Greifer, Geister und Gelehrte

Gashydrate – Energiequelle der Zukunft oder tödliche Gefahr? Eine Schiffsexpedition soll Antworten bringen

Auch komplizierte Metallkörper können zum Gegenstand heftiger Gefühle werden. Liebevoll tätschelt Techniker Helmut Kawohl das auf dem Schiffsdeck der „Sonne“ aufgebockte Autoklav-Kolbenlot – eine fünf Meter lange Röhre mit Druckkammer und Gestänge drum herum. Helmut Kawohl ist stolz auf das Herzstück der Expedition. Es ist ein technisches Novum, ersonnen, um rasch zerfallendes Methaneis aus einem Kilometer Ozeantiefe zu bergen. Eine Weltpremiere. Noch nie ist es gelungen, die rätselhaften Frostbrocken im Urzustand aus der Tiefsee zu holen, um ihnen dann im Labor die Geheimnisse ihrer Entstehung zu entlocken.

Ein ungeheurer Energiespeicher verbirgt sich in den Weltmeeren: Gashydrate, wie das Methaneis in der Fachsprache heißt. Die weltweiten Vorkommen enthalten doppelt so viel Energie wie alle Erdöl- und Gasreserven zusammen. Japanische Wissenschaftler sehen darin bereits das Brennstoffreservoir des 21. Jahrhunderts. Im Pazifik vor der Küste des US-Bundesstaates Oregon, wo sich die Juan-de-Fuca-Platte unter die Kontinentalplatte schiebt, entstehen und vergehen fortwährend Gashydrate. Ein ideales Gebiet, um hier Kawohls Autoklav-Kolbenlot in den Grund zu treiben.

Als die fast 100 Meter lange „Sonne“ vom Hafen Astoria südlich von Seattle ablegt und den Hydratrücken R 1 ansteuert – ein Unterwassergebirge so groß wie der Harz –, wird überall an Deck noch verstaut und festgeknotet. Langsam verflüchtigt sich die Silhouette von Astorias waldigen Bergen. Neben der 30-köpfigen Besatzung sind 18 Mitglieder des wissenschaftlerteams auf dem deutschen Forschungsschiff, darunter fünf Frauen. Die meisten der Geologen kommen nur wenige Wochen an Bord, und ein paar sind nicht unbedingt das, was man seefest nennt. Die Crew hingegen kreuzt schon monatelang durch den Pazifik.

Während das Methaneis einigen Universitätsleuten völlig gleichgültig geworden ist, weil sie an der Reling mit ihrem Mageninhalt ringen, ärgert sich Matrose Günter über sich selbst. Hatte er doch beim Landgang den „Desdemona Club“ am Ortsende übersehen, wo schon vormittags leicht geschürzte Damen ihre Schenkel an Tanzstangen reiben. Wahrlich, Landgängerpech.

Helmut Kawohl, den expeditionserprobten Tüftler von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, ficht das nicht an. Seine Passion gilt dem Autoklav. Heikel ist die Mechanik des Kugelventils, das unter Hochdruck die schlammige Probe vom Meeresboden abschirmen muss. Hunderte Arbeitsstunden hat Kawohl seinem Gerät gewidmet, aber noch fehlt der Isoliermantel. Im Wettlauf mit der Zeit wird man deshalb die „Schlickonkels“, wie Kawohl und sein Kollege Rainer Goergens neckisch etikettiert werden, bis zur Stunde X bohren, sägen und schweißen sehen. Buchstäblich Funken sprühend.

Die See am nächsten Morgen ist flach. Wölkchen treiben gleich rosa Flaum über die Schieferplatte des Pazifik. Doch von Beschaulichkeit keine Spur. Der klobige Videoschlitten baumelt bereits an der Kranwinde auf dem Arbeitsdeck. Sein Zustand wird von den aufgeregten Geologen begutachtet. Das mit Messgeräten vollgepfropfte Schlittengestell trägt auch das elektronische Auge zum „Abgrasen“ des Meeresgrundes. Durch die Luft zischen Hightech-Sätze wie „Hydrosweep auf Alternate Mode geswitcht“. Zu Deutsch: Das Fächer-Echolot vermisst den Boden wechselweise in Nord-Süd- und Ost-West-Richtung. Mit dem Echolot, so hoffen die Hydratforscher, wird sich ein optimales Plätzchen für den Einsatz des Autoklavs aufspüren lassen. Auf der Handfegerkiste vor der Deckswerkstatt hocken einige Matrosen und amüsieren sich über den Eifer der Doktoren bei ihrem ersten Einsatz. Das ausgebreitete Stofftuch macht die Kiste zur beliebten Arbeitscouch für die Crew, ein Bereich, den akademische Neuankömmlinge lieber meiden.

Dafür zwängt sich eine Menge Geologen ins Monitorlabor, wohin der Videoschlitten gleich seine Aufnahmen übertragen wird. Draußen senkt sich der Schlitten in den Pazifik, drinnen beginnt auf dem Bildschirm das Unterwasserkino. Wie eine Raumkapsel dringt das Voreil-Gewicht, das ein Aufschlagen des Schlittens verhindern soll, am unteren Bildschirmrand in die Schwärze vor. Helle Punkte – die „Sterne“ – schießen seitlich aus dem Monitorbild: Krabben, Krill und Plankton. „Inner Space“ nennen die Tiefseeforscher ihr Studienobjekt. Die Parallele zum Weltraum ist offensichtlich.


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mare No. 21

No. 21August / September 2000

Von Thomas Worm und Marc Steinmetz

Thomas Worm, Jahrgang 1957, lebt als freier Autor in Berlin. Für mare No. 13 schrieb er einen Report über Methaneis: „Die Flamme aus dem Abgrund“. In Heft 19 erschien sein Bericht über Medikamente aus dem Meer: „Pharma-Forscher stechen in See“.

Marc Steinmetz, Jahrgang 1964, ist Grafikdesigner und arbeitet als freier Fotograf in Starnberg. In mare No. 14 erschien seine Fotoreportage über die Arbeit der Elblotsen

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Vita Thomas Worm, Jahrgang 1957, lebt als freier Autor in Berlin. Für mare No. 13 schrieb er einen Report über Methaneis: „Die Flamme aus dem Abgrund“. In Heft 19 erschien sein Bericht über Medikamente aus dem Meer: „Pharma-Forscher stechen in See“.

Marc Steinmetz, Jahrgang 1964, ist Grafikdesigner und arbeitet als freier Fotograf in Starnberg. In mare No. 14 erschien seine Fotoreportage über die Arbeit der Elblotsen
Person Von Thomas Worm und Marc Steinmetz
Vita Thomas Worm, Jahrgang 1957, lebt als freier Autor in Berlin. Für mare No. 13 schrieb er einen Report über Methaneis: „Die Flamme aus dem Abgrund“. In Heft 19 erschien sein Bericht über Medikamente aus dem Meer: „Pharma-Forscher stechen in See“.

Marc Steinmetz, Jahrgang 1964, ist Grafikdesigner und arbeitet als freier Fotograf in Starnberg. In mare No. 14 erschien seine Fotoreportage über die Arbeit der Elblotsen
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