufwand sei vollkommen gerechtfertigt. In Berlin isst er Burger am liebsten bei „Burgermeister“ am Schlesischen Tor.
Person Von Holger Kreitling