Grand Prix der Eitelkeiten

Die Rennstrecke am Hafen von Monaco bietet ein doppeltes Spektakel: schnittige Formel-1-Boliden und ein Schaulaufen der Schönen

Schon wieder eines. Ein rascher Griff zur Brusttasche im Hemd, während die andere Hand Halt suchend zum Seil der Gangway tastet, ein erschrockener Blick nach unten: zu spät. Das teure Handy aus Platin versinkt soeben im grünlichen Wasser. Die Matrosen setzen betroffene Mienen auf und dann zum Sprung auf die Yacht an. Anfängerfehler. Einer reicht ein Glas Champagner zum Trost. Nur nicht den Abend verderben lassen, es geht doch gerade erst los. Gentlemen, start your engines!

Alle Jahre wieder im Mai befindet sich Monaco im Ausnahmezustand. Zwei Rennen, parallel ausgetragen, legen die Stadt nahezu lahm und beleben sie zugleich: der Große Preis der Formel 1 und der noch größere Wettlauf der Society. Der eine entschieden auf den Straßen des Fürstentums, der andere im Hafen, auf den luxuriösen Yachten. Bei beiden geht es um Ruhm, Erfolg, Anerkennung und Geld – und nie entscheidet sich, wer schneller ist, Sport oder Glitter, Glamour oder Geschmacklosigkeit, Tradition oder Trash. Ein Sieger jedoch steht beim Defilee der Schönen, Reichen und Berühmten immer schon fest: Vive le Klischee!

„Die erste Kurve, die Sainte-Dévote, ist beim Anbremsen etwas schwierig, weil sie sehr uneben ist. Das Auto springt, die Räder bleiben stehen. Wenn man da den Anbremspunkt auch nur ein bisschen verpasst, hat man nicht mehr viele Möglichkeiten und kriegt meistens die Kurve nicht mehr. Und wenn man schon eingelenkt hat, hat man dann auch nicht mehr die Möglichkeit, in die minimale Auslaufzone zu fahren – man hängt in der Leitplanke. Man fährt sie im zweiten bis dritten Gang, bei einer Geschwindigkeit von rund 120 Kilometern pro Stunde.“

Vielleicht ist es die Kulisse wie aus einem schmalzigen Film aus den fünfziger Jahren, die alljährlich die alten Schwerenöterzeiten auferstehen lässt. Nur tragen die Lebemänner von heute kein Lippenbärtchen mehr und keinen Smoking, sondern Dreitagebart und Jeans. In der Stadt mit dem wohl berühmtesten Casino der Welt spielt sich in der Rennwoche jedenfalls das Prinzip des Glücksspiels im Freien ab: Tout est possible, alles ist möglich.

Und wie bei einer alternden Diva entfalten sich der glamouröse Zauber und die mondäne Pracht erst richtig im Schutz der Dunkelheit, wenn die Lichter der Schiffe weit draußen im Meer wie Perlenketten wirken und die Musik auf den Yachten im Hafen vom Gelächter übertroffen wird. Dann wirkt Monaco wie eine einzige schwimmende Party, ein Strudel der Laster, von einer imaginären, überdimensionalen Schiffsschraube immer weiter angetrieben.

„Dann fährt man den Berg hoch und im fünften, sechsten Gang über eine Kuppe, das Auto wird sehr leicht. Man schaltet runter in den dritten, vierten Gang und fährt mit hoher Geschwindigkeit, so 160 bis 180 km/h, in eine uneinsichtige Kurve am Casino. Bei dieser sehr lang gezogenen Linkskurve kommt der Einlenkpunkt erst sehr spät, vor allem aber kann man ihn nicht einsehen. Man lenkt also auf Verdacht ein und hofft, am richtigen Punkt anzukommen. Hat man ein nervöses Auto, ist das sehr schwierig.“

Eva aus Island sucht ihre Schuhe. Wie alle anderen Partygäste hatte sie sie achtlos neben die Gangway geworfen. Lektion Nummer eins für Monaco-Eleven: auf Yachten immer barfuß! Die neuen Pradas sind begraben unter verwaschenen Sneakers, glitzernden Guccis und weichen Ledermokassins. Weil sie ohne hochhackige Sandaletten zwangsläufig fünf Kilo schwerer wirkt, hatte sich Eva vor dem Rennwochenende zum Speed-Abnehmen gezwungen gesehen. Neben ihr wühlt eine dunkelhaarige Elfe leicht panisch im Schuhhügel. Ihr erleichtertes Aufseufzen darüber, auch den zweiten Manolo unversehrt wiederzufinden, wird von ihrem Begleiter eindeutig falsch interpretiert.

„Danach kommt gleich der Umlenkschwung in Kurve vier, die man auch wieder im dritten bis vierten Gang fährt. Mit circa 250 bis 260 Sachen geht es runter zur Mirabeau. Auch hier gibt es wieder eine kritische Anbremsphase, denn wenn man einmal eingelenkt hat, muss die Kurve wirklich passen. Es ist aber sehr schwierig, weil die Strecke sehr uneben ist, zudem auch noch nach außen hin abfällt und das Auto oft stark versetzt. Dadurch bleibt das vordere innere Rad gerne stehen, was natürlich die Verzögerung beeinflusst. Man fährt diese Kurve im ersten bis zweiten Gang mit ungefähr 100 km/h, beschleunigt dann durch das kleine S runter in die Loews-Kurve, die man mit der geringsten Geschwindigkeit der Rennstrecke fährt: um die 40, Minusrekord der Formel 1. Auch diese Kurve muss wieder passen. Und sie bietet zugleich eine Überholmöglichkeit: Wenn jemand ein Auto hat, das schlecht einlenkt, muss er die volle Breite der Strecke nutzen, um durch die Kurve zu kommen, und das ergibt dann die Möglichkeit für den Folgenden, innen reinzufahren und das Auto mit Gewalt irgendwie um diese Kurve herumzubekommen. Allerdings führt das auch ganz gerne mal zu einer Kollision.“

Während sich die Rennstrecke im Verlauf des Wochenendes phasenweise in einen Schrottplatz verwandelt, mutiert der Hafen des Fürstentums zum größten Parkplatz der Mittelmeerküste. Und weil es auf den Straßen kein Durchkommen mehr gibt, fließt der Verkehr eben auf dem Wasser. Hier redet man über die Größe der Yachten so wie anderswo über die Potenz der Sportwagen: Ferraris oder Lamborghinis parken sowieso an jeder Straßenecke. Knoten statt PS ist die Insiderwährung.

Yachten, gerne garniert mit Models, sind das ultimative Männerspielzeug. Wenn der ehemalige Pilot Eddie Irvine am Abend auf seiner „Anaconda“ die Puppen tanzen lässt (und das ist ziemlich wörtlich zu nehmen), begleiten ihn neidische Blicke vom Kai gegenüber. Als der russische Milliardär Roman Abramowitsch vor einigen Jahren mit seiner 115 Meter langen „Pelorus“ auftauchte, hoben die Helikopter minütlich von gleich zwei Landeplätzen ab. Selbst im reichen Fürstentum gibt es klare Abstufungen der Bedeutsamkeit. In ist, wer auf dem Wasser ist.

50000 Euro je Woche kostet ein solcher Egotrip mindestens. Dafür mietet man eine passable Yacht, allerdings weit im Voraus. Wer später bucht, der zahlt schnell 100000 pro Tag. Alles abhängig natürlich von Größe, Mietdauer oder Name – auf die Lage der Yacht hat man, offiziell, keinen Einfluss. Die modernen Freibeuter und Piraten, so scheint es, haben ihr Geschäft kurzerhand an Land verlegt.

„Rausbeschleunigen in eine Doppelrechtskurve, bevor man in den Tunnel fährt. Diese Rechtskurven sind auch wieder relativ uneben – speziell die erste, Turn 7, da nimmt man sehr oft den inneren Kerb (Pistenrandbegrenzung, die Red.) mit. Das Auto versetzt dann leicht. Danach geht es mit einer kurzen Beschleunigungs- und Bremsphase, die das Auto unruhig werden lassen, im zweiten Gang in Kurve 8, bevor man in den Tunnel beschleunigt. Der wirkt spektakulär, aber die Lichtverhältnisse sind für uns Fahrer nicht so schlimm wie für die Kameras, die Zuschauer und für normale Autofahrer, wenn sie mit unserer Geschwindigkeit da reinführen. Das liegt wohl daran, dass wir das Visier sehr nahe an unseren Augen haben – im Gegensatz zu einem Auto, bei dem die Windschutzscheibe logischerweise viel weiter weg wäre. Man fährt diesen Tunnel mit Vollgas bei 260 bis 280.“


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mare No. 57

No. 57August / September 2006

Von Sabine Kehm

Die Sportreporterin Sabine Kehm arbeitet seit 2000 hauptberuflich im Formel-1-Zirkus – als Medienberaterin von Michael Schumacher. Bei den Rennen in Monaco landet sie jedesmal auch auf den Luxusyachten der Sponsoren, rein dienstlich natürlich. Daher bereitet der Autorin die Frage der Abendgarderobe keine Kopfschmerzen – sie geht in Dienstkleidung, ganz in Ferrarirot.

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Vita Die Sportreporterin Sabine Kehm arbeitet seit 2000 hauptberuflich im Formel-1-Zirkus – als Medienberaterin von Michael Schumacher. Bei den Rennen in Monaco landet sie jedesmal auch auf den Luxusyachten der Sponsoren, rein dienstlich natürlich. Daher bereitet der Autorin die Frage der Abendgarderobe keine Kopfschmerzen – sie geht in Dienstkleidung, ganz in Ferrarirot.
Person Von Sabine Kehm
Vita Die Sportreporterin Sabine Kehm arbeitet seit 2000 hauptberuflich im Formel-1-Zirkus – als Medienberaterin von Michael Schumacher. Bei den Rennen in Monaco landet sie jedesmal auch auf den Luxusyachten der Sponsoren, rein dienstlich natürlich. Daher bereitet der Autorin die Frage der Abendgarderobe keine Kopfschmerzen – sie geht in Dienstkleidung, ganz in Ferrarirot.
Person Von Sabine Kehm