Westernromantik an der Ausfallstraße. Auf der einen Seite die letzten Häuser von Vila Real de Santo António und Ruinen einer Fischkonservenfabrik. Gegenüber weitet sich ein Parkplatz bis zum Ufer des Guadiana. Weich zieht der Grenzfluss vorbei, etwas weiter hinten schmiegt er sich schon ins Blau des Atlantiks. Gegenüber liegt Spanien, die weißen Häuser von Ayamonte leuchten herüber. Früher, als es sich noch lohnte zu schmuggeln, patrouillierten Grenzer auf der nun stillgelegten Uferstraße am Fluss. Reste eines Schienenstrangs ziehen sich durch das Pflaster an der Kaimauer, der muralha. Hier wurde Fisch für die Konservenfabrik entladen und weitertransportiert.
Alles Geschichte. Die Fabriken, die Schmuggler und die Grenzbeamten verschwanden, auch die meisten Fischer, und ohne all diese arbeitenden Menschen mit Bedürfnissen schlossen auch die öffentlichen Toiletten. Ausgerechnet aus dieser früheren Bedürfnisanstalt am Fluss, einem niedlichen, blau-weiß getünchten Häuschen mit runden Ecken, dringt mittags unwiderstehlicher Duft. Vor einem schmalen gläsernen Anbau warten Holztische und Stühle unter einem Wellblechdach auf Gäste. Willkommen in der „Tasquinha da Muralha“.
Tasquinha heißt übersetzt „winzige Pinte“, und das machte die Mutter von Ana Luisa Silva, der heutigen Wirtin, aus diesem hübschen Toilettenhäuschen. Sie hatte nur an eine Bar für die verbliebenen Fischer an der muralha gedacht und an alle, die sonst noch so am Ufer entlangstromerten. Anas Vater grillte für den einen und anderen Gast auch mal einen Fisch, und wie das dann so ist: Es spricht sich herum, Freunde bringen Freunde.
Nach dem Tod ihres Vaters konnte Ana dieses familiäre Kleinod nicht einfach schließen. „Für uns ist es ein Abenteuer“, lächelt Ana. „Seit 13 Jahren.“ Im anderen Leben ist sie Direktorin einer Wohlfahrtsorganisation und ihr Mann Rui Angestellter der Stadtverwaltung. Aber es gibt ja die Mittagspause, in der Ana die „Tasquinha“ öffnet.
Also, fangen wir damit an, was es nicht gibt. Abendessen: nur im Juli und August. Tischreservierungen: Wer kommt, kommt. Kartenzahlung: kein neumodischer Schnickschnack, nur echtes Bargeld. Speisekarten: Die braucht hier niemand. Hier gibt es: gegrillten Fisch, Pellkartoffeln, grünen Salat mit Tomaten und Zwiebeln, Brot. That’s it. Take it or leave it.
Ana kauft den Fisch am liebsten morgens direkt am Kai vor der „Tasquinha“: Wolfsbarsch, rote und weiße Meerbrassen, große Anchovis und im Sommer auch Sardinen. Mittags liegen die Fische ausgenommen und geschuppt in der Vitrine – wie groß, wie klein darf’s sein? Mehr gibt es nicht zu entscheiden.
Und dann ab damit in den angrenzenden Wellblechverschlag. Der ist gerade groß genug für den langen Grill und zwei Tische mit Messern und Plastiktöpfen voll Salz, Petersilie, Knoblauch und … was ist das da für eine Sauce?
José und António laufen gekonnt umeinander herum, es raucht und qualmt über der Feuerstelle, die Glut knistert und zischt. Der Wolfsbarsch landet auf dem Grill, nun braucht es Geduld.
Zwischendurch ein Schnitt ins Fleisch, schon gar? Noch ein paar Minuten? Natürlich hat António nach 40 Jahren als Grillmeister ein gutes Gefühl, wann ein Fisch durchgebraten, aber noch saftig ist, „aber jeder Fisch ist anders“. Gibt’s ein Geheimnis? José sagt: „Man muss wissen, was man tut.“ António wird konkreter: „Die richtige Hitze. Fleisch braucht viel Feuer. Fisch nur die Glut, ist komplizierter, delikater.“ Ana sagt: „Es ist eine Kunst.“
Endlich schubst José den Wolfsbarsch auf einen Terrakottateller, streut etwas Salz, eine Handvoll Petersilie und Knoblauch und … schwapp, einen großzügigen Löffel dieser hellgelben Sauce über den gegrillten Fisch. Der Duft von zitronigem Olivenöl mischt sich mit herbem Grillaroma. Zum Niederknien. „Was ist in dieser Sauce aus dem Plastikeimer drin?“ – „Geheim“, grummelt António und wendet den nächsten Fisch über der Glut. Nicht gerade geschwätzig, der Geheimnisträger.
„Zu Tisch!“ Dort offenbart sich die pure Kunst: ein mildrauchiger Fisch, auf den Punkt gegrillt, zart, saftig und mit diesem unfassbaren geheimen Aroma – himmlisch. Dazu nur leicht salzige Pellkartöffelchen – in aller Schlichtheit, das ist die perfekte Harmonie.
Wolfsbarsch nach Art von Ana
Zutaten und Zubereitung (für vier Personen)
Vier Wolfsbarsche entschuppen, mit Öl einreiben und 15 bis 20 Minuten grillen. Sowie sich die Schwanzflosse lösen lässt, ist der Fisch gar. Ana wollte das Geheimnis ihrer perfekten Sauce nicht lüften. Was sie stockend und schweren Herzens offenbarte: „Olivenöl … geschälte Knoblauchzehen … Zitronenscheiben … Lorbeerblätter.“ Alles mischen und im Behälter ziehen lassen.
Tasquinha da Muralha
Cais Marítimo (Ende der Rua do Guadiana, am Wohnmobilparkplatz), Vila Real de Santo António. Tel. +351 967 033 002. Geöffnet Di bis So 12 bis 15 Uhr, 15. Juli bis 31. August auch von 20 bis 22 Uhr. Reservierungen, wenn überhaupt, nur abends.
Die Journalistin und Buchautorin Kirsten Wulf lebt mit ihrer Familie in Genua.
/Ephraim Bieri wurde 1980 in Goldiwil, einem kleinen Bergdorf in der Schweiz, geboren. Seit seinem Studium der Fotografie, das er im Studio LTD in Bern begann, arbeitet er hauptsächlich in den Bereichen Reportage, Porträts und personenbezogene Architektur.
| Lieferstatus | Lieferbar |
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| Vita | Die Journalistin und Buchautorin Kirsten Wulf lebt mit ihrer Familie in Genua. /Ephraim Bieri wurde 1980 in Goldiwil, einem kleinen Bergdorf in der Schweiz, geboren. Seit seinem Studium der Fotografie, das er im Studio LTD in Bern begann, arbeitet er hauptsächlich in den Bereichen Reportage, Porträts und personenbezogene Architektur. |
| Person | Von Kirsten Wulf und Ephraim Bieri |
| Lieferstatus | Lieferbar |
| Vita | Die Journalistin und Buchautorin Kirsten Wulf lebt mit ihrer Familie in Genua. /Ephraim Bieri wurde 1980 in Goldiwil, einem kleinen Bergdorf in der Schweiz, geboren. Seit seinem Studium der Fotografie, das er im Studio LTD in Bern begann, arbeitet er hauptsächlich in den Bereichen Reportage, Porträts und personenbezogene Architektur. |
| Person | Von Kirsten Wulf und Ephraim Bieri |